Mein Selbst, wie im Leben; oder wie in dem Licht, das die Dunkelheit überstrahlt; wie im menschlichen Dasein, bescheiden - oder mit der Arroganz der Macht - über die Natur triumphierend; und sogar wie der sorglose Zugvogel, der seinem vorbestimmten Kurs folgt. Im Suha Shomans jüngster Videoarbeit kommen all diese Aspekte in einer kraftvollen, symbolhaltigen Folge von Bildern zusammen, an deren Ende sich der Zuschauer zu atmen besinnt.
In einer dunklen Katakombe evoziert das Spiel von Finsternis und Licht und der begleitenden Schatten Leben, so wie es am Anfang der Schöpfung gewesen sein muss. Ein dicker, milchig weißer Lichtstrahl wird von einer transparenten Welle gekreuzt, die ihn zitternd an einem Brechungspunkt trifft. Am Anfang durchsichtig, nimmt das schüchterne Glimmern nach und nach eine materielle Dimension an, wird zu einer organischen, lebenden, atmenden Kreatur. Gefangen im unterirdischen Raum bewegt sich der Strahl mehr und mehr, pulsiert, löst sich schließlich im Rhythmus unendlicher Linien eines wie ein Gong tönenden Stakkatos (vielleicht einer Abendglocke) auf, das sein Wesen betont. Wie ein Körper in Agonie verliert sich das windende Muster und verdichtet sich wieder in einem erstaunlichen Spiel, das gängige Regeln und reglementierte Vorstellungen herausfordert und peinigt.
Ein einsamer Vogel fliegt herum und versucht, seinen Weg im Schema der Dinge zu finden. Momente der Ruhe wechseln mit dramatischen Klängen, meisterhaft gewählt, um das Bild zu betonen, die Bedeutungen zu intensivieren und Gefühle der Ehrfurcht zu hervorzurufen. Das Licht tanzt, wird zu Wasser, stagniert, dann leckt es an unbekannten Ufern. Durch die Bewegung des Lichtes und die begleitenden Töne ist in jedem Moment das Pulsieren eines riesigen Herzens zu spüren. Das Leben ist permanent wahrnehmbar, seine physische Präsenz ist deutlich gegenwärtig oder schwingt unterschwellig mit.
Muster höchst unerwarteter Gestalt geben dem Licht unendlich viele Verkörperungen des Lebens. Materie und Form ändern sich ständig: Licht, Wasser, Rauch, wieder Wasser. Zuweilen erscheinen die Formen wie Vögel im Flug, der einsam flatternde Vogel vom Anfang vervielfacht sich bei dem Versuch, sich aus der Finsternis zu befreien. Die Verwandlung geschieht nahtlos, wird zum Spiel eines Schöpfers, der die Dinge genüsslich geschehen lässt.
Der graue Hintergrund, eingangs von geübten Sinnen als harter Stein wahrgenommen, wird allmählich weicher. Seine körnige Struktur erscheint bald wie ein Schwamm, der vom Wasser und vom Licht lebt, die ihn umspülen. Oder wie sich im Wasser wiegende Korallen, organische Materie, zum Leben erwacht durch das zitternde, furchtsame Licht, das später kraftvoll über sie hinwegwogen wird und sie zu einem Teil des lebenden Universum werden lässt.
Erneut überschneiden sich die Lichtstrahlen, trennen sich wieder, vereinen sich in einem einzigen breiten, gleißenden Strahl, der triumphierend in die Freiheit drängt und aus der Gefangenschaft der Höhlenfinsternis entweicht. Gemeinsam mit ihm fliegt der einsame Vogel weg, bricht aus den Ketten der Dunkelheit aus, bestätigt sich selbst als das Leben, das "überall" ist.
Das Video dauert 8:36 Minuten. Es hätte so lang sein können, wie die Zeit der Schöpfung. Oder wie die Zeit, die der Zuschauer braucht, um die tief hinter den metaphorischen Bildern verborgenen Bedeutungen wahrzunehmen. In zeitlicher Hinsicht ist es ein flüchtiger Moment in der Ewigkeit, aber es hinterlässt mehr als nur einen kurzlebigen Eindruck. Es zeugt von den philosophischen Auffassungen der Künstlerin, ihrer Verwurzelung im Land der Nabatäer und der Zivilisationen, die in diesem Teil der Welt existiert haben, mit all ihren Glaubensvorstellungen und ihren Beiträgen zur Menschheit. Es ist ein Erwachen jeder Art, des Lebens, der Sinne, der Bedeutungen.
Ica Wahbeh über die Arbeit "Ich bin überall".
(Aus dem Englischen: Binder & Haupt)