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Über das heikle Verhältnis von Kunst und Publikum. Reflexionen über das Symposium der Sharjah Art Foundation.
Von Pat Binder & Gerhard Haupt | Apr 2012Das große Interesse am diesjährigen March Meeting überraschte wohl selbst die Veranstalter. Offenbar folgten wesentlich mehr Gäste der Einladung der Sharjah Art Foundation, als man angesichts des Boykottaufrufs im vergangenen Jahr erwartet hatte. Etwa 80 Kunstspezialisten, Künstler und Vertreter von Institutionen nahmen an den Veranstaltungen aktiv teil. Das sind fast doppelt so viele wie im Vorjahr, weshalb das Programm 2012 überaus dicht gedrängt war.
Diese Symposien und Workshops zu praktischen Aspekten der Produktion und Verbreitung von Kunst vornehmlich der MENASA Region (Naher und Mittlerer Osten, Nordafrika, Südasien) finden in Sharjah seit 2008 alljährlich statt. Drei Tage lang werden Projekte, Aktivitäten, Organisationen und Institutionen vorgestellt, Erfahrungen ausgetauscht, Probleme diskutiert, persönliche Kontakte geknüpft. Es geht dabei weniger um den theoretischen Diskurs als vielmehr um konkrete Bedingungen des künstlerischen Schaffens und seiner Vermittlung sowie um die regionale und internationale Kooperation.
Als die Sharjah Biennale 2003 auf Initiative und unter der Leitung von Hoor Al Qasimi grundlegend neu ausgerichtet wurde, schrieb Antonia Carver (seit 2010 Direktorin der Art Dubai) im Special von Universes in Universe: "Vielleicht wird das Frühjahr 2003 als der Beginn einer neuen Ära der zeitgenössischen Kunst am Golf in Erinnerung bleiben." [1] Bereits wenige Jahre später bestätigte sich dies eindrucksvoll. Das bedeutet, obwohl Sharjah als das konservativste der sieben Emirate der Föderation gilt, verbreitete sich von hier aus ein neues Kunstverständnis in der ganzen Region. Sharjah wurde zu einer treibenden Kraft der Kommunikation und Kooperation zwischen der Golfregion und dem Kunstgeschehen in anderen Teilen der Welt. Ohne den international bestaunten Erfolg und die Offenheit der Sharjah Biennale hätte visuelle Kunst in Dubai und Abu Dhabi wohl kaum einen so hohen Stellenwert erlangt, zumindest nicht innerhalb nur weniger Jahre.
Wer die Editionen der Biennale seit 2003 verfolgt hat, kann ermessen, wie sich die Freiräume für Kunst dort erweitert haben. Die Sharjah Art Foundation trieb diesen Prozess seit 2009 auch durch ein groß angelegtes Produktionsprogramm massiv voran. Ihre Dokumentation listet allein für das Jahr 2011 etwa 60 Projekte und Werke auf, deren Schaffung durch eine solche Förderung ermöglicht wurde.
Darunter befindet sich nach wie vor die Installation Maportaliche / It Has No Importance von Mustapha Benfodil [2]. Die Sharjah Art Foundation steht also ungeachtet des Eklats im letzten Jahr weiterhin zu der von ihr finanzierten Arbeit. Drei Wochen nach der Eröffnung der Biennale 2011 war es deswegen zu Protesten aus der Bevölkerung gekommen. Trotz ihres überaus heiklen Inhalts war die Installation im öffentlichen Raum nahe einer Moschee aufgebaut worden, und das auch noch ohne jegliche Kontextualisierung. Der Herrscher des Emirats machte den künstlerischen Direktor der Biennale, Jack Persekian, dafür verantwortlich und ordnete seine fristlose Entlassung an. Diese Entscheidung und die Zensur an sich wurden wenige Tage später in einer anonymen Protestresolution scharf verurteilt. Sie enthielt einen Aufruf zum Boykott der Sharjah Art Foundation, dessen Tragweite so manchen Unterzeichnern wohl nicht ganz bewusst gewesen sein mag. [3] In einer emotional aufgeheizten Situation vermischten sich verschiedene Aspekte des Problems, und eine sachliche, offen geführte Debatte kam nicht zustande.
Mit dem Wissen um den Konflikt im Vorjahr war man gespannt, inwieweit das Thema beim diesjährigen March Meeting, der ersten großen internationalen Veranstaltung in Sharjah danach, aufgegriffen würde. Immerhin lautete der Titel Working with Artists and Audiences on Commissions and Residencies, und Hoor Al Qasimi hatte in ihrem Vorwort die dringende Notwendigkeit betont, über die "Rolle des Künstlers und die Bedeutung einer Verständigung mit unserem Publikum und dessen Einbeziehung" nachzudenken.
Tatsächlich bemühte sich Judith Greer, Assoziierte Direktorin der Sharjah Art Foundation für Internationale Programme, im zweiten Rundtischgespräch um Erklärungen und Verständnis: "Wie die meisten von Ihnen wissen, wurde das Installationsprojekt von Mustafa Benfodil aus der letzten Biennale entfernt - diese Arbeit war auf einem der ganz und gar öffentlichen Plätze in der Heritage Area platziert. Diese Gegend ist bei Familien und ihren Kindern sehr beliebt, besonders während der Feierlichkeiten zum Heritage Day, die immer im April stattfinden. Das war auch gleich hinter der wichtigsten iranischen Moschee von Sharjah. Die Arbeit enthält eine sehr bildliche Sprache und sexuelle Bezugnahmen, die an öffentlichen Plätzen überall auf der Welt problematisch gewesen wären. Die Entfernung dieser Arbeit führte zu einer breiten internationalen Debatte über Zensur und künstlerische Freiheit. Wie Sie sich alle vorstellen können, ist das für unsere Organisation eine äußerst schwierige Zeit gewesen, und das hat uns veranlasst, über ein weites Spektrum an Themen nachzudenken - im Zusammenhang damit, wie Institutionen mit Künstlern arbeiten und wie sie ihr Publikum in Betracht ziehen sollten. Und tatsächlich kam im Ergebnis dieses Prozesses die Idee auf, über einige dieser Fragen im Kontext des March Meetings nachzudenken."
Leider ist diese Problematik im Verlauf des dreitägigen Treffens dann aber nur ziemlich wenig zur Sprache gekommen. Im Schnelldurchgang präsentierten die meisten Rednerinnen und Redner vor allem ihre Erfolge, statt die Gelegenheit zu nutzen, sich mehr über brisante Fragen des Zusammenpralls von Kunst mit Sensibilitäten des Publikums und den eigenen Umgang mit daraus resultierenden Kontroversen auszutauschen. Dazu hätte z.B. Susanne Pfeffer, Kuratorin am renommierten Berliner KW Institute for Contemporary Art und Teilnehmerin derselben Gesprächsrunde wie Judith Geer, einiges beitragen können. Für alle Anwesenden wäre sicher interessant gewesen zu erfahren, wie die Institution reagierte, als im November 2011 ein Kurzfilm von Artur Żmijewski, Kurator der von den KW organisierten Berlin Biennale 2012, auf Grund von Protesten aus einer Ausstellung in Berlin entfernt wurde. [4] Ein weiteres spannendes Beispiel hätte die Auseinandersetzung um eine für die Berlin Biennale geplante Aktion von Martin Zet sein können. Er wollte 60.000 Exemplare des 1,3 Millionen mal verkauften Buches Deutschland schafft sich ab von Leuten, die den Kauf bereuen, zurücknehmen und "recyceln". Wegen möglicher Assoziationen zu den Bücherverbrennungen der Nazis distanzierten sich sogar diverse Kulturinstitutionen davon und verweigerten ihre Unterstützung. [5]
William Wells, Gründungsdirektor der Townhouse Gallery Kairo, gehörte zu den wenigen, die sich kritisch äußerten. Im Panel Art and Cultural Diplomacy, in dem es u.a. um "Länder oder Organisationen, die Kunst und Künstler in andere Teile der Welt schicken" ging, erläuterte er am Beitrag der USA zur Kairo Biennale 2010, wie gut gemeinte Bemühungen scheitern können, wenn sie die konkreten Bedingungen vor Ort ignorieren. Das von der US-Regierung damit beauftragte Arab American National Museum fasste in den USA lebende Künstler arabischer Herkunft unter einem Konzept zusammen, das stolz deren "Arabischsein" feierte. Aber genau das versuchen die Künstler in Ägypten seit Jahren zu dekonstruieren. Dementsprechend stieß die Schau auf vernichtende Kritik und erwies sich damit als vollkommen kontraproduktiv.
Doch auch trotz bester Kenntnis der lokalen Verhältnisse kann man gerade bei Projekten im öffentlichen Raum durchaus unerwartete Reaktionen des Publikums hervorrufen. Darauf kam Yazid Anani in seinem Bericht über die sehr interessante Ausstellungsreihe Cities des Museums der Birzeit Universität in mehreren Städten Palästinas zu sprechen. Er hat die letzten Editionen zusammen mit Vera Tamari kuratiert und beteiligte sich auch als Künstler daran. [6] 2010 in Ramallah zeigten Emily Jacir und Anani gemeinsam öffentliche Interventionen, die sich auf die Zerstörung gewachsener urbaner Strukturen und die sozialen Implikationen bezogen. Doch eine ironisch gemeinte Werbetafel für den angeblichen Luxusbau eines Al Riyadh Towers provozierte bei der Bevölkerung starke Irritationen und Entrüstung, wurde deshalb zunächst entfernt und konnte nur mit dem ausdrücklichen Vermerk, dass es sich um Kunst handelt, wieder aufgestellt werden. [7]
Beim March Meeting hätte man gern mehr solche Erfahrungsberichte gehört, in denen Probleme bei der Begegnung von Kunst und Publikum nicht ausgepart bleiben. Doch immerhin erhielt man durch viele der fast 40 Programmpunkte (siehe den Überblick) eine Fülle an Einblicken in die Arbeit sowohl von etablierten Institutionen aus einigen europäischen Ländern und den USA als auch von jüngeren Stiftungen und unabhängigen Initiativen aus der Region und aus Subsahara-Afrika, Asien und Lateinamerika. Bei einigen kleineren Organisationen hatte man mitunter den Eindruck, dass sie schneller und flexibler als große institutionelle Apparate auf die konkreten Bedingungen des unmittelbaren Umfelds, in dem sie angesiedelt sind, eingehen können und wollen. Der tägliche Kontakt mit Anwohnern hilft ohne Zweifel, die Wirkung bestimmter Aktivitäten einzuschätzen und die Zielgruppen tatsächlich zu erreichen.
Man darf gespannt sein, ob und wie sich die nächste Sharjah Biennale 2013 wieder mit neuen Kunstprojekten in den öffentlichen Raum wagt. Es bleibt zu hoffen, dass die Veranstalter nicht übervorsichtig werden.
Anmerkungen:
Pat Binder & Gerhard Haupt
Herausgeber von Universes in Universe - Welten der Kunst. Leben in Berlin.
5. March Meeting
Arbeiten mit Künstlern und Publikum über Aufträge und Aufenthalte
17. - 19. März 2012