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Verehrer und Angebetete. Werkgruppe, präsentiert in der Ausstellung \"Love Affairs\".
Von Rose Issa | Jan 2004Chant Avedissians Monotypien sind inspiriert von bekannten Bildern und reflektieren eine andere Art von Liebe: Seine Liebe gilt einer vergangenen Zeit, dem Ägypten der 50er Jahre, einer Zeit, in der die ägyptischen Stars in der gesamten arabischen Welt verehrt wurden. Gefeiert wurden Sängerinnen wie die legendäre Diva Oum Kalsoum, "der Stern des Orients", deren Liebeslieder von einigen der größten Dichter ihrer Zeit geschrieben wurden und deren Aufnahmen noch immer, mehr als 25 Jahre nach ihrem Tod, in den Top of the Charts sind; oder Oum Kalsoums Rivalin Asmahan, die schöne Drusenprinzessin, deren Ehen nie lange dauerten und die unter tragischen Umständen ums Leben kam. Verehrt wurden Oum Kalsoums einzige männliche Rivalen, zumindest hinsichtlich ihrer Popularität, Präsident Gamal Abdel Nasser, der Vater des arabischen Nationalismus, und König Faruk, der letzte ägyptische König, der 1953 im Alter von 32 Jahren abdankte. Angebetet wurden seine Schwester, die schöne Fawzia, Tochter und Schwester eines Königs und selbst persische Königin, der Schlagerstar Dalida, bevor sie in Paris zur Blondine wurde, der Schauspieler Zaki Rostom als "böser Bube" oder die Schauspielerin Fatem Hamama als "ehrbare Frau", Hind Rostom als Sexsymbol oder Tahiya Carioca als die sinnlichste Tänzerin und zahlreiche andere berühmte Stars aus der goldenen Ära des ägyptischen Films. Sie alle und ihre zahllosen Fans, einfache Leute, erscheinen in Chant Avedissians Welt, die in einer Zeit angesiedelt ist, in der Aufbruchstimmung herrschte, Optimismus und sozialistischer Idealismus, als Nassers Arabische Republik Hoffnung auf eine bessere Zukunft versprach, als Arbeitsplätze entstanden und als die Frauen das Wahlrecht erhielten.
Avedissian verbindet die Bildwelten des Ägyptens des 20. Jahrhunderts mit Symbolen der pharaonischen Zeit, mit geometrischen und abstrakten Mustern der islamischen Kunst und mit barock anmutenden floralen Motiven aus der ottomanischen Kunst. In seinen großformatigen Schablonenbildern durchdringen und überlagern sich Bilder von historischen Personen, Namen, Landschaften, Alltagsgegenstände und Symbole. Die mit heimischen Pigmenten gemalten und mit handgefärbtem Stoff gesäumten Bilder sind nostalgische Beschwörungen einer vergangenen Zeit.
Sich künstlerisch mit bereits verstorbenen Persönlichkeiten auseinanderzusetzen hat nichts zu tun mit Unschuld oder Naivität: die meisten Personen, die Chant Avedissian ins Bild setzt, haben seine Kindheit geprägt. Seine Arbeiten rufen das ins Bewusstsein zurück, was in Ägypten seit einigen Jahrzehnten ignoriert wird, seien es historische Monumente, die wie Luxor, Assuan oder das Tal der Könige unter der Umweltbelastung leiden, seien es berühmte Straßenzüge, Alltagsgegenstände, geliebte Tiere oder verehrte Berühmtheiten. Mit Humor und einer ihm eigenen Leichtigkeit erinnert Avedissian an bessere Zeiten und an ein kulturelles Erbe nicht nur Ägyptens, sondern der gesamten arabischen Welt, das nicht in Vergessenheit geraten sollte.
Avedissian hat zehn Jahre lang mit dem ägyptischen Architekten Hassan Fathy zusammengearbeitet und ist sicherlich beeinflusst von dessen Ansätzen, die denen Gandhis nahestehen. Avedissians intensive Beschäftigung mit Volkskunst, mit Sufismus sowie mit Zen, mit chinesischer und japanischer Philosophie und Ästhetik führten zu seiner heutigen Wabi-Sabi-Lebensform, die er sich immer wieder neu erschafft, wohin immer er auch gelangt in seiner rastlosen, schweifenden Suche.
Rose Issa
Kuratorin, Kunstkritikerin, Autorin; spezialisiert auf bildende Kunst und Film aus dem Nahen Osten und Nordafrika. Lebt in London.
Die hier vorgestellten Arbeiten sind Teil der von Rose Issa für das ifa kuratierten Ausstellung "Love Affairs". Gezeigt in den ifa-Galerien Stuttgart, Bonn und Berlin, Sept. 2003 - März 2004.