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Interview mit der Künstlerin anlässlich ihrer Retrospektive, die 2015 im Centre Pompidou begann. Von Christine van Assche.
Sep 2016Nachdem Mona Hatoums große monographische Ausstellung 2015 im Centre Pompidou in Paris zu sehen war, wurde sie vom 4. Mai bis 21. August 2016 in der Tate Modern in London gezeigt. Vom 7. Oktober 2016 bis zum 26. Februar 2017 ist sie im Kiasma in Helsinki, Finnland, zu sehen.
Die Schau mit dem Titel Mona Hatoum ist von Christine Van Assche, Chefkuratorin des Centre Pompidou, Clarrie Wallis, Kuratorin für moderne und zeitgenössische britische Kunst der Tate und Katy Wan, Assistentkuratorin an der Tate Modern, kuratiert worden. Organisiert wird die umfangreiche Wanderausstellung vom Centre Pompidou, Musée National d’Art Moderne, Paris, in Zusammenarbeit mit der Tate Modern, London und der Nationalgalerie Finnlands / Museum für Zeitgenössische Kunst Kiasma, Helsinki. Zur Präsentation in London erscheint ein Katalog der Tate Publishing, und es wird ein Vortrags- und Veranstaltungsprogramm angeboten.
In einer von Widersprüchen, geopolitischen Spannungen und vielfältigen ästhetischen Auffassungen getriebenen Welt offeriert uns Mona Hatoum ein künstlerisches Schaffen von unübertroffener Universalität, ein Oeuvre, das für zahlreiche Künstler unserer Zeit zu einem "Modell" geworden ist. Die in Palästina geborene britische Künstlerin ist eine der Schlüsselfiguren der internationalen Kunstszene. Ihr Werk zeichnet sich durch die Relevanz ihres Diskurses aus, durch das perfekte Zusammenspiel von Formen und benutzten Materialien, den multidisziplinären Aspekt ihres Schaffens und ihre einzigartige, engagierte Neuinterpretation zeitgenössischer Kunstbewegungen (Performance, kinetische Kunst und Minimalismus).
Nachdem das Centre Pompidou vor 20 Jahren die erste Museumsausstellung von Mona Hatoum ausgerichtet hat, widmet es ihr nun ihre erste große monographische Schau, in der über 100 Arbeiten vertreten sind und die den multidisziplinären Aspekt ihres Schaffens von 1977 bis 2015 umspannt. Ohne irgend eine chronologische Abfolge, ähnlich einer "Karte" ihrer Laufbahn, bietet die Ausstellung dem Publikum eine Reise durch ihre künstlerische Produktion, basierend auf formalen und sensitiven Affinitäten zwischen den Werken. Auf diese Weise sind die Performances der 1980er Jahre - dokumentiert in Fotos, Zeichnungen oder Videos - im Zusammenhang mit den Installationen, Skulpturen, Zeichnungen, Fotografien und Objekten von den späten 1980er Jahren bis in unsere Zeit zu sehen.
Mona Hatoum, geboren 1952 im Libanon als Kind palästinensischer Eltern, verließ das Land 1975 für einen kurzen Aufenthalt in London, gerade als in ihrer Heimat der Krieg ausbrach. Sie blieb in der britischen Hauptstadt und begann, Kunst zu studieren. Ihr Schaffen gliedert sich in zwei Hauptperioden. Während der 1980er Jahre erkundete sie die Bereiche Performance und Video. Ihr Schaffen war in jener Zeit narrativ und auf soziale und politische Fragen fokussiert. Seit den 1990er Jahren gehören mehr "permanente" Werke zu ihrer künstlerischen Produktion - Installationen, Skulpturen und Zeichnungen. Mona Hatoum, die sich nunmehr als Teil der Avantgarde empfand, beschäftigte sich mit von kinetischer Kunst und phänomenologischen Theorien beeinflussten sowie anderen Installationen, die als post-minimalistisch definiert werden können, wozu sie in der industriellen Welt (Gitter und Stacheldraht) oder in ihrer eigenen Umgebung (Haare) gefundene Materialien benutzte. Einige dieser Installationen und Skulpturen, von denen die meisten eine politische Dimension haben, sind vom Feminismus erfüllt. Es entstehen irgendwie surrealistische Objekte, mit ungewöhnlichen alltäglichen Materialien produzierte Arbeiten auf Papier oder auf Reisen aufgenommene Fotografien, die eine Beziehung zu anderen Werken der Ausstellung haben. Die Kuratorin der Schau im Centre Pompidou sprach mit der Künstlerin:
Christine van Assche: Sie haben 23 Jahre im Libanon verbracht, wo sie geboren wurden, und nun leben sie schon 40 Jahre lang zwischen Großbritannien und Berlin. Wie positionieren Sie sich selbst zwischen diesen verschiedenen Kulturen, zwischen dem Nahen Osten und dem Westen, oder besser gesagt, wo situieren sie ihr Schaffen?
Mona Hatoum: Ich denke nicht, dass man mein Werk in solchen Begriffen sehen sollte. Ich finde es schade, wenn Leute an mein Werk mit der Idee herangehen, es mit meiner Herkunft zu verknüpfen. Das schränkt deren Interpretation ein und steht den formalen Feinheiten und der umfassenden Erfahrung im Wege, die mein Werk bieten kann. Ich nutze in meiner Arbeit Geometrie, Abstraktionen und die formale Sprache der Kunst. Die großen Installationen, die ich seit den frühen 1990er Jahren geschaffen habe, beziehen sich auf Architektur, die Strukturen von Macht und Kontrolle, die ich im Westen beobachtet habe. Meine Wurzeln liegen im Nahen Osten. Meine gesamte Schulbildung absolvierte ich in Beirut, einer kosmopolitischen Stadt, wo ich auf eine französische Schule ging, meine Ausbildung an einer italienischen Schule beendete und dann auf eine amerikanische Universität ging. Also lange bevor ich den Libanon verließ, war ich schon einer weiten Bandbreite vielschichtiger Einflüsse ausgesetzt. Dergleichen ist typisch für die postkoloniale Situation in arabischen und nordafrikanischen Regionen, wo die Verbindung multipler kultureller Einflüsse die Psyche mit ihrer Komplexität und ihrem Reichtum nähren. Ich habe schon zwei Drittel meines Lebens in England verbracht, und es ist nicht ganz so lange her, dass ich damit begann, meine Zeit zwischen London und Berlin zu teilen. Deswegen habe ich eine hybride kulturelle Erfahrung, eine plurale Existenz, und ich denke, das spiegelt sich deutlich in der Vielfalt von Formen und Ansätzen in meinem Schaffen wider.
CVA: Was meinen Sie damit, wenn sie sich auf die "Strukturen westlicher Macht" beziehen?
MH: Die ständige Überwachung einer Gesellschaft ist eine der ersten Angelegenheiten, die mich betroffen machten, als ich in England ankam. Ende der 1970er Jahre brachte mich mein Engagement für feministische Gruppen dazu, Machtbeziehungen zu untersuchen, die zu allererst durch die Kluft zwischen den Geschlechtern existierten, und widmete ich mich jenen, die auf Beziehungen zwischen Rassen beruhen. Mir fiel auch auf, dass die bürokratische Institution, der ich zu jener Zeit angehörte (University College, London), ein Mikrokosmos kolonialer Macht war. Diese Beobachtung veranlasste mich, die Beziehung zwischen dem Westen und der Dritten Welt zu analysieren. Zu jener Zeit las ich Foucault und Bataille, und neben anderen Mechanismen staatlicher Kontrolle interessierte ich mich außerordentlich für Panopticon und Überwachungskonzepte.
CVA: Ihr gesamtes Schaffen zieht die Betrachter in eine komplexe Beziehung hinein, die nichtsdestotrotz in den Performances, Skulpturen und Installationen ganz verschieden ist. Wie entwickeln Sie diese Einbeziehung?
MH: Ich möchte die Aufmerksamkeit der Leute auf einen visuellen und physischen Ansatz lenken, so dass ihre Assoziationen oder Interpretationen plötzlich einem physischen Kontakt mit dem Werk entspringen. In meinen Performances hatte ich eine direkte Beziehung zum Publikum, aber als ich begann, Installationen zu schaffen, wollte ich erreichen, dass die Körper der Betrachter an die Stelle meines eigenen treten. In sehr großen Installationen, die hinsichtlich ihrer Fläche ziemlich beeindruckend sein können, wird der Betrachter nach und nach ein Teil des Raumes und der formalen Elemente des Werkes und fühlt letztendlich so etwas wie Instabilität oder Gefahr. Bei den Skulpturen, besonders wenn sie die Formen von Haushaltsgegenstände annehmen, können die Betrachter ihre eigenen Körper auf das Werk projizieren und sich vorstellen, wie sie diese selbst nutzen. Die Tatsache, dass diese Werke in nutzlose und bedrohliche Objekte verwandelt wurden, veranlasst uns, die Sicherheit der Welt, in der wir leben, infrage zu stellen.
CVA: Wie sind die Performances in der Ausstellung präsentiert?
MH: Eine Auswahl von insgesamt zehn Performances wird in Fotografien, Skizzenbüchern und beschreibenden Texten dokumentiert. In der Ausstellung werden auch vier Videoaufnahmen von Performances gezeigt, die den überwiegenden Teil der Arbeiten repräsentieren, die ich während der 1980er Jahre zusammen mit den Videoarbeiten produziert habe. Alles wird über die Ausstellung verteilt, um so zusammen mit mehr formalen, experimentellen Installationen und Skulpturen eine andere Perspektive und Erfahrung des Besuchs zu vermitteln.
CVA: Sie haben verschiedene Videos produziert, die nichts mit Performances zu tun hatten. Entsprechen diese einer bestimmten Phase ihres Schaffens oder spezifischen Erkundungen?
MH: In den 1980er Jahren habe ich neben meinen Performances, zu denen oft ein Element eines Live-Videos gehörte, verschiedene Videos produziert, die eine Erweiterung dessen waren, was ich zu jener Zeit tat, basierend auf zeitlicher Abfolge und Narration. Das erste jener Videos, So much I want to say, bestand aus einer Performance mit einer Slow Scan Satellitenübertragung, produziert 1983 in Vancouver und Wien. Ich verwendete auch während der Performance Under siege (1982) in Super 8 gefilmte Sequenzen, um Chaos in den zweiten Teil des Werkes Changing parts (1984) einzubringen. Außerdem habe ich gewisse Elemente eines Ausschnitts aus einer komplexen Performance mit dem Titel Mind the Gap (1986) komplett neu konfiguriert, um 1988 das Video Measures of Distance zu schaffen. Seit damals produziere ich Installationen und Videos, in denen es um das Problem der Überwachung geht, wie Corps étranger (Foreign body) [ein 1994 für das Centre Pompidou entstandenes Werk, das im selben Jahr in dessen Sammlung aufgenommen wurde, Anm. d. Red.], zusammen mit einer Reihe von Installationen, für die ich mit einer Überwachungskamera Töne und Aufnahmen von der Straße in Echtzeit in die Ausstellungsräume projizierte.
CVA: In der Ausstellung wird eine Reihe beeindruckender Installationen gezeigt, die hinsichtlich des Materials und ihrer Beziehung zum Raum und zum Betrachter minimalistisch sind. Was repräsentieren diese Installationen in ihrem gesamten Schaffen? Wie ordnen Sie diese in die minimalistische Bewegung ein?
MH: In den großen Installationen setzte ich die Geometrie des Kubus, Reihung und Wiederholung wie formale minimalistische Systeme ein. Aber wenn der Kubus zu einem Käfig und das Gitter zu einer Barriere wird, dann hören sie auf, abstrakt zu sein: Sie beziehen sich auf Gefangenschaft, Kontrolle und letztendlich auf die Architektur des Gefängnisses. Einige dieser Installationen, wie Light Sentence (1992), sind performativ und nutzen Licht, Schatten und Bewegung, um den Raum zu destabilisieren. Andere, wie Map (clear) (2015), beziehen ein instabiles Material ein - in diesem Falle Glasmurmeln -, um den Boden unter unseren Füßen in eine trügerische Oberfläche zu verwandeln. Deshalb ist das Werk nur auf einer formalen und ästhetischen Ebene minimalistisch. Es ist nicht selbstreferenziell, sondern offen für Interpretationen, und oft bezieht es sich auf die Instabilität und Konflikte in der Welt, in der wir leben.
CVA: Sie produzieren auch Objekte, die noch stärker auf dem Surrealismus aufzubauen scheinen und einen deutlichen Ansatz von Humor haben. Ist das Ihrerseits beabsichtigt?
MH: Humor hat in meinem Schaffen immer eine wichtige Rolle gespielt. Ich habe ihn oft mit einem Hauch von Surrealismus verbunden, um gewissen ernsthaften Themen in meinen ersten Werken etwas entgegenzusetzen oder diese zu dämpfen. Das ist der Fall in Roadworks, einer Performance von 1985, in der ich barfuß durch die Straßen von Brixton lief und schwere Polizeistiefel hinter mir her zog, oder in dem Bild mit dem Titel Over my dead body, in dem das Symbol des Maskulinen auf ein Spielzeug in Form eines kleinen Soldaten reduziert ist. Evident ist es auch in solchen Skulpturen wie Jardin Public (1993), Untitled (wheelchair) (1998-99) und T42 (gold) (1999). Es kann auch in einer Reihe von Skulpturen gefunden werden, in denen ich harmlose Küchengegenstände zu surrealistischen Proportionen vergrößerte und zu bedrohlichen Wandschirmen oder Betten umwandelte. Surrealismus interessiert mich, weil ich ihn als eine Visualisierung der Widersprüche und Komplexität sehe, die in uns wohnen, und als einen Weg, um Kunst ausgehend von einer intimen Realität statt von unserem logischen Denken zu machen. Das Konzept des Unheimlichen oder des vertrauten Dinges, das verstörend oder sogar bedrohlich wird, weil man es mit einem gewissen Trauma assoziiert, trat auf die eine oder andere Weise oft in meinem Schaffen auf.
CVA: Welchen zeitgenössischen Künstlern fühlen sie sich besonders nahe?
MH: Die Künstler, die mich in den verschiedenen Phasen meiner Laufbahn inspiriert haben, sind Marcel Duchamp, René Magritte, Meret Oppenheim, Agnès Martin, Eva Hesse und Félix Gonzáles-Torres, obschon es noch viele andere gibt.
Christine van Assche Chefkuratorin, Musée National d'Art Moderne, Centre Georges Pompidou, Paris
Nafas dankt Christine van Assche und dem Centre Pompidou für die Genehmigung zur Übernahme des Textes, der zuerst auf der Website des Centre Pompidou veröffentlicht wurde. Mona Hatoum hat die englische Version für Nafas redigiert.
Mona Hatoum
Kiasma, Helsinki,
7. Oktober 2016 - 26. Februar 2017
Frühere Stationen:
Centre Pompidou, Paris
24. Juni - 28. September 2015
Tate Modern, London
4. Mai - 21. August 2016