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Interview mit Hind El Ayoubi, Konservatorin am Museum Mohammed VI für moderne und zeitgenössische Kunst in Rabat nach dessen Eröffnung.
Von Elisabeth Piskernik | Dez 2014>> Französische Version / En français
Lange hat es gedauert, bis das Museum Mohammed VI für moderne und zeitgenössische Kunst in Rabat am 7. Oktober 2014 endlich seine Pforten öffnete. Ursprüngliche gewagtere Baupläne, die dem Konzept einer solchen Kunstinstitution besser entsprochen hätten, sind verworfen und durch eine eher traditionelle Architektur ersetzt worden. Auch Personalrochaden als Folge von Unstimmigkeiten bei der Verwirklichung von Ausstellungskonzepten verzögerten die Eröffnung. Einer der letzten Verantwortlichen, der für die Konzeption der ersten Ausstellung zuständige Kurator Mohamed Rachdi, schied kurz vor der Eröffnung aus dem Team aus. Doch ist es gerade ihm zu verdanken, dass das konventionell geratene Museum inhaltlich dennoch einige positive Überraschungen bietet. So gelang es unter seiner Ägide, die ursprünglich geplante Tiefgarage in einen adäquaten Raum für zeitgenössische Kunst umzuwandeln, die in den eleganten Hallen des Museums keinen angemessenen Platz gefunden hätte. Der Kunstkritiker Farid Zahi spricht von einer Befreiung aus der Vision Lyauteys, der zufolge das Kunsthandwerk die tragende Kunst Marokkos sei. Von außen betrachtet lässt das Museum keineswegs den Willen zu einer solchen Befreiung erkennen, innen hingegen ist ein gewisser Aufbruch zu neuen Horizonten spürbar.
Wie kann das Museum die kulturelle Landschaft Marokkos innovativ bereichern und sich an der Demokratisierung der Kunst beteiligen? Welchen Herausforderungen muss sich eine solche Institution stellen, welche Projekte sind für die Zukunft geplant? Hind El Ayoubi, Konservatorin des MMVI, gibt im folgenden Interview Einblicke in die geplanten Strategien.
Elisabeth Piskernik: Das Museum Mohammed VI ist das erste Museum Marokkos ausschließlich für moderne und zeitgenössische Kunst. Welcher Grundgedanke steckt dahinter?
Hind El Ayoubi: Dieses Projekt wurde auf Initiative seiner königlichen Hoheit Mohammed VI ins Leben gerufen und spiegelt seine angestrebte Kulturpolitik wider. Deren Ziel ist die Entwicklung von kulturellen Initiativen in Marokko, die mit der erforderlichen Infrastruktur auf hohem Niveau ausgestattet werden sollen. Die Errichtung des MMVI ist ein historischer Akt, in dem sich mehrere Neuerungen verbinden: Es handelt sich nicht nur um das erste nationale Museum für moderne und zeitgenössische Kunst in Marokko, sondern auch um das erste Museum des Landes, das seit der Unabhängigkeit als solches erbaut wurde und internationalen Normen gerecht wird. Dessen Ziel ist klar: Es soll Rahmenbedingungen für eine Konservierung und Verbreitung unseres kulturellen Erbes bieten und dabei das zeitgenössische Kunstschaffen fördern, um Demokratisierung und kulturelle Entfaltung zu unterstützen.
EP: Das Museum wurde mit einer großen temporären Ausstellung marokkanischer Künstlerinnen und Künstler eröffnet. Können Sie Genaueres über die Auswahlkriterien und die gezeigten Werke sagen?
HEA: Die Fondation Nationale des Musées hat Mohamed Rachdi mit dem Kuratieren einer ambitionierten Ausstellung beauftragt. Unter dem Titel "1914-2014 Cent ans de création" nachzeichnet sie die Geschichte der modernen und zeitgenössischen marokkanischen Kunst nach. Für diese Retrospektive wählte der Kurator ausschließlich marokkanische Künstler aus, wahrscheinlich um die inhaltliche Bandbreite der gezeigten Werke einzugrenzen und ganz sicher um das Museum in seinem marokkanischen Kontext zu verwurzeln. Nur mit einem auf uns selbst gerichteten Blick können wir uns dem Anderen annähern, um schließlich die Frage der Identität zu beantworten. Im Übrigen inspirierten sich die marokkanischen Künstler schon immer durch unterschiedliche Einflüsse, und die Spur dieser Vielfalt findet sich in ihren Werken wieder.
Diese Eröffnungsausstellung bietet also einen historischen Überblick mit Kunstwerken als chronologischen Meilensteinen. Welches Werk war für seine Epoche das repräsentativste? Welches innovative Element hat es in seinem historischen Kontext hervorgebracht? Was ist das Spezifische an diesem Werk und was erzählt es? … Dieses Spektrum an Fragen bildete für den Kurator die Grundlage für die Auswahl der Werke, um eine Ausstellung zu konzipieren, welche die realen und symbolischen – dem historischen Kontext innewohnenden - Charakteristika repräsentieren sollte. Bei den so ausgewählten Werken handelt es sich zum größten Teil um hierzulande selten oder de facto noch nie gezeigte Arbeiten. Dafür waren umfassende Recherchen erforderlich. Diese Ausstellung kam fast ausschließlich – mit Ausnahme einiger Schenkungen – durch Leihgaben von Institutionen, Privatpersonen und Künstlern zustande.
EP: Nach welchen Kriterien wurde die Sammlung zusammengestellt und welchem Profil entspricht sie?
HEA: Derzeit verfügt das MMVI über kein entsprechendes Budget, wobei sich dieses Manko insofern als positiv erweisen könnte, als dass es uns erlaubt, ausgehend von konkreten Kriterien und mit dem nötigen historischen Abstand eine Sammlung zusammenzustellen. Selbstverständlich müssen wir in Zukunft eine fachlich einwandfreie Strategie für den Ankauf von Werken implementieren und ein Expertengremium einsetzen. Auch wenn unsere Vorgehensweise dabei noch nicht eindeutig feststeht, sind wir der Meinung, dass die Eröffnungsausstellung "1914-2014 Cent ans de création" eine gute Voraussetzung für unsere zukünftige Sammlung bietet, nämlich das Hauptaugenmerk auf Werke mit historischem Wert zu richten. Wir werden uns also vorerst besonders auf historisch bedeutsame Arbeiten konzentrieren, die zeitgenössische Kunst aber ebenfalls im Blick behalten, denn diese ist unser Kulturerbe von morgen. Und obwohl die Eröffnungsausstellung ausschließlich der marokkanischen Kunst gewidmet ist, wird unsere künftige Sammlung auch Künstlerinnen und Künstler aus anderen Teilen der Welt einbeziehen.
HEA: Die Eröffnungsausstellung wird mindestens sechs Monate laufen. Während dieser Zeit werden wir die Details des weiteren Programms entwickeln. Einen groben Überblick können wir aber schon heute geben: Um einem großen Publikum moderne und zeitgenössische Kunst näherzubringen, planen wir mehrere Gruppen- und Einzelausstellungen, ebenso Präsentationen neuer künstlerischer Ausdrucksformen. Darüber hinaus sind wir um einen internationalen Dialog bemüht und möchten dementsprechend Ausstellungen mit renommierten Kunstschaffenden anderer Länder organisieren.
Um zum besseren Verständnis moderner und zeitgenössischer Kunst beizutragen, werden solche Aktivitäten wie Diskussionsrunden und Konferenzen mit Experten aus dem Kunstbereich stattfinden. Es ist unser erklärtes Ziel, fundierte und tiefgreifende Überlegungen zur modernen und zeitgenössischen Kunstproduktion anzustellen und diese zu vermitteln, nicht nur in unserem Land, sondern über dessen Grenzen hinaus.
Ebenso ist es uns ein Anliegen, unser Angebot auf künstlerische Ausdrucksformen auszuweiten, die über den Bereich der visuellen Kunst hinausgehen, so z.B. Theateraufführungen, die für das Museum adaptiert und fragmentarisch dargeboten werden könnten. Es soll auch Lesungen und Filmvorführungen geben. Die angeführten Beispiele sind keineswegs vollständig, unser Interesse gilt allen Bereichen der Kunst. So werden auch Veranstaltungen zu Architektur, Kunstgewerbe, Musik etc. einen Platz in unserem Kalender haben.
Ein Grundanliegen ist die Kunstvermittlung für Kinder und Jugendliche. Ein Partnerschaftsabkommen mit dem Erziehungsministerium wird bereits realisiert, und wir arbeiten eng mit Schulen und Vereinen zusammen, um einem jungen Publikum ein ihrem Alter entsprechendes Programm bieten zu können. Das Wecken eines Interesses und die Sensibilisierung für künstlerisches Schaffen sowie das Kennenlernen unseres Kulturerbes stehen im Mittelpunkt unserer diesbezüglichen Aufgaben.
EP: Eine Institution wie das Museum nimmt eine Sonderstellung im kulturellen Leben ein und spielt somit eine wichtige Rolle in der marokkanischen Gesellschaft. Welche Aufgabe muss das Museum gegenüber den Marokkanerinnen und Marokkanern erfüllen? Welche Strategien zur Kunstvermittlung und zum Verständnis von moderner oder zeitgenössischer Kunst werden angewandt?
HEA: Wir sind uns unserer Aufgaben und der damit verbundenen Arbeit für eine Sensibilisierung vollkommen bewusst und implementieren daher einen Reihe von Strukturen, die das Bedürfnis nach Kultur wecken sollen. Meine Ausbildung als Ethnoarchäologin hat mich gelehrt, dass es keine Gesellschaft, keine Kultur ohne Produktion, ohne künstlerisches Schaffen gibt, und gleichermaßen kann es keine künstlerische Kreation ohne Kultur geben…Es gibt keine Bildung ohne Kultur. Deshalb ist lebenslange Bildung im Bereich von Kunst und Kultur ein maßgeblicher Faktor der Kulturpolitik.
Somit verstehen wir das MMVI – abgesehen von seinen spezifischen Aufgaben wie Konservierung, Förderung und Verbreitung – als einer Institution für die Entwicklung und Vermittlung hochwertiger Kulturprojekte. Mit dem Wunsch nach einer Demokratisierung von Kultur - auf gemeinsamen Werten und einer gemeinsamen Geschichte beruhend - streben wir danach, ein aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten zusammengesetztes Publikum anzusprechen. Um dieses Ziel zu erreichen, leistet unser Team wichtige Vermittlungsarbeit, damit sich alle Besucherinnen und Besucher im Museum wohl fühlen. Deshalb überarbeiten wir den Inhalt des gesamten Informationsmaterials, um ihn für ein großes Publikum verständlicher zu machen. Damit wollen wir den oft schwer verständlichen Fachjargon vermeiden, der die Gefahr in sich birgt, ein nicht entsprechend vorgebildetes Publikum auszuschließen. Mit dem gleichen Grundgedanken, das Museum dem Publikum nahe zu bringen, werden wir auch regelmäßig Umfragen unter den Besuchern durchführen, um ihren Ansprüchen und Erwartungen gerecht zu werden. Darüber hinaus werden wir auch den verschiedenen Besuchergruppen angepasste Eintrittspreise verlangen, damit alle Marokkanerinnen und Marokkaner ins Museum gehen können.
Die kulturelle Infrastruktur in Marokko, insbesondere im Bereich der zeitgenössischen Kunst, ist ziemlich eingeschränkt. Sind Kooperationen mit lokalen Partnern vorgesehen, die Synergien bewirken und die lokale Kulturszene beleben könnten? Wie könnte ein solches Kooperationsmodell aussehen?
HEA: Unser Museum als wichtige kulturelle Einrichtung in Rabat gliedert sich natürlich in die Struktur der Stadt mit ihren teils öffentlichen, teils privaten Initiativen ein. Es ist unsere Pflicht, eine zentrale Rolle im Kulturangebot zu spielen und gemeinsam mit den bereits vorhandenen kulturellen Einrichtungen ein gezieltes, kohärentes und ansprechendes Kulturangebot zu erarbeiten, um die marokkanische Kunst- und Kulturszene ins rechte Licht zu rücken.
Wir bauen auf diesem fundierten Netzwerk an Partnern auf, denken aber auch daran, unsere Kontakte auszuweiten und Vereine, Schulen, Gefängnisse, Krankenhäuser usw. einzubeziehen. Wir sind für alle Vorschläge und Kooperationen offen, die das Museum der Öffentlichkeit näherbringen können. In dieser Hinsicht ist auch das Konzept des Museums extra muros ein geeignetes Mittel, unterschiedliche Publikumsgruppen anzusprechen. Die Idee besteht darin, Meisterwerke aus der Sammlung des Museums an verschiedenen Orten außerhalb des Museums zu zeigen. Auch Wanderausstellungen mit Reproduktionen könnten Teil unseres Angebots sein. Man darf nicht vergessen, dass allein die Beschaffenheit des Museums einschüchternd wirken kann, dass seine architektonische Form die Durchschnittsbesucher auf Distanz halten könnte. Projekte wie die oben genannten können die vorherrschenden Vorurteile überbrücken, da sie dem Bauwerk den sakralen Charakter nehmen und das Publikum von klein auf mit der Institution Museum vertraut machen.
Elisabeth Piskernik
Gründerin und Leiterin des Kunstraums Le Cube - independent art room in Rabat, Marokko. Diplom in Kunstgeschichte der Universität Wien.
Die Eröffnungsausstellung
"1914-2014 Cent ans de creation"
gibt eine Übersicht über die Geschichte der modernen und zeitgenössischen Kunst Marokkos.
Kurator: Mohamed Rachdi