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Über seine große Einzelausstellung \"Infinity has no accent\", 8. Sept. - 24. Nov. 2012 in TANAS Berlin.
Von Süreyyya Evren | Sep 2012Infinity has no accent, die Einzelausstellung von Halil Altındere in der Galerie Tanas in Berlin, bietet eine ganz besondere Gelegenheit, sich mit der jüngsten Strömung in der türkischen Kunstszene zu beschäftigen und die Entwicklung von Altınderes Kunst als einer einzigartig kritischen und humorvollen künstlerischen Sprache zu erleben, die über die Türkei hinausgeht.
In den 1990er Jahren wurde Altındere zunächst für seine direkte Kritik des türkischen Militärapparats und des in der Türkei vorherrschenden politischen Diskurses international bekannt. Mit der Zeit ist er zu einem Meister des Pastiche und der Parodie geworden. Seine künstlerische Erzählweise soll nicht im direkten Sinne verstanden werden, sondern es sind immer hybride Formen aus Fiktion und Plädoyer. Die Ausstellung Infinity has no accent zeigt neuere Skulpturen, Videos und Fotoarbeiten von Altındere und schafft dadurch eine vielversprechende Plattform für die Begegnung mit seiner Art von Kritik.
Altınderes Pastiches haben Formen mit offenem Ausgang, wohingegen seine Parodien die Realität mit einem gewissen grinsenden, scharfkantigen Antlitz nachahmen. Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass es in seinen Parodien eine ausdrückliche Härte gibt. Und er liebt alle Arten von Fallen und Hinterhalten. Zum Beispiel der Boxing Bag (2012) ist tatsächlich ein Sandsack, der mitten in der Galerie hängt. Aber man sollte ihn bloß nicht als solchen nehmen. Und man sollte nicht vergessen, dass es in der Ausstellung von Altındere keine Performance gibt und nichts, was eine direkte Teilnahme des Publikums erfordern würde. Vor allem sollte man den Sandsack nicht berühren, denn er ist auf grausame Weise aus Marmor gemacht und dazu gedacht, einen heftig zu verletzen, wenn man auf ihn ein schlägt.
Altınderes Verständnis kritischer Kunstpraxis hat nichts damit zu tun, den Ausbeuter oder die Opfer herauszustellen. Es geht vielmehr darum, den Ausbeuter zu verfremden und einen als Betrachter in einen Hinterhalt zu dängen, wo man (manchmal zusammen mit dem Künstler) durch jene zum Opfer gemacht wird, die üblicherweise unterdrückt sind. Und das oft mit subtiler Bedrohung. Der Transen-Serie Untitled (2004), Miss Understood (2010) und Nurse (2011), drei außergewöhnliche Porträts transsexueller Frauen, gelingt genau das. Dies sind Parodien von der indifferenten Mittelklasse vertrauten Bildern. Das Bild einer Krankenschwester wie das, was man an den Wänden von Krankenhäusern sehen könnte (und das einem dort nicht so recht auffällt), fordert einen auf, still zu sein. Ein Bild einer Frau in der üblichen Miss-Irgendwas-Uniform. Und eine gewöhnliche türkische Person mit einem T-Shirt, auf dem die Flagge der Türkei ist. Doch sie alle sind Transsexuelle, und die vertrauten Situationen werden benutzt, um einen in die Falle zu locken. Die Nurse (2001) ist nicht eine passiv schöne, hinreißende Krankenschwester, die völlig ruhig ist. Tatsächlich ist sie eine Transfrau, die Gender Bias verwirrt und ganz im Gegenteil aktiv, aggressiv schön und zum Eingreifen bereit ist. Sie versucht möglicherweise einen zur Ruhe zu bringen, weil sie diejenige ist, die reden wird. Auch der Titel von Miss Understood (2010) ist nicht bloß ein Witz; er zeigt einem, dass man in Wirklichkeit missverstanden hat und nicht weiß, was als nächstes geschehen wird.
Dann folgen noch viel verschwommenere Pastiches von Altındere. Drei Wachsfiguren in der Ausstellung, Guard (2012), Telephone Call From Istanbul (2012) und Mad Man (2012), erfüllen eine bemerkenswerte Aufgabe, indem sie eine obskure Geschichte erschaffen, die den ganzen Kunstraum durchzieht. Es sind Monumente bizarrer Szenen, merkwürdige Momente werden zelebriert. Warum investiert er überhaupt in Wachsskulpturen?
Altınderes erste lebensgroße Wachsfigur war Pala the Bard (2008), ein halb-deliröser Anschlag auf die Daseinsgründe lebensgroßer Wachsfiguren. Pala war ein Typ auf den Straßen Istanbuls, der bombastische Kostüme trug und in seiner von Fantasien bestimmten Welt glaubte, ein Symbol des Landes zu sein: der Wunderliche, den niemand respektiert, doch jeder konsumiert, ohne ihm viel Aufmerksamkeit zu zollen. In seiner Art, auf die Regeln zu pfeifen, hat Altındere den Kunstraum dem Anschein nach zu einem Tempel unserer Verehrung für Pala umgestaltet, für jemand, an den wir nicht länger als eine Sekunde denken würden. Es war ein Verstoß, der sich direkt gegen den Kult Mustafa Kemal Atatürks in der Türkei richtete, denn hingebungsvolle Anhänger von Atatürk und viele Nationalisten haben die in Madam Tussauds Kabinett ausgestellte Wachsfigur von Atatürk sinnlos glorifiziert. Der lächerliche türkische Stolz, Atatürks Wachsfigur bei Madam Tussaud zu sehen, ist zu einem ganz und gar peinlichen Phänomen geworden, als Pala the Bard zum zweiten Türken wurde, der durch eine Wachsfigur in die Ewigkeit einging. In dieser Hinsicht war Pala the Bard eine von Altınderes unverhüllt bitteren Parodien.
Nichtsdestotrotz sind die lebensgroßen Wachsskulpturen, die wir in dieser neuen Ausstellung in Berlin sehen, ein weitaus komplizierteres Pastiche. Ein Winzling bewacht den Kunstraum und ist zu einem Mythos umgewandelt, noch bevor er zur Realität wird. Ein Telefonanruf aus Istanbul lokalisiert die ganze Ausstellung dort bzw. setzt sie zu Istanbul in Beziehung: die gespenstische Verspottung eines internationalistischen Kosmopolitismus. Die Wachsfigur eines angeblich "verrückten Mannes" ist scheinbar in Rage geraten wegen einer anderen auf Pastiche basierenden Arbeit von Altındere, die Mladen Stalinoviçs frühe Haltung mit der Sprechblase nachahmt "Ein Angriff auf meine Kunst ist ein Angriff auf den Sozialismus und den Fortschritt".
Alles in allem kann man dies eine antisoziale Ansammlung von Werken nennen. Sie sind ordentlich, wohlüberlegt vorbereitet und produziert, von hoher Qualität und unkonventionell. Sie wollen schön aussehen, während sie einen umbringen. Diese glatten Zähne des Pastiche können mich doch nicht beißen, möchte man sagen. Aber genau das ist der Moment, auf den es Altındere anlegt, um einen in die Falle zu bekommen: ein Moment, in dem man sich unbedingt sicher fühlt und glaubt, all die Witze und Parodien verstanden zu haben. Das ist der Zeitpunkt, wenn man vom Boxsack geschlagen wird!
Süreyyya Evren
* 1972 Istanbul, Türkei; lebt dort. Schriftsteller und Kunstkritiker; Autor von "101 Artworks, Forty Years of Turkish Contemporary Art".
Halil Altındere: Infinity has no accent
Einzelausstellung
8. September - 24. November 2012