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Arbeiten von 28 Künstlern zum Thema Erschöpfung, präsentiert im Kontext der Altstadt Jerusalems.
Von Valerie Grove | Okt 2010Die Jerusalem Show unterscheidet sich von jeder anderen Kunstveranstaltung. Sie ist so konzipiert, dass sie den physischen und politischen Kontext, in dem sie stattfindet, offenlegt und die thematischen Werken die ihr zugrunde liegende Realität reflektieren. Das Thema dieses Jahres lautet Exhaustion [Erschöpfung, Überanstrengung, Entkräftung], definiert als permanenter Zustand der Palästinenser, speziell in Jerusalem, wo die Auswirkungen des politischen Versagens besonders stark zu spüren sind.
Die von der Al Ma’mal Foundation for Contemporary Art initiierte Jerusalem Show begann 2007. Im Jahr 2010 wurde sie erstmals in voller Partnerschaft mit Palestinian Art Court - Al Hoash, einem Kunstzentrum mit Galerie, organisiert. Achtzehn palästinensische und von anderswo herstammende Künstlerinnen und Künstler waren eingeladen, Werke im Kontext der Stadt und ihres Umfelds zu präsentieren, in denen es um Themen geht, die mit Erschöpfung zu tun haben. In einigen Fällen kuratierte Al Ma’mal schon existierende Arbeiten, von denen man bereits wusste, dass sie zum Thema passen würden. Zusätzlich erhielten elf junge Palästinenser von Al Hoash den Auftrag, neue Werke zu produzieren.
Die ganze Schau wurde in der Stadt an elf Ausstellungsorten organisiert, die viele Jahre lang Partner oder Mitwirkende von Al Ma’mal gewesen sind. Ein wesentliches Element der Jerusalem Show sind die Rundgänge zu diesen Orte bei Nacht. Diese Spaziergänge machen das Publikum mit dem urbanen Gefüge der Altstadt und den normalerweise verborgenen Innenräumen der Ausstellungsorte selbst bekannt, von denen die meisten hinsichtlich ihrer Architektur oder Innenausstattung oder auch beidem ziemlich spektakulär sind. Dieser Aspekt der Jerusalem Show schafft eine unmittelbare und intime Beziehung zum Schauplatz, die sowohl für das Erleben der Ausstellung als Ganzem als auch für den Zugang zu den Werken selbst von grundlegender Bedeutung ist.
Das Thema Erschöpfung war beim Eröffnungsrundgang schon nach ein paar Videoarbeiten offensichtlich. Raeda Saadehs Tropfen (2010) zeigt eine fesselnde Großaufnahme des Gesichts der Künstlerin, aus deren Mund Wasser hervortritt, was einem so vorkam, als würde man Ophelia dabei zuschauen, wie sie sich bemüht, nicht zu ertrinken. In Taysir Batnijis Videodokumentation seiner Performance Unmögliche Reise (2002-09) erscheint ein Mann, der als nie zu beendende Aufgabe unerbittlich Sand von einem Haufen auf einen anderen schippt. Die Form und Textur der gekrümmten, feuchten und leicht zerbröckelnden Wand, auf die das Video projiziert wurde, drückte sich zudem selbst dem Werk auf.
Dieses Verschmelzen des Videobildes und der architektonischen Form des Raumes fügte auch verschiedenen anderen Videoarbeiten, die direkt auf Mauern der Altstadt projiziert wurden, eine zusätzliche visuelle und kontextuelle Dimension hinzu. Dazu gehörten eine meditative Pariser Eule in Ariane Michels Die Runden Augen (2006) und eine Katze, die vergeblich an einer Glasscheibe kratzte, in Direkte Verhandlungen (2007) von einem Künstler der bzw. die unerkannt bleiben wollte. Bei der diesjährigen Jerusalem Show gab es zwei Teilnehmer, die um Anonymität baten, statt zu riskieren, mit einer Ausstellung in "Israel" in Verbindung gebracht zu werden. Das hat jedoch Bahar Behbahani nicht von einer vollen Aufdeckung ihrer Identität abgehalten. Ihr eindringliches Video Aufgehängt, gefilmt 2007 in Teheran, war ein weiteres Werk, das den Kern des Themas völlig erfasste. Ein Mädchen hängt kopfüber, und die Aufnahme wechselt laufend zwischen ihrer Sicht der Dinge und unserem Blick auf sie. Der Regen fällt und durchnässt sie. Ein Feuer wird hinter ihr angezündet. Normale Dinge geschehen - Katzen spielen, Wasserhähne tropfen - und sie hängt noch immer hilflos da, einer jeglichen eigenen Aktion unfähig.
Andere Arbeiten, die gut dem Thema entsprachen, sind bei weitem nicht so passiv gewesen. Das phänomenale Performance-Triptychon des französischen Schlagzeugers Uriel Barthélémi war einer der Höhepunkte. Er spielte an drei verschiedenen Orten mit einem abschließenden Auftritt, einer komplett improvisierten Session, die so lange andauern sollte, bis er vor physischer und mentaler Erschöpfung nicht mehr weiterspielen könnte. Leider wurde diese Performance nach zwei Stunden abgebrochen, weil es eine Auseinandersetzung mit Nachbarn gab, die mit der Akustik am Ort nicht so ganz glücklich waren, und weil überdrehte Kinder Gegenstände vom Dach des Gebäudes warfen, in dem die Performance stattfand.
Ein anderes musikalisches Highlight war die vielschichtige Arbeit The Breakup (2010) des amerikanischen Künstlers Michael Rakowitz. Sie untersuchte den Kommunikationskollaps, der zur Auflösung der Beatles führte, auf eine Weise, die Parallelen zum Abbruch politischer Verhandlungen zog. Ein Teil des Projekts war ein zehnteiliges Radioprogramm, gesendet während der Jerusalem Show von dem in Ramallah ansässigen Radio Amwaj. Die zweite Komponente bestand aus einer ReMiniszenz an das letzte Konzerts der Beatles auf dem Dach der Apple-Studios, jetzt jedoch aufgeführt auf einem Hausdach in der Altstadt Jerusalems mit Musikern der palästinensischen Band Sabreen und einem Arrangement mit klassischen östlichen und modernen westlichen Instrumenten. Ausgedehnte Improvisationsteile und spezielle Solosequenzen für Oud [Laute], Kanoun [zitterähnliches Saiteninstrument], Flöte und Tablas [Trommeln] sowie für Lead- und Bassgitarre gehörten zu einer wirklich einzigartigen Neuinterpretation verschiedener Songs der Beatles.
Once Over (2010) der in Kroatien geborenen Vlatka Horvat war eine Untersuchung von Verhandlung und Strategie in Form eines Tischspiels zwischen zwei Partnern, die für die Verständigung ausschließlich ihre Hände benutzen durften. Das Spiel auf der Tischplatte wurde vergrößert und mit dem Austauschprojekt auf eine Wand projiziert, so dass die Betrachter in der Lage waren, sowohl in das menschliche Drama der Performance selbst involviert zu sein als auch in die rein audiovisuelle Choreographie der körperlosen Hände zu flüchten.
Zwei weitere größere Projekte waren die Buchpräsentation und die damit verbundene Ausstellung Home Sweet Home von Youmna Chlala und Jeanno Gaussi, ein Ergebnis ihres Künstleraufenthalts in Al Ma’mal früher in diesem Jahr. Im Rahmen einer Kooperation des portugiesischen Künstlers Rigo 23 mit Studenten der internationalen Kunstakademie Palästina entstand ein permanentes Wandbild außen an der Al Ma’mal Foundation.
Das Projekt Junge Palästinensische Künstler zeigte an drei Ausstellungsorten eine starke Werkgruppe der elf Teilnehmer. In Al Hoash gab es Fotografien von Yazan Khalili und Installationskunst von Nisreen Najjar zu sehen. Dima Houranis N’Oreal (2010) bestand aus einem Cocktail aus Kosmetikartikeln, Globalisierung und Besatzung, während Inass Yassin einen Teil eines fortlaufenden Projekts über die Geschichte und den Verlust von Kinos in Palästina präsentierte. Ebenfalls in Al Hoash befand sich Mirna Bamiehs entzückende Archivinstallation Peeking Bag, Peeking Back (2010), bei der man durch winzige Löcher einer hängenden Schachtel Objekte betrachten konnte, die in mit farbigem Wasser gefüllten Gefäßen aufbewahrt werden. Zu diesen ungewöhnlichen Farbspritzern passte die optimistische Heiterkeit von Eiscreme, einer aus zehn Gemälden bestehenden Serie von Mohamed Fadel im Französischen Kulturzentrum. Im Gegensatz dazu war 2010 … 67… 48… (2010) von Karim Abu Shaqra ein erschütterndes Werk, gemalt auf vier Tafeln und gezeigt auf der kompletten Rückwand des African Community Centre. Die Arbeit stellt Details von Konflikten unerschrocken sehr direkten Porträts und Aspekten von Normalität gegenüber und erzielt eine ziemlich starke Wirkung in diesem beeindruckenden architektonischen Raum, in dem sich darüber hinaus ebenso aufwühlende Skulptur von Randa Mahda und Fotografie von Mohammed Hawajiri befanden. Die letzten Werke dieses Projekts waren Salama Safadis unheimliches Video einer Erfahrung an einem Checkpoint, heimlich aufgenommen mit einem Mobiltelefon, und Mouayad Amlehs transportable Bushaltestelle für Palästinenser, die sich nicht mehr an den öffentlichen Haltestellen nahe der Siedlungen der West Bank aufhalten dürfen.
Die Jerusalem Show präsentierte auch diverse Filmvorführungen und Künstlergespräche. In den Räumen von Al Ma’mal selbst sind Gemälde von Khaled Jarrar und Asad Azi sowie Fotografien von Jamal Jamaliev und Issa Freij zu sehen gewesen, wozu das Bild gehörte, das ursprünglich das Plakatmotiv der diesjährigen Schau sein sollte. Offenbar aufgrund von Befürchtungen hinsichtlich des Risikos, dass das Bild als zu provokativ wahrgenommen werden könnte, entschied man sich für eine andere Plakatgestaltung, der jedoch ein intensiver Emailaustausch im Beirat von Al Ma'mal vorausging. Das endgültige Poster nimmt auf die ursprüngliche Bildauswahl Bezug, indem es Textauszüge aus dieser Emailkorrespondenz verwendet. Das Ergebnis ist eine geniale visuelle Synopse der Selbstzensur im Kontext der militärischen Okkupation.
Valerie Grove
Künstlerin und Autorin, lebt in London, Vereinigtes Königreich.
In Zusammenarbeit mit Palestinian Art Court - al Hoash
Kunstprojekte von:
Anonymous, Karim Abu Shakra, Moayed Amleh, Asad Azi, Mirna Bamieh, Taysir Batniji, Bahar Behbahani, Youmna Chlala & Jeannette Gaussi, Mohamad Fadel, Sarah Faruki, Issa Freij, Mohamad Hawajiri, Dima Hourani, Khaled Jarrar, Yazan Khalili, Martin Lebioda, Randa Madah, F. Zahir Mibineh, Ariane Michel, Nissrin Najjar, Michael Rakowitz, Rigo 23, Raeda Saadeh, Salama Safadi, Inass Yassin
Performances:
Uriel Barthélémi, Vlatka Horvat, Sabreen Band (ein Projekt von Michael Rakowitz)
Die Jerusalem Show IV
1. - 9. Oktober 2010
Kunstprojekte an 12 Orten der Altstadt von Jerusalem.