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Britta Schmitz über Who Knows Tomorrow

Interview mit der Kuratorin

Britta Schmitz, Oberkustodin der Nationalgalerie, ist eine maßgebliche Mitinitiatorin des Projekts "Who Knows Tomorrow", für das sie zusammen mit Udo Kittelmann und Chika Okeke-Agulu das kuratoriale Konzept entwickelte und umsetzte. Im August 2010 fragten wir sie nach dem Zustandekommen der Idee, den Hintergründen und dem Kontext dieser ungewöhnlichen Ausstellung, die Arbeiten von vier Künstlern und einer Künstlerin afrikanischer Herkunft an und in vier Häusern der Nationalgalerie in Berlin präsentiert.

Haupt & Binder: Wie ist die Idee zu diesem Projekt entstanden?

Britta Schmitz: Die Idee zu diesem Projekt entwickelte sich aus verschiedenen parallelen Interessen. Schon seit längerer Zeit erweitern wir die Ausstellungstätigkeit der Nationalgalerie, die zwar immer international gewesen ist, jetzt aber mit tatsächlich globalem Blick geplant wird. Nachdem wir bereits mehrere Ausstellungen von Künstlerinnen und Künstlern aus China, Australien, Afrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten gezeigt haben [siehe die Liste ganz unten], dachte ich, wir sollten auch genauer in Richtung Afrika schauen. In internationalen Ausstellungen hatte ich hin und wieder starke Arbeiten von Künstlern afrikanischer Herkunft gesehen, die meines Erachtens aber noch nicht so gut gewürdigt oder wahrgenommen waren, wie ich mir das gewünscht hätte. Als die Afrika-Initiative des deutschen Bundespräsidenten begann, waren wir also bereits gut vorbereitet und hatten das Thema schon seit längerem im Kopf. Gleichzeitig sind wir in den Verständigungsprozess über eine Abteilung für die Kunst Afrikas am Kunstgeschichtlichen Institut der Freien Universität Berlin involviert gewesen, denn die Nationalgalerie versteht sich selbstverständlich auch als eine Wissenschaftsinstitution.

Haupt & Binder: Bei "Who Knows Tomorrow" handelt es sich nicht um eine der üblichen Ausstellungen im Hamburger Bahnhof. Die Arbeiten der fünf Künstler werden in bzw. an vier, auch vom Profil her verschiedenen Museen gezeigt, die zur Institution der Nationalgalerie gehören. Drei davon sind weithin sichtbare, ortsspezifische Installationen an herausragenden Stätten deutscher Kunst, wodurch die Werke eine bestimmte Bedeutungsebene erhalten. In Ihrem Text im Reader wiesen Sie auch auf die geografische "Zersiedelung" der Nationalgalerie durch die Teilung Berlins sowie darauf hin, dass jetzt gerade durch ein Projekt von Künstlern afrikanischer Herkunft erstmals wieder ein öffentlich erkennbarer Zusammenhang zwischen diesen Orten hergestellt wird. Wie kam es zu der ungewöhnlichen Entscheidung, nur wenige Künstler auszuwählen und deren Werke auf so prägnante Weise zu präsentieren?

Britta Schmitz: Tatsächlich ist es so, dass die Nationalgalerie mit ihren unterschiedlichen Häusern im Osten und Westen der einstmals geteilten Stadt auch zwanzig Jahre nach der formellen Wiederherstellung der deutschen Einheit noch immer viel zu wenig als eine einzige Institution wahrgenommen wird. Deshalb sollte mit diesem Projekt zeitgenössischer Künstler der räumlichen Trennung etwas Verbindendes vorangestellt werden, und zugleich wollten wir einen übergreifenden Diskurs über die komplexen Fragen des Nationalen und ihren Zusammenhang mit der Konstitution des Globalen anregen. Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands hatten sich an der Nationalgalerie Debatten über die nationale Identität und die Repräsentation der Kunst entzündet. Mit "Who Knows Tomorrow" kommen zu den West-Ost-Blickrichtungen, aus denen solche Diskussionen geführt wurden und auch weiterhin werden, neue Dimensionen und Perspektiven hinzu. Durch die temporäre "Besetzung" derart markanter Kunstorte in der deutschen Hauptstadt durch "Afrika" beziehungsweise von dort stammende Künstler sollte ein anderer Dialog angestoßen werden, ausgehend vom Reiz der Wahrnehmung, der in Reflexion übergeht. Die Künstler sind ja nicht etwa ausgewählt worden, damit sie sich, wie in so vielen heutzutage üblichen Ausstellungen, zu vermeintlich typisch "afrikanischen" Themen äußern, die man hierzulande aus den immer wiederkehrenden Medienberichten zu kennen glaubt. Vielmehr thematisieren sie wesentlich weiter gefasste Fragen über Identität, Globalisierung und Geschichte, die unsere Sicht auf uns selbst und auf bestimmte Kapitel der Vergangenheit dieser Stadt und dieses Landes in einer Weise betreffen, die den meisten kaum bewusst ist.

Haupt & Binder: Damit meinen Sie gewiss die Verstrickungen Deutschlands in die Kolonialgeschichte Afrikas. Im Rahmen des Projekts wird insbesondere auf die "Berliner Konferenz" von 1884/85 hingewiesen, bei der die Kolonialmächte auf Einladung des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck im Reichskanzlerpalais in der Wilhelmstraße zusammenkamen, um Afrika unter sich aufzuteilen und die heute noch existierenden Grenzen des Kontinents zu ziehen. Haben Sie als Veranstalter das Gefühl, dass die Ausstellung von der Öffentlichkeit tatsächlich als eine Aufforderung verstanden wurde, sich gründlicher mit diesem Thema auseinanderzusetzen?

Britta Schmitz: Wir haben ja auch deshalb Außenarbeiten gewählt, damit die Aufforderung zum Dialog für jeden sichtbar ist und man nicht erst das Museum betreten muss, um der Kunst zu begegnen. Bei den vielen Führungen, die wir gemacht haben, ist sehr unmittelbar zu bemerken gewesen, wie sich die Leute mit dem Thema auseinandersetzen und sich ins Gedächtnis rufen, was und wie wenig sie eigentlich über den Kolonialismus wissen. Beeindruckend ist zum Beispiel auch, dass sich in der Friedrichswerderschen Kirche, die schon immer ziemlich gut besucht war, die Besucherzahlen durch "Who Knows Tomorrow" verdreifacht haben. Dort werden die Arbeiten von Yinka Shonibare MBE gezeigt, darunter seine Installation "The Scramble for Africa", die sich direkt auf die Berliner Konferenz von 1884/85 bezieht. Als die Künstlergruppe HAJUSOM im Rahmen ihrer Beschäftigung mit Fragen der Rezeption das Publikum letzte Woche drei Tage lang an den verschiedenen Ausstellungsorten befragte, konnte auch sie das große Interesse, mehr über die Verstrickungen Deutschlands in die Kolonialgeschichte zu erfahren, feststellen. Immerhin ist dieser Vorgang, dass sich Kolonialmächte zusammensetzen und einen ganzen Kontinent ohne die Beteiligung eines einzigen einheimischen Vertreters unter sich aufteilen, ein in der Weltgeschichte einmaliger Akt. Wenn jetzt in der deutschen Hauptstadt Künstler afrikanischer Herkunft weithin sichtbar darauf aufmerksam machen, wird ein weiteres Mal ein überkommenes westliches Monopol des Erinnerns gebrochen, und das hiesige Publikum muss akzeptieren, selbst hinterfragt zu werden.

Haupt & Binder: Zieht die Nationalgalerie aus der Erfahrung mit diesem Projekt bestimmte Schlüsse für die weitere Arbeit und künftige Ausstellungen? Gibt es Überlegungen, solche Art von Projekten fortzusetzen oder bestimmte Aspekte weiterzuverfolgen?

Britta Schmitz: Wenn man sich als Kuratorin ein Konzept überlegt, muss man sich gezwungenermaßen in dessen diverse Facetten hinein vertiefen. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist die Frage, wessen Geschichte wir eigentlich im Bewusstsein haben. Es gibt viele interessante Künstler auch in anderen Teilen der Welt, die sich mit der Tragweite einer solchen Frage beschäftigen und demzufolge reichlich Möglichkeiten, an solchen Themen weiterzuarbeiten. Zum Beispiel denken wir gerade über ein Projekt nach, bei dem es um die Bestimmung von Territorien geht, etwa wann und in welcher Form diese in Karten und Atlanten festgehalten wurden. Darin fließen Erfahrungen mit dem Reader zu "Who Knows Tomorrow" ein, in dem wir sehr viel solches Faktenmaterial zusammengetragen und aufbereitet haben.

Auch den Gedanken, die Zersiedelung der Nationalgalerie als eine Konsequenz des Zweiten Weltkriegs und der Teilung Deutschlands und Berlins bewusst zu machen und durch Kunstwerke zu hinterfragen, werden wir sicher weiterführen. So wie viele andere Geschichten, die man nicht kennt, ist den meisten Leuten ja auch die Geschichte der Nationalgalerie selbst nicht bekannt.

Haupt & Binder: Wird sich solch ein Projekt auch auf die Sammlung auswirken, d.h. gibt es Überlegungen, Werke afrikanischer Künstler für die ständige Sammlung der Nationalgalerie zu erwerben?

Britta Schmitz: Die Teilnehmer des Projekts "Who Knows Tomorrow" schätzen wir als großartige Künstler, egal ob sie afrikanischer Herkunft sind oder nicht. Ihre individuelle Stärke war für uns ein wesentlicher Grund, sie eben nicht in einer Gruppenausstellung zusammenzufassen, sondern in großen Einzelprojekten zu präsentieren. Und tatsächlich werden sie als einzelne Künstler wahrgenommen, und insbesondere die Arbeiten im Außenraum sind so markant und anziehend, dass sich Tausende Touristen davor fotografieren. Natürlich wären uns Werke jedes Teilnehmers dieses Projekts in der Sammlung hoch willkommen, ganz ohne das Label Afrika, eben so wie die vielen Arbeiten anderer internationaler Künstler, die von der Nationalgalerie wegen ihrer künstlerischen Qualität angekauft worden sind.

Who Knows Tomorrow

Ein Projekt der Nationalgalerie - Staatliche Museen zu Berlin
4. Juni - 26. Sept. 2010

Künstler:

El Anatsui
Zarina Bhimji
António Ole
Yinka Shonibare
Pascale Marthine Tayou

Kuratoren:

Udo Kittelmann
Nationalgalerie - Staatliche Museen zu Berlin

Chika Okeke-Agulu
Princeton University, USA

Britta Schmitz
Nationalgalerie - Staatliche Museen zu Berlin

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