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Interview mit René Block über seine Beziehung zur türkischen Kunst und seinen Projektraum in Berlin.
Von Sabine Vogel | Aug 2008Sabine Vogel: René Block, Sie haben 1994 in Ihrer Zeit als Leiter der Kunstabteilung des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa) die erste deutsche Ausstellung mit türkischer Gegenwartskunst ausgerichtet. Im Jahr darauf waren Sie der erste ausländische künstlerische Direktor der 4. Kunstbiennale in Istanbul, der Sie den poetischen Titel "Orient/ation" gaben. Was war der Auslöser für Ihr Interesse an türkischer Kunst? Was waren Ihre Entdeckungen? Was fanden Sie neu und spannend an der türkischen Kunstszene?
René Block: Der Auslöser war eher zufällig: Im Jahr 1991 hatte man mich zur Teilnahme an einem Beuys Symposium der Marmara Universität nach Istanbul eingeladen. Dies ist mein erster Kontakt zur türkischen Kunstszene gewesen. Der in Paris lebende Künstler Sarkis hatte mir einige Namen von Künstlern mit auf den Weg gegeben und in Istanbul wurde ich mit weiteren zusammengeführt. Es ergab sich eine intensive erste Begegnung mit einer mir gänzlich unbekannten Szene, die von allen dortigen Kulturträgern ignoriert wurde. Mein zweiter Besuch, ein Jahr später zur 3. Istanbul Biennale - ich hatte gerade die Aufgabe als Projektleiter beim Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) in Stuttgart übernommen - begegnete ich imponierenden Arbeiten von Gülsün Karamustafa und Hale Tenger, die mich nicht mehr los ließen. Ich beschloss noch in Istanbul, eine Ausstellung mit diesen und anderen türkischen Künstlern, darunter Füsun Onur und Ayse Erkmen, zu realisieren. Diese fand unter dem Titel ISKELE dann in den drei ifa-Galerien in Stuttgart, Bonn und Berlin statt. Diese ersten Kontakte mit der - primär in Istanbul beheimateten - türkischen Kunst konnten ein Jahr später bei der Vorbereitung zur 4. Istanbul Biennale von 1995 intensiviert werden. Neben den genannten Künstlerinnen beteiligten sich hier Hüseyin Alptekin, Aydan Murteazoglu und als jüngste Teilnehmerin Esra Ersen mit in situ Arbeiten für die verschiedenen Ausstellungsstellen und das Motto der Biennale: Neuorientierung in einem desolaten Europa nach dem Fall der Berliner Mauer und dem anhaltenden Bosnienkrieg auf dem benachbarten Balkan. Damit setzten sich die Künstlerinnen und Künstler in ihren Arbeiten durchaus auseinander.
S.V.: Sie haben sich bereits 1990 als Kurator der Sydney Biennale für ein Zusammentreffen von außereuropäischer und westlicher Kunst eingesetzt. 1995 besuchten Sie auch die erste Biennale in Johannesburg. Was war der Grund für die Hinwendung zur Kunst der "Peripherie", die damals in den westlichen Zentren 'in Mode' kam?
R.B.: Etwa 10 Jahre vor dem Türkei-Engagement fand meine "Entdeckung" Australiens statt. Auch hier eine in Westeuropa weitgehend unbekannte eigenständige Kunstszene, aber durch die Sydney Biennale gefördert, im Aufbruch begriffen. Hier waren allerdings andere Voraussetzungen vorhanden, denn Australien ist Teil der westlichen Welt, wenn auch von deren Zentren weit entfernt. So konnte ich der Biennale mit dem "Readymade" durchaus ein westliches Kulturthema geben. Mit der bitteren Konsequenz, dass ich im Jahr 1990 noch keine Aboriginal Künstler einbinden konnte, was heute hingegen möglich wäre und was ich 2006 beim Belgrader Oktobersalon sozusagen nachholen durfte. Mich hat immer das fasziniert, was am Rande passiert. Um den künstlerischen Hauptstrom sorgen sich viele, um nicht zu sagen viel zu viele. Das langweilt mich. Da setzte ich meine Kräfte lieber am Nebenstrom ein, begleite ihn bis zu dem Punkt, da er selbst zum Hauptstrom wird. Und suche dann einen neuen Nebenstrom.
S.V.: In Ihrer Zeit als Direktor des Museums Fridericianum in Kassel haben Sie viele Künstler und vor allem Künstlerinnen aus der Türkei zu Ausstellungen eingeladen. Gibt es eine künstlerische Dominanz der Frauen? Wenn ja, woher rührt sie?
R.B.: Die gab es durchaus. Denn auch Künstlerinnen waren über viele Jahre meiner künstlerischen Entwicklung eher eine Nebenlinie. Nicht von ungefähr war die erste Ausstellung in Kassel 1998 als Antwort auf die documenta 10 unter dem Titel "Echolot - oder 9 Fragen an die Peripherie" neun Künstlerinnen gewidmet. Und auch das letzte große Projekt vor meinem Ausscheiden 2006 galt Künstlerinnen. Mit fünf junge Frauen aus Finnland wurde die nordeuropäische Peripherie zum Zentrum. Aber ich denke, solche geschlechtsspezifischen Dominanzen sind auch Zeitphänomene. Wir haben es, den Ozeanen vergleichbar, mit Wellenbewegungen zu tun. Die jüngste türkische Szene ist wiederum stark durch männliche Künstler dominiert, die aber, und das ist interessant, nicht aus dem Zentrum Istanbul kommen, sondern aus dem periphären kurdischen Diyarbakir.
S.V.: Mit Ausstellungen wie "In den Schluchten des Balkan" haben Sie das Territorium in neue Gebiete ausgedehnt. 2004 organisierten Sie als künstlerischer Direktor in Cetinje die Biennale von Montenegro "Love it or leave it". Ist der Balkan nun die neu zu entdeckende Peripherie? Kommt von daher inzwischen die 'unverbrauchte' Kraft wilder, starker Ausdrucksformen?
R.B.: Die "Schluchten des Balkan" waren wiederum eine Antwort auf die documenta 11. Das Kasseler Projekt setzte sich in Montenegro fort. Die 4. Cetinje Biennale mit Satellitenprojekten in Dubrovnik und Tirana war länderübergreifend konzipiert. Ihr Titel "Love it or leave it" bezog sich auf eine Arbeit des türkischen Künstlers Halil Altindere. Es liegt auf der Hand, dass sich die Künstler Südosteuropas intensiver und direkter politisch artikulieren als es die dem l'art pour l'art verpflichteten der westlichen Zentren tun. Mit dem "Oktober-Salon-Belgrad" 2006 habe ich versucht, beide Szenen, die des Balkan und die des Westens, in einen Dialog zu führen. Die Auswahl der Arbeiten für "Art Life & Confusion" von den etwa 100 beteiligten Künstlern war durchaus auf die Situation der serbischen Metropole zugeschnitten.
S.V.: Seit dem Frühjar 2008 betreiben Sie in Berlin den Ausstellungsraum für türkische Kunst "Tanas". Hat sich der Kreis ihrer Tätigkeit als Galerist, Kurator und Museumsleiter hiermit wieder geschlossen? Ist der "Ready-Made-Boomerang", wie Ihre Biennale von Sydney hieß, wieder in Berlin angekommen?
R.B.: Sie sagen es, in gewisser Weise schließt sich mit TANAS ein Kreis. Ich komme an den Ort meiner frühen Arbeit als Galerist von 1964 bis 1979, und als Projektleiter beim Berliner Künstlerprogramm 1982-92 zurück. Allerdings mit anderem Rüstzeug im Gepäck als damals. Mit TANAS setze ich von Berlin aus mein Engagement für die zeitgenössische türkische Kunst fort, kann den Kunstraum Istanbul auch geografisch vergrössern. Das Projekt ist Bestandteil einer großangelegten kulturpolitischen Initiative der Vehbi Koc Foundation, das eine Ausstellungsserie in Istanbul, eine Reihe von Monografien zu türkischen Künstlern der Gegenwart und den Aufbau einer Sammlung türkischer Gegenwartskunst einschliesst. Für die Türkei ist das ein einzigartiger Aufbruch, der sich 1994, also vor 15 Jahren, nicht erahnen ließ.
S.V.: "Tanas" liegt mitten in Berlin, gleich neben dem Museum für Zeitgenössische Kunst am Hamburger Bahnhof, und doch hat man von dem Loft in einem Gewerbehof einen Ausblick auf eine urbane Brachelandschaft. Was hat Berlin mit New York und Istanbul gemeinsam?
R.B.: Gemeinsam ist diesen Städten eine jeweils völlig andere Dynamik, die sich aus der jeweils sehr unterschiedlichen kulturellen Tradition erklärt. Gemeinsam ist diesen Städten aber auch, dass sie leben - auch wenn "Tanas" in einer urbanen Brache liegt, wie man sie aber ähnlich in New York oder Istanbul finden könnte.
Sabine Vogel
Studierte Kunstgeschichte, arbeitete als Kuratorin und Koordinatorin bei Biennalen in Johannesburg und Istanbul (beides 1995) sowie im Haus der Kulturen der Welt, Berlin. Seit 2000 Literaturredakteurin bei der Berliner Zeitung.
Tanas Berlin
Projektraum für zeitgenössische türkische Kunst
Eröffnet im März 2008 von René Block