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Eines der wichtigsten Kunstzentren Indonesiens. Interview mit Kurator Agung Hujatnikajennong.
Von Pat Binder & Gerhard Haupt | Nov 2010Mit dem Selasar Sunaryo Art Space (SSAS) hat der Künstler Sunaryo seinen lange gehegten Traum verwirklicht, sich stärker in die Entwicklung der Künste Indonesiens einzubringen und diese zu fördern. Das Wort "selasar" bedeutet "Veranda" und steht für das Gestaltungskonzept: einen offenen Raum, der alle willkommen heißt, die in diesem einzigartigen Umfeld an den Hängen des Dago-Hügels im Norden von Bandung, nicht weit vom Zentrum der Hauptstadt von Westjava (über 7,5 Millionen Einwohner), der zeitgenössischen Kunst begegnen möchten. Der Selasar Sunaryo Art Space wurde 1993-1997 nach Entwürfen von Sunaryo und BaskoroTedjo erbaut und ist seit September 1998 für das Publikum geöffnet. SSAS ist heute einer der Hauptakteure des Kunst- und Kulturgeschehens in Indonesien.
Interview mit Agung Hujatnikajennong, Kurator des Selasar Sunaryo Art Space:
Haupt & Binder: Die 1990er Jahre sind für Indonesien ein schwieriges Jahrzehnt gewesen. Könnten Sie den Kontext der Gründung dieses Kunstzentrums näher erläutern?
Agung Hujatnikajennong: Ich möchte mit meiner persönlichen Erfahrung beginnen. 1997, als ich noch Student war und der Künstler Sunaryo an der Universität lehrte, erfuhr ich von den Plänen, diesen Kunstraum zu betreiben. Dann kam die Asienkrise mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die Wirtschaft unseres Landes, und die Einweihung musste verschoben werden. Die Eröffnung am 5. September 1998 fand auf eine ganz besondere Weise statt. Wie Sie sicher wissen, kam es in Indonesien nach der ökonomischen Krise zu einem politischen Wandel als Studentenproteste zum Sturz des Suharto-Regimes führten. Unmittelbar vor der Öffnung ist die Situation im Lande wegen der vielen Tumulte, Studentenproteste, Morde schrecklich gewesen. Täglich berichteten die internationalen Fernsehsender aus unserem Land und zeigten, dass dieses tatsächlich an einem Tiefpunkt angekommen war. Das inspirierte Sunaryo dazu, der Eröffnungsausstellung den Titel "Titik Nadir" (Der Tiefpunkt) zu geben und sich zu entschließen, alle seine Werke und Teile des Gebäudes mit schwarzen Stoffen zu verhüllen.
H. & B.: Erzählen Sie uns mehr über Sunaryo selbst.
A. H.: Sunaryo gehört zur "Schule von Bandung", die als die Repräsentantin der modernen Kunst Indonesiens insbesondere von den 1960er bis zu den 1980er Jahren gilt. Er ist nicht nur Maler und Bildhauer, sondern erlangte auch durch die Errichtung von Denkmälern und die Realisierung von Auftragswerken für die Regierung Anerkennung. Aber es war tatsächlich seine Idee, einen Raum zu bauen, von dem er sich erhoffte, ein Zentrum nicht nur für sein eigenes Werk, sondern ebenso für andere indonesische Künstler und für ein breites Publikum zu werden. Dieser Raum sollte dazu beitragen, Defizite in der Infrastruktur der Kunst auszugleichen.
H. & B.: Was geschah nach dieser äußerst bemerkenswerten Eröffnung und wann kamen Sie dazu?
A. H.: Nach der Eröffnung gab es eine Periode eines gewissen Vakuums, in der nur die verhüllten Werke zu besichtigen waren sowie Erweiterungen und Renovierungen des Gebäudes ausgeführt wurden. Ich wurde 2001 eingestellt, gleich nach meinem Universitätsabschluss. Schon davor konnte ich drei Jahre lang als Assistent von Asmudjo Jono Irianto, der für die Galeri Soemardja des Technologischen Instituts Bandung zuständig war, einige Erfahrungen sammeln. Ich habe das Angebot, hier als Kurator zu arbeiten angenommen und war darüber sehr glücklich.
Bis 1999 beschränkten sich die Aktivitäten auf Kunstausstellungen und Theateraufführen - weil es hier ein Amphitheater gibt -, aber nachdem ich hier zu arbeiten begann, bemühten wir uns darum, das Konzept eines Ausstellungsraums trotz der relativ kleinen Dimensionen mehr in Richtung eines Kulturzentrums zu entwickeln, indem wir andere kulturelle Aktivitäten einbezogen: Musikkonzerte und Filmvorführungen, öffentliche Vorträge und Diskussionsrunden über Architektur, Literatur und natürlich die visuelle Kunst sowie andere Themenbereiche. Tatsächlich gelang es uns, diesen Ort in eine Art Kulturzentrum zu transformieren, aber nicht wie vergleichbare westliche oder europäische Zentren, die Fördermittel staatlicher Instanzen erhalten. Denn das hier ist eine ganz und gar private Initiative, die bis jetzt nicht viel Unterstützung bekommen hat. Im Grunde zahlt Sunaryo alles aus seiner eigenen Tasche. Natürlich kooperieren wir oft mit ausländischen Kulturinstituten wie dem Goethe-Institut, der Japan Foundation, dem französischen Kulturzentrum, British Council, die wir als Partner schätzen, und wir arbeiten auch oft mit der hiesigen Universität, dem Technologischen Institut Bandung, zusammen, wodurch die Finanzierung des Programms beträchtlich erleichtert wird.
Hinsichtlich der visuellen Künste wollte sich Sunaryo von Anfang an besonders den jüngeren Künstlern widmen, weil das damit zu tun hat, dass im Vergleich zu Yogyakarta hier in Bandung nicht so viele Kunstschaffende leben. Deshalb soll das hier ein Raum sein, in dem die jüngere Generation ihre Arbeit vorstellen kann. Ich konzipiere hier ein Jahresprogramm, in das u.a. uns vorliegende Vorschläge der schon genannten ausländischen Organisationen Eingang finden, zum Beispiel Wanderausstellungen oder Konzerte. Bei den von uns selbst entwickelten Aktivitäten fokussieren wir uns in erster Linie auf die visuellen Künste. Wir haben z.B. ein Bandung New Emergence (BNE) genanntes Programm, bei dem in einer alle zwei Jahre veranstalteten Gruppenausstellung vor allem Werke junger Künstler gezeigt werden. Aus diesem Programm wählen wir ein oder zwei Künstler für Gruppenausstellungen im darauffolgenden Jahr aus.
H. & B.: Welches sind Ihre Kriterien bei der Auswahl dieser Künstler? Wenn man seine Laufbahn in einem solchen Kunstzentrum starten kann, mit einer so wunderbar gut besuchten Eröffnung wie der von Wiyoga Muhardanto, bei der wir waren, dann ist das schon ein sehr starker Start und eine enorme Anerkennung.
A. H.: Vielleicht kann ich das nicht sehr gut strukturiert erklären... Das beginnt alles mit der der Schau Bandung New Emergence, bei der es darum geht, das künstlerische Potenzial zu präsentieren, das in der Stadt Bandung in einem bestimmten Zeitraums aus vielfältigen Faktoren - sozialen, kulturellen, ökonomischen, politischen - entstanden ist. Die erste BNE im Jahr 2006 bemühte sich darum, die künstlerische Praxis in Bandung in einer stärker fokussierten und selektierten Präsentation zu kartographieren, wobei Empfehlungen von den Künstlern, Kuratoren und Kritikern, die in den Kunsträumen und "kulturellen Nischen" Bandungs tätig sind, in Betracht gezogen wurden.
Im Jahr 2008 zwang mich die Beschleunigung des Kunstgeschehens in Indonesien, die dann zu einem Boom und blinder Kommerzialisierung geführt hatte, eine neue Strategie zu entwickeln. Deshalb haben wir bei BNE v.2 nicht nur Absolventen der bildenden Künste, sondern auch Architekten, Designer, Musiker berücksichtigt, so dass sich unser Interesse über die "visuellen Künstler" hinaus auf alle jene ausweitete, die dem weiter gefassten Begriff "Schöpfer" zuzuordnen sind, was nach meiner Auffassung eine andere Sicht auf Bandung als einen Ort, an dem kreative Communities interagieren, vermittelte.
Um den gegenwärtigen Stand der Verstärkung von Polarisierung und Fragmentierung künstlerischer Ideen in der Praxis, die Kunstwerke und die Profile der in Bandung gegenwärtig aktiven Künstler erkennbar zu machen, haben wir für BNE v.3 im Jahr 2010 ein einfaches Experiment durchgeführt, eine Simulation, indem wir ein Zusammentreffen von Künstlern verschiedener Generationen arrangierten. Vierzehn Künstler der jüngeren Generation (Bagus Pandega, Banung Grahita, Dilla Martina Ayulia, Dita Gambiro, Endira FJ, Erwin Windu Pranata, Faisal Habibi, Leyla Aprilia, Maradita Sutantio, Mariam Sofrina, R. Yuki Agriardi, Reggie Aquara, Syaiful Aulia Garibaldi, Wastuwidyawan Paramaputra) wurden mit drei Künstlern einer älteren Generation (Nurdian Ichsan, RE Hartanto, Prilla Tania) "wiedervereinigt". Mehrere Monate lang fanden mit diesen drei Künstlern verschiedene Diskussionsrunden über den Prozess der Erarbeitung der Werke der jüngeren Künstler statt.
Das Ergebnis ist ziemlich überraschend gewesen. Beim Workshop traten viele Ansätze und Konzepte in Erscheinung, bei denen es tatsächlich "keine Verbindung" zwischen den jüngeren und den älteren Künstlern gab, was deutlich macht, dass diese jüngere Generation andere künstlerische Ausrichtungen hat. In den 1980er oder 1990er Jahren kann man immer eine klare Beziehung zwischen älteren (z.B. Tisna Sanjaya) und jüngeren (z.B. Isa Perkasa) Künstlern erkennen. Aber jetzt scheint es, als wenn die Kunstschule (ITB) keine zentrale Rolle mehr spielt. Stattdessen sehe ich, dass die Künstler mehr dazu neigen, sich gegenüber globaler Information offen zu verhalten, ganz sicher ist das Internet sehr wichtig für sie, und irgenwie wird es dadurch schwieriger, größere künstlerische Tendenzen in Bandung auszumachen. Die Kunstpraxis in Bandung ist jetzt polarisiert.
Bei der Auswahl von Künstlern für die Einzelausstellung ist es mir wichtig, die Entwicklung ihres Schaffens zu sehen und auch zu erkennen, welchen spezifischen Ansatz sie zu ihren Themen, dem Medium oder Material hinsichtlich der konzeptuellen Voraussetzungen oder künstlerischen Recherchen haben.
H. & B.: Wie sind die Reaktionen des Publikums?
A. H.: In meinem ersten Jahr hörte ich Kommentare von einigen Leuten, die der Meinung waren, dass es angesichts der Situation großer Teile der hiesigen Bevölkerung, die sehr arm sind und wahrscheinlich andere Dinge und Hilfe bräuchten, Verschwendung sei, solch einen luxuriösen Kunstraum zu betreiben. Aber wir antworten auf solche Kritik immer mit dem Hinweis, dass alle Programme für jeden Interessenten frei zugänglich sind. Wir richten Programme für Kinder aus, Workshops für Studenten, Bildungstouren und kooperieren mit einer Stiftung, die Behinderte unterstützt, und vieles mehr. Letztes Jahr hatten wir etwa 35.000 Besucher. Im Durchschnitt wächst die Zahl der Besucher jedes Jahr um 5 bis 10 Prozent.
H. & B.: Wie ist der Kontakt zu den offiziellen Autoritäten im Kulturbereich hier am Ort?
A. H.: Der Rat für Tourismus und Kultur von Banung zieht es vor, solche tradtionellen Ausdrucksformen wie alte Tänze, Puppentheater etc. zu unterstützen. Auf institutioneller Ebene hat es noch keine Zusammenarbeit gegeben. Aber 2008 haben wir von der Regierung eine Auszeichnung als die aktivste Kunst- und Kultureinrichtung erhalten, und das ist ja zumindest eine Anerkennung.
H. & B.: Gibt es irgendwelche heiklen Punkte, bei denen Sie Vorsicht walten lassen müssen? Wir meinen damit, bestimmte politische Aspekte oder irgendwelche anderen kritischen Themen.
A. H.: Natürlich müssen wir sensible Themen berücksichtigen. Wir müssen ja auch an die dauerhafte Existenz dieses Kunstzentrums denken. Bislang hatten wir keine Probleme. 2005 zeigten wir eine von Jim Supangkat kuratierte Schau von Mochtar Apin, der weibliche Akte malt. Aber das ging in Ordnung, es gab keine Proteste oder Ablehnung seitens des Publikums. Ich denke, das hängt alles auch davon ab, wie es uns gelingt, die Bildungsaspekte zu kommunizieren.
H. & B.: Was würden Sie als ihre größte Leistung bezeichnen, worauf sind Sie ganz besonders stolz?
A. H.: Ich persönlich bin immer stolz darauf, meiner kuratorialen Rolle gerecht zu werden, trotz der fehlenden formalen Ausbildung auf diesem Gebiet. Ich bin nicht als Kurator geschult worden, ich habe alles durch die Praxis erlernt. Kuratoriale Arbeit bedeutet im Grunde nichts anderes als zwischen Kunst und Publikum zu vermitteln.
H. & B.: Im Jahr 2009 kuratierten Sie als Teil der Jakarta Biennale die Ausstellung Fluid Zones, die ein riesiger Erfolg war. Was ist bei der Realisierung dieser Schau im Vergleich zu Ihrer Erfahrung in Selasar Sunaryo die größte Herausforderung für Sie gewesen?
A. H.: Hinsichtlich der Herausforderungen, für die Jakarta Biennale zu arbeiten, denke ich, dass wir noch viele Defizite bei der Infrastruktur und menschlichen Ressourcen haben, die eine gute Organisation internationaler Biennalen erschweren. Das mag ebenso für andere Biennalen zutreffen. Ich finde, eine Biennale oder Triennale kann nur einen messbaren Beitrag leisten, wenn sie als ein langfristiges Programm oder Projekt konzipiert und implementiert ist. Schon von Anfang an müssten die Veranstalter in der Lage sein, einen klaren Fahrplan aufzustellen und als Ganzes geplante Managementmechanismen stufenweise etablieren. Kontinuität und Koherenz der Entwicklung von Format, Thema, Form und Größe, die von Edition zu Edition gelten sollen, sind sehr wichtig. Diese Parameter sollten auch für die Jakarta Biennale gelten. Ich bin mir darüber im Klaren, wie dringend visionäres Denken, gute und solide Organisation, Anstrengungen und adäquate Finanzierung gebraucht wird, um eine ideale Durchfürung einer Biennale zu erreichen. Zu den vielen komplexen Fragen bei der Planung der Jakarta Biennale als dem Schlüsselevent des Kunstrates von Jakarta gehört die Existenz "institutioneller Barrieren", die unter den gegenwärtigen Umständen schwer abzubauen sind. Der Kunstrat verschleppt die Organisation von einer Periode zur nächsten, und das mit immer wieder anderen Vorstellungen seines Managements von den zu realisierenden Aktivitäten. Das macht aus der Jakarta Biennale derzeit eine Veranstaltung ohne klare Agenda. Das ist eine große Herausforderung, die in der Zukunft dringend bewältigt werden muss.
H. & B.: Welches sind Ihre nächsten kuratorialen Projekte?
A. H.: Zu den Projekten, an denen ich gegenwärtig arbeite, gehört eine Einzelausstellung von Tisna Sanjaya (ab 3. Dezember 2010 in der NUS, Singapur), eine Schau zum 10. Jahrestag von ruangrupa (mit dem Titel "ruru und Freunde", ab dem 28. Dezember 2010 in der Nationalgalerie, Jakarta) und eine Einzelausstellung von Jompet Kuswidananto (Februar 2011, wahrscheinlich in der Ark Galerie, Jakarta, und in Selasar Sunaryo, Bandung). Das bedeutet für mich eine hektische, aber auch sehr spannende nächste Zeit.
Pat Binder & Gerhard Haupt
Herausgeber von Universes in Universe - Welten der Kunst. Leben in Berlin.