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Die Verantwortung des Künstlers, oder Freiheit ist die kritische Distanz, die man einnimmt. Über die Ausstellung von Burak Delier im Iniva, London.
Von Övül Ö. Durmuşoğlu | Apr 2014>> Yazının Türkçesi için buraya tıklayın
Als Spiele noch auf Brettern und nicht mit Konsolen gespielt wurden, war Monopoly das beliebteste von allen. Es machte uns mit den Straßen solcher Finanzzentren wie London oder New York vertraut. Dank Monopoly, "das jeden zum Immobilienkönig werden ließ, wenn auch nur in einem Spiel", erfuhren wir von Geschäftsstraßen wie Pall Mall oder Whitehall. Das war vor zwanzig Jahren, als Nescafétassen im Reisegepäck in die Türkei gebracht wurden. Nach den Kommunalwahlen in der Türkei hat Nayat Karaköse eine kritische Anmerkung gemacht, die über die populistischen und polarisierenden Interpretationen hinausgeht und von einer neuen Generation zeugt, der es bloß um Vergnügungen und Stabilität geht, und die einen Großteil ihrer Zeit in Shopping Malls und Geschäften verbringt und globale Luxusmarken trägt. Die erste bekannte Quelle von Monopoly ist The Landlords Game von American Lizze Maggie (patentiert 1904), das zeigen sollte, wie Vermietungsmechanismen die Mieter ärmer und die Hausbesitzer reicher machten. Die weite Verbreitung dieses politischen und komplizierten Spiels wurde gestoppt, aber in der Zwischenzeit spielte man bereits Monopoly auf verschiedene Weise. Man kann neue Kampagnen für Monopoly in jeder Londoner Filiale von McDonald’s sehen. Ist es tatsächlich nur ein Zufall, dass die türkische Version von Monopoly 2010 veröffentlicht wurde, als die Spaß-und-Stabilitäts Generation vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise boomte, also in dem Jahr, als Istanbul eine der drei Europäischen Kulturhauptstädte war?
Auf meinem Weg zu Burak Deliers Ausstellung Freedom has no script im Iniva fuhr ich zusammen mit einem Freund aus Sydney auf der Nord-Ost-Achse von London, die schon wer weiß wie lange rekonstruiert wird, und sprach mit ihm über Monopoly, Risiko und die eiskalt-machiavellische Fernsehserie House of Cards, in der es darum geht, unbedingt höhere Risiken zu wagen, wenn man mächtiger werden will.
In Freedom has no script zeichnet Burak Delier ein anderes Bild dieser neuen, Vergnügungen und Stabilität liebenden türkischen Verhaltens- und Beziehungsformen. Ein weiterer wichtiger Punkt besteht darin, dass diese Szene gerade in London spielt, einer der Hochburgen westlicher Medien, die darauf bestanden, Gezi als einen Aufstand der Mittelklasse zu bewerten, der von einem Tag auf den anderen begann. Die Geschäftszentren und Hochhäuser, die der Künstler benutzte, um die Angestellten-Szenen zu inszenieren, sind für alle aus dem globalen Kunstbetrieb meist unsichtbar.
Iniva (Institute of International Visual Arts) ist eine Nischeninstitution in London mit einem speziellen Ort. Auf einer Denkweise, der Kulturstudien zugrunde liegen, hat sie eine weitreichende, unabhängige und vielfarbige politische Perspektive aufgebaut. Burak Delier gewann ein künstlerisches Produktionsstipendium, das vom Iniva erstmals vergeben wurde. Gemeinsam mit Direktorin Tessa Jackson wählte der Künstler Werke aus den letzten drei Jahren seines Schaffens aus, von Collector’s Wish bis zu Crisis and Control, und präsentiert sie zusammen mit seiner neuen Analyse des Angestelltendaseins Songs of the Possessed, deren Produktion er dem Stipendium verdankt. Delier personalisierte seinen Arbeitsprozess in letzter Zeit durch eine auf offenen Fragen basierende experimentelle Recherche, bei der er sich auf die Beziehungsgesten kapitalistischer Strukturen innerhalb des Kapitalismus und von Individuen fokussiert, und es gelang ihm, sein Werk aus den manchmal zu nichts führenden Diskussionen zwischen Kunst, Politik und Aktivismus zu nähren.
Wenngleich das kompliziert klingen mag, so offenbart sich der Kern dieses Satzes in der Spannung zwischen Homage to Balotelli’s Missed Trick, den in einem Guckkasten am Eingang installierten Anmerkungen aus dem Mobiltelefon des Künstlers, und Crisis and Control, in dem Büroangestellte ihre Krise ausloten, während sie zugleich versuchen, sie unter Kontrolle zu halten. In einer Serie von Anmerkungen aus den Jahren 2012 und 2013 veranschaulicht Delier, wie Produktions- und Beziehungsmodelle der Kunstwelt ihn als Künstler betreffen, und er experimentiert mit einigen solcher Anmerkungen, zum Beispiel durch Verknüpfung mit lokalem Kontext, indem er in Crisis and Control empirische Werke produziert. Er impliziert auch, dass sich seine prekäre Erfahrung als Künstler nicht von den Porträts von Büroangestellten unterscheidet, mit denen er sich beschäftigt. Über Kunst und prekäre Verhältnisse schreibende Denker wie Marion von Osten und Maurizio Lazzarato stellten fest: diese Definition andauernder Freiheit, die der Geist der Selbstverwirklichung braucht und die durch das Maß an aufgewendetem Risiko begrenzt ist, gerät zu einer sehr effektiven Form bio-politischer Kontrolle. Dadurch wird Freiheit von fortwährender Selbstkapitalisierung abhängig und erscheint als die Notwendigkeit, die ganze Zeit über kreativ zu sein. Doch wie der Künstler mit dem Titel seiner Ausstellung nahelegt, gibt es kein Skript, um Freiheit aufzuzwängen.
Der spielerische Deal zwischen Händler und Künstler erinnert an Maria Eichhorns Aktiengesellschaft, produziert für die Documenta 11 im Jahr 2002. Jeder Aktiengesellschaft geht es darum, für ihre Anteilseigner maximalen Profit mit minimalem Risiko zu erzielen. Indem Eichhorn dieses Unternehmen mit nur einem Anteilseigner schafft, nämlich sich selbst, und als Regel festsetzt, dass ihr Startkapital von 50.000 Euro keinen Profit erwirtschaften darf, hinterfragt sie nicht nur die Regeln des kapitalistischen Spiels, sie öffnet auch einen Bereich, um die Rahmenbedingungen für die Produktion von und den Handel mit Kunstwerken zu überdenken. Delier interpretiert dieses System neu und produziert eine Geste mit multiplen Akteuren, ein konzeptuelles Bezugssystem, das nach der Bedeutung eines Kunstwerks und den Produktionsmitteln für dieses fragt und die Gesellschaft nicht vergisst, die es konsumiert und kauft (The Deal, 2013).
Aus einer Perspektive Giorgio Agambens betrachtet, geht das Potenzial einer Geste über deren Aktualisierung oder Nicht-Aktualisierung hinaus. Wir beobachten, dass der Künstler das Lokale als Teil einer allgemeinen Krise betrachtet, statt als eine exotische Situation, und er fokussiert auf die Choreographie gewisser Gesten in einer nahezu "barocken" Weise, wenn er über Risiko, Erfolg, Gewinn und Verlust spekuliert. Im Kopfstand redet ein junger Immobilienboss über die Details des Immobiliensektors und wie er seinen inkompetenten Angestellten feuert (Crisis and Control, 2013). Während er spricht, verschmilzt sein Körper mit der architektonischen Gestaltung um ihn herum. Aber nie knittert sein Hemd. Delier mag diese kraftvolle, die Ironie hervorkehrende Entfremdung von den ironischen, witzigen Jungs gelernt haben, die Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre in der Türkei zeitgenössische Kunst produziert haben. Doch eines ist klar: wir sind in der Lage, die Ambivalenz zu spüren, die Humor in Bezug auf diese Gesten hinterlässt, denn der Künstler setzt sich mit den aufgenommenen Beziehungsgesten nicht durch Worte und Orte auseinander, sondern sie passieren einfach, wenn er seine Subjektivität außen vor lässt.
Diese Haltung wird in Songs of the Possessed sogar noch deutlicher, das im Rahmen des Iniva-Stipendiums produziert und in der Form einer Theaterprobe, die auf einer "Plaza" vonstatten geht, editiert ist. Eine gemischte Gruppe von Angestellten derselben Generation beschimpft und umschmeichelt einander. Innerhalb ihrer Grenzen wird die Plaza zu einem abstrahierten Universum; ihr Erfolgsmodell ist eine endlose Kakophonie, die dieselben Intonationen wiederholt. Die wenigen Sätze, die man aus dem Krach aufschnappen könnte, sind ohne Untertitel.
Im Juni 2013 schlossen sich viele Angestellte, die ihre Helme und Masken in ihren Büros versteckten, den sich vom Gezi Park ausbreitenden, pluralen Stimmen an, sobald sie ihre Plazas verlassen hatten. Selbst wenn wir alle einen Deal mit oder ohne einen Vertrag abgeschlossen zu haben scheinen, "würde der Aktivismus der Innenwelt, der sich von der Welt abwendet, die Welt ändern", wie Foucault sagte. Gemeinsam handelnd werden wir sehen, ob diese neue Türkei, die Vergnügungen und Stabilität so sehr mag, in der Lage sein wird, sich aus den Tiefen zu erheben, in denen sie gelandet ist. Die Welt, in der wir leben, wird nur durch einen Humor bereichert, der sich über sich selbst lustig machen kann, statt sich zu ernst zu nehmen. Wenn über künftige Szenarien spekuliert wird, haben Künstler und all jene, die Schriften, Denken und Ausstellungen produzieren, gemeinsam arbeiten, diesbezüglich ihre Verantwortung und Freiheit in der stets so kritischen Distanz.
Övül Ö. Durmuşoğlu
Unabhängige Kuratorin und Autorin. Lebt in Berlin, Deutschland, und Istanbul, Türkei.
Burak Delier erhält als erster ein Stipendium des Commissions and Exhibitions Fund des Iniva.
Burak Delier: Freedom Has No Script
26. März - 17. Mai 2014