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Domestic Tourism II kombiniert Szenen ägyptischer Filme mit den Pyramiden als Repräsentationen des wechselnden Zeitgeists.
Sep 2009In Domestic Tourism I & II (Inlandstourismus) interessiert mich nicht der Tourismus an sich, sondern vielmehr eine exemplarische visuelle Repräsentation von Kairo in einem weiteren Sinne und wo sich diese mit persönlichen Erfahrungen überschneidet und durch solche vermittelt wird. In der Foto-Serie Domestic Tourism I bietet das Genre des touristischen Bildes von Ägypten einen formalen Bezug oder einen Ansatzpunkt für die Untersuchung einer mehr psychologischen Erfahrung mit der Stadt. Diese digital manipulierten Fotos sind kompliziertere, nicht so gut verkäufliche und eher unangenehme Bilder, die das lokal konsumierte Ägypten kommentieren. In diesem Kontext bezieht sich Tourismus auf eine Art des Umgangs mit einem Ort, auf das Konsumieren eines Schauplatzes, sei es durch Ausländer oder Einheimische, und der Titel Domestic Tourism verweist auf eine intime wie auch distanzierte Beziehung, die man zu seiner Umgebung hat.
In Domestic Tourism II ist mein Ausgangspunkt die Repräsentation der Pyramiden im ägyptischen Kino. Mein Interesse an den Pyramiden begann, als ich mir bewusst wurde, wie seltsam es doch ist, dass wir diese gewaltigen minimalistischen Strukturen, die eine so labyrinthische und komplexe Stadt wie Kairo überragen, zwar die ganze Zeit sehen, aber doch nie wirklich. Und auch, wie merkwürdig es ist, dass diese ikonischen Bauten so dicht an der Stadt liegen und in touristischen Darstellungen dennoch aus der Gegenwart und dem Ort verbannt sind, weil sie zumeist vor der unendlichen Wüste als Hintergrund und nur mit Bezug auf die altägyptischen Zivilisationen gezeigt werden. Dann begann ich mich dafür zu interessieren, inwieweit das in ihren filmischen Darstellungen anders ist, ob sie dort in das fortlaufende Leben der Stadt und deren aktive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Gegenwart einbezogen sind.
In der Recherchephase für Domestic Tourism II begann ich nach Filmen zu suchen, in denen die Pyramiden als Hintergrund auftauchen. Um eine Sammlung solcher Filme zusammenzubekommen, fragte ich Leute, ob sie sich an derartige Szenen erinnern. Das Ergebnis ist eine Kollektion einiger der denkwürdigsten Sequenzen, von denen viele zu den dramatischsten Filmszenen überhaupt gehören. Doch stieß ich auch auf eine Menge Banales. Bei der Durchsicht dieser umfangreichen Sammlung gelangte ich zu einer Art Auflistung der den Pyramiden zugeschriebenen symbolischen Bedeutungen bzw. zu "einem fortwährenden Fluss von Bezügen zu einem einzigen Zeichen", wie es der Kurator Bassam El Baroni in einem Interview, das wir kürzlich führten und aus dem sich dieser Text entwickelte, beschrieb.
Viele der an den Pyramiden gedrehten Szenen, oder zumindest derjenigen, an die sich die Leute erinnern, sind politisch ziemlich aufgeladen. Sie stehen in Bezug zu bestimmten Kapiteln der modernen ägyptischen Geschichte, denn die Pyramiden werden im Allgemeinen als ein Symbol Ägyptens verwendet, als eine Konstante, der die heutige Zeit gegenübergestellt wird, zum Einen als Gegensatz zu einer glorreichen Vergangenheit - und das sind überwiegend Szenen nostalgischen Gejammers, vor allem seit den 1970er Jahren, bei denen die korrupte Gegenwart (also die Regierung oder die Gesellschaft an sich) einer imaginierten ruhmreichen Vergangenheit gegenübergestellt wird. Zum Anderen erscheinen die Pyramiden als ein Kontinuum jener glorifizierten Vergangenheit, vor allem in Filmen aus den 1950er und 1960er Jahren, als die Spaltung zwischen der "Nation" und dem "Staat" für kurze Zeit ausgesetzt war und eine Rhetorik der nationalen Einheit überwog.
Bei der Arbeit an Domestic Tourism II bemühte ich mich darum, nicht zu stark in das Material einzugreifen, deshalb blieb ich bei dem, was ich für die am wenigsten interventionistische Methode und Komposition hielt, nämlich einer chronologischen Struktur. Der Film beginnt mit den jüngsten Szenen, die ich hatte, geht zurück zu der ältesten Szene und steigt dann wieder an bis in die Gegenwart, in einer Art, die als pyramidale Struktur gesehen werden kann. Die Zeitschiene ist 2000er - 90er - 80er - 70er - 60er - 50er - 60er - 70er - 80er - 90er - 2000er. Ich wollte mit der Gegenwart beginnen und aufhören, so dass der Film nicht zu einer Lobpreisung einer romantischen Vergangenheit gegen eine raue Gegenwart gerät, sondern stattdessen die Vergangenheit besucht und deren verschiedene Formulierungen in einer wechselnden Gegenwart zeigt. Natürlich musste ausgewählt werden, welche Szenen einzubeziehen oder wegzulassen waren. Dabei ließ ich im wesentlichen das weg, was ich für Wiederholungen hielt.
Dem Film eine solche chronologische / pyramidale Struktur zu geben war nicht nur eine (trockene) konzeptionelle Präferenz. Diese historische Chronologie ist zugleich eine gefühlsmäßige und bringt emotionale Struktur und Rhythmus in den Film ein, weil das sich an den Pyramiden abspielende Drama im Laufe der Zeit allmählich zu- oder abnimmt. Der Film beginnt mit jüngeren Szenen aus den 2000er Jahren mit einem leichteren und oberflächlicheren Verhältnis zu sozialen und politischen Themen, aber alsbald verschärft sich der Ton, wenn wir uns rückwärts durch die 90er, 80er und 70er Jahre mit einem stärkeren Engagement des Kinos für die raue politische und soziale Wirklichkeit bewegen. Die Spannung wird dann aufgelöst durch die Szenen aus den 1960er und 1950er Jahren, die einen politischen und sozialen Frohsinn zelebrieren, wo die Pyramiden meist als Kulisse einer feiernden und gefeierten Mittelklasse agieren. Hier gelangen wir zu den ältesten Szenen, die ich gefunden habe, zum Wendepunkt, nach dem die Spannung wieder ansteigt, wenn wir uns erneut durch die traumatischen politischen und ökonomischen Umbrüche der späten 1960er Jahre, die bis in unsere Zeit fortdauern, bewegen. Der graduelle Anstieg und das Nachlassen der Intensität der Szenen strukturiert den Film in einer Weise, die das Ganze anschaubar macht, weil der Film wirkt, als hätte er eine Einführung, einen Mittelteil und ein Ende.
"Aber es ist wirklich interessant", sagte Bassam el-Baroni in dem schon erwähnten Interview, "dass du die minimalistische Natur von Ägyptens bekanntestem Zeichen und die Trennung zwischen der mathematisch metaphysischen Natur seines Gewichts und seiner Präsenz und der scheinbar losen und ungebundenen Struktur der soziopolitischen Realität Kairos erwähnt hast. Würdest du sagen, dass eine merkwürdige Metaphysik im Spiel ist, wenn die Pyramiden in Szenen ägyptischer Filme als Hintergrund erscheinen?"
Jetzt antworte ich darauf: Ich finde es bemerkenswert, dass du einige der "mathematischen und metaphysischen" Aspekte dieses Zeichens in westlichen Filmen angesprochen siehst, wo die Pyramiden z.B. in etlichen Sciencefictionfilmen oder solchen Filmen erscheinen, die irgendwie oberflächlich an den philosophischen Fundamenten altägyptischer Zivilisationen herumstümpern, während diese Aspekte im ägyptischen Kino wie auch in anderen Formen der massenhaften Wissensproduktion hierzulande kaum aufgegriffen werden und eine nationalistische Geschichtsschreibung die einzige Darstellungsweise ist, in der die Pyramiden sehr prominent erscheinen und passend eingebaut sind.
Wenn man jedoch die verschiedenen und zahlreichen Kurzauftritte der Pyramiden im ägyptischen Kino zusammenbringt, wo sie eingesetzt werden, um den Geist der Zeit auszudrücken, sei es im Sinne einer sozialen und politischen Feier oder aber Frustration, dann könnte man dahin gelangen, dass ihre konstante "mathematische und metaphysische" Präsenz im Hintergrund vor dem wechselnden soziopolitischen Vordergrund betont wird. Und möglicherweise kommt es zu einer Umkehrung und der Hintergrund gestaltet den Vordergrund um oder interpretiert ihn neu, und nicht andersherum.
"Das heißt also, Domestic Tourism II stellt irgendwie diese Nische heraus, wo eine Art unterdrückter oder eher latenter Metaphysik Spannung erzeugt und gegen ein Schema des Nationalismus steht?"
Meine neu überlegte Antwort darauf lautet: Ich finde, wenn sich solche abstrakten minimalistischen Strukturen abzeichnen, und das als Teil des urbanen Gewebes dieser Megalopolis, ist das fast surreal, zumindest im visuellen Sinne. Und direkt zur letzten Frage: ja, das wäre schön.
Domestic Tourism II, 2008
Video, 60 Min.