Für eine optimale Ansicht unserer Website drehen Sie Ihr Tablet bitte horizontal.
Über die AIF als Plattform für Forschung und Diskussion über Fotografie, das Archivieren von Geschichte, die Rolle von Künstlern. Zum Schaffen von Akram Zaatari, Lara Baladi, Vartan Avakian.
Von Laurence Cornet | Okt 2014Auf der belebtesten Straße von Gemmayzeh im Herzen von Beirut gibt es eine dicke dunkelgrüne Tür. Rechts davon ist ein Hermes Shop, ein weiterer auf der anderen Straßenseite - dies sind aber keine Filialen der Luxusmarke, sondern die eines Familienunternehmens für Motoren, in denen der Rhythmus der Arab Image Foundation (AIF) widerhallt. Hier, in der zweiten Etage der Gouraud Straße Nummer 337, entwickelte sich die Institution in rasanter Geschwindigkeit zum wichtigsten visuellen Archiv der arabischen Welt.
Die Stiftung wurde 1997 von Akram Zaatari, Fouad Elkoury und Samer Mohdad gegründet, denen sich bald schon Walid Raad anschloss, als eine Künstlerinitiative gegründet. Sie war als eine Möglichkeit gedacht, über die Region verstreutes fotografisches Material zu bewahren, als dieses wegen des politischen Kontexts und des Fehlens einer geeigneten Struktur zu verschwinden drohte. Seitdem hat die AIF verschiedene brillante Köpfe verloren, aber auch neue gewonnen, als zum Leitungsgremium Künstlerinnen und Künstler der jüngeren Generation sowie Historiker hinzukamen, wie Vartan Avakian, Hrair Sarkissian, Lara Baladi, Yasmine Eid-Sabbagh, Zeina Arida und Issam Nassar. Indem sie ihre verschiedenen Ansätze des Verständnisses der Sammlung einander gegenüberstellten und kombinierten, haben sie die Stiftung als ein Forschungszentrum und eine Plattform für die Verständigung über das Archivieren von Geschichte und die Rolle von Künstlern in diesem grundlegenden Diskurs etabliert.
Bevor es um ein paar Beispiele gehen soll, hier einige bemerkenswerte Zahlen und Fakten: in der Sammlung befinden sich etwa 600.000 Bilder aus Dutzenden Ländern, darunter auch solche von den arabischen Ländern weit entfernten wie Argentinien, Mexiko oder Senegal. Die Fotografien stammen aus eineinhalb Jahrhunderten, die meisten davon aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, und aus dem gesamten Spektrum der Fotografie - von Studioaufnahmen bis zu Familienfotos. In kurzer Zeit wurde die Stiftung zu einer Referenz, und viele Leute setzen sich mit ihr in Verbindung, um ihr den eigenen Fundus an Bildern anzubieten. So kam die Frage auf: "Was soll gesammelt werden und was soll mit der Sammlung geschehen?"
Auf diese heikle Frage gab es eine Vielzahl an Antworten, die mit den Arbeitsgebieten der Mitglieder zu tun haben, und die AIF definierte sich selbst mehr als ein Archiv für die Forschung und das Sammeln, statt als ein Archiv fotografischer Praktiken, wie es der Mitbegründer Akram Zaatari ausdrückte. Zaatari konzipierte eine Reihe von Publikationen und Ausstellungen, die über ihren historischen und kulturellen Wert hinaus eine Studie der Fotografie als gesellschaftlicher Komponente darstellen. Der Höhepunkt seines Engagements war seine besondere Art der Aneignung von Hashem El Madanis Fotografien. Zaatari setzte sich über den üblichen Umgang mit vernakulärer Fotografie hinweg - meist als bloßes Inventar des Schaffens eines Studiofotografen, der in diesem konkreten Falle technisch nicht einmal so gut wie seine Kollegen war - und fokussierte auf die Einzigartigkeit, mit der dieser Fotograf seine Kunden auf öffentlichen Plätzen von Saida im Südlibanon aufnahm. Nachdem Zaatari die verschiedenen Orte identifiziert hatte, druckte er die alten Fotos, stellte sie an den Wänden aus, die mehrere Jahrzehnte zuvor als Hintergründe der Porträts gedient hatten, und kartographierte die 33 Schauplätze in einer Route, der das Publikum folgen sollte. Das Projekt, das ein Akt des Bewahrens in der experimentellsten Form ist, wurde durch ein Buch und ein Video komplementiert, die dazu beitragen, sich mit dem Wandel der Stadt und damit auseinanderzusetzen, wie sich Fotografie in den modernen Zeiten mit der Gesellschaft vermischt hat.
Während Zaatari an die Sammlung wie ein Archäologe herangeht, trägt Lara Baladi eine völlig andere Problematik dazu bei. Als in Kairo, Ägypten, lebende Fotografin war sie Zeugin dessen, wie Kunst während der Ereignisse der letzten Jahre zu einer aktiv agierendn Kraft wurde und welche komplizierte Rolle sie in der Region bis heute weiterhin spielt. "Das Fotografieren wurde hier und in der ganzen Region nicht nur zu einem Akt des Sehens und des Registrierens; es war auch ganz und gar partizipatorisch. Im Herzen des ägyptischen Aufstands war Fotografieren ein politischer Akt, ebenso wichtig wie das Demonstrieren. Es bedeutete zivilen Ungehorsam und eine Herausforderung des Regimes", schrieb sie für Creative Time Reports. Sie geht an zeitgenössisches Material als eine Möglichkeit heran, politische Konstrukte zu analysieren und daraus den populären Medien inhärente Erzählformen abzuleiten. Derzeit ist sie mit einem transmedialen Projekt beschäftigt, das auf Inhalten aus YouTube basiert und Archiving a Revolution in the Digital Age betitelt ist.
Ihr Interesse an populärer Kultur verbindet sich mit dem von Vartan Avakian, der an einem Projekt arbeitet, dass er The Revenge of Geography: Heroes, Beauty Queens and Lebanese Action Cinema 1979-1989, A Topographic Survey of Beirut nennt. Das radikale Werk untersucht die Art und Weise, wie das Kino - in diesem konkreten Falle Actionfilme - und andere Bildpraktiken den Ausdruck von Macht sowie andere sich daraus ergebende Themen, wie die urbane und soziale Struktur während des Bürgerkriegs, erfasst haben.
Auf der anderen Seite der Archivierungspraktiken definiert Yasmine Eid-Sabbagh existierendes Material als etwas Vertrautes und als eine Inspiration für fiktionale Poesie. Ihr Projekt Possible and Imaginary Lives, das sie zusammen mit Rozenn Quéré schuf und das bei den Festivals von Vevey, Schweiz, und Arles, Frankreich, ausgezeichnet wurde, war eine disruptive Interpretation des Fotoarchivs einer Familie.
Dem AIF geht es nicht unbedingt darum, das Archiv so groß wie nur irgend möglich werden zu lassen, sondern vielmehr um das Hinterfragen und die Förderung des Bewahrens in seiner engagiertesten Form. Die Stiftung bestärkt ihre Mitglieder und Forscher nicht nur darin, die Sammlung zu untersuchen. Diese haben sich selbst in der Region auch als Pioniere und Berater auf dem Gebiet des Archivierens etabliert. Zusammen mit solchen internationalen Organisationen wie dem Getty Conservation Institute und dem Metropolitan Museum of Art initiierten das AIF ein MEPPI genanntes Projekt, mit dem das fotografische Erbe des Nahen Ostens bewahrt werden soll. In den letzten drei Jahren sind unter der Leitung der gegenwärtigen AIF-Direktorin Rima Mokaiesh 300 Sammlungen in der Region identifiziert und die Betreiber von 60 davon trainiert worden, mit denen man ähnliche Herausforderungen wenn nicht gar dasselbe Material teilt. Die Stiftung organisiert lokal und international auch eine Reihe von Symposien wie zum Beispiel die hochkarätige Konferenz, die Akram Zaatari und Clément Chéroux 2012 in Ashkal Alwan, Beirut, zum Thema History of the last thing before the last: art as writing history organisiert haben, sowie Workshops und pädagogische Programme, die allesamt ein starkes Statement zum Sammeln, Bewahren und der Verbreitung von Archivmaterial sind.
Laurence Cornet
Kuratorin und Kunstkritikerin, spezialisiert auf Fotografie und Video. Lebt in New York, USA.