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Die neuen Arbeiten des Künstlers aus Palästina, Delfina Foundation und Mosaic Rooms, London.
Von Valerie Grove | Jun 2010Jawad Al-Malhi wurde 1969 im Flüchtlingslager Shuafat in Jerusalem geboren. Als Teenager skizzierte er immer wieder die Landschaft und die Leute im Lager und um dieses herum und lernte dabei viel über Form und Komposition. Seine frühen Bilder waren riesig groß und oft auf Säcke von Hilfslieferungen der Vereinten Nationen gemalt.
1987 verstärkte der Ausbruch der ersten palästinensischen Intifada (Aufstand) sein Bedürfnis, das Leben der Leute um ihn herum zu dokumentieren, was 1989 seine erste Einzelausstellung im palästinensischen Nationaltheater zur Folge hatte. Während der 1990er Jahre sind Werke von ihm in zahlreichen internationalen Ausstellungen vertreten gewesen, und er wurde zu Künstleraufenthalten nach Schweden und Frankreich eingeladen. Als sich sein Malstil weiterentwickelte, stellte er jedoch fest, dass er sein lokales Publikum verlor: "Ich glaube nicht, dass irgendjemand damals die 'moderne' Kunst der Abstraktion wirklich verstand. Als meine Werke abstrakter wurden, bemerkte ich, dass ich nicht länger als ein 'vielversprechender' Künstler galt."
(Alle Zitate stammen aus einem Interview mit dem Künstler in der Delfina Foundation am 14. Juni 2010)
Im Jahr 2000 gründete er Offene Ateliers, ein fortlaufendes Projekt für Kunsterziehung im Lager Shuafat und eine Reflexion über seine diesem zugrunde liegende Philosophie hinsichtlich der Rolle der Kunst und des Künstlers: "Kunst sollte für das Leben bestimmt sein und nicht nur irgend etwas, das ein Einzelner zu seinem eigenen Vergnügen macht. Sie muss eine soziale Dimension haben, so dass der Künstler nicht den Kontakt zu seiner Gemeinschaft verliert und dieser etwas zurückgeben kann. So sehe ich das, und das ist die Art wie ich meine Steuern bezahle."
Al-Malhi hatte auch begonnen, mit Skulptur und Installation zu experimentieren, und war fasziniert von den technischen und visuellen Verbindungen zwischen dem Zweidimensionalen und dem Dreidimensionalen. Da er eine Phase der Konzentration für seine Studien brauchte, bewarb er sich darum, 2007 einen Master an der Winchester School of Art zu machen. Angesichts seiner Interessen und der lokalen Distanz zur Abstraktion zog er die Schlussfolgerung, dass eine Reihe von Schwierigkeiten gelöst werden könnte, indem er mehr Gebrauch von der Fotografie macht, einem Medium, das er schon oft als Instrument seiner Erkundungen und Entwicklungen benutzt hatte. Dieser Wechsel konsolidierte sich, als er Fotografie in seiner Abschlussausstellung zeigte, obwohl er seinen MA in Malerei gemacht hatte.
Durch Al-Malhis darauffolgende Beschäftigung mit Fotografie entstand jenes fesselnde Konvolut an neuen Werken, das jetzt an zwei Orten in London gezeigt wird: den Mosaic Rooms der Al-Qattan Foundation und der Delfina Foundation, wo Al-Malhi gegenwärtig einen Künstleraufenthalt absolviert.
Die Werke in den Mosaic Rooms sind in zwei Stockwerken ausgestellt. Die Bilder vom Shuafat Lager in der oberen Galerie ähneln hinsichtlich des Stils und des Konzepts jenen, die 2009 in der Sharjah Biennale zu sehen waren, doch gibt es einige deutliche Unterschiede der Maße und des Fokus. Vier vertikale Bilder scheinen die Beschaffenheit des Lagers selbst zu durchdringen, indem sie das Typische der Betonpfeiler und Stahlarmierungen als Nahaufnahmen herausstellen. Die merkwürdige Loslösung dieser Materialien vom physischen Kontext der Umgebung ist signifikant: "Nach Oslo [dem Friedensprozess ab 1993] und dessen Scheitern wurde der palästinensischen Community bewusst, dass sie feststeckte - dass die 'temporäre' Existenz im Lager ein Dauerzustand ist. Diese soziale Reaktion übertrug sich in eine architektonische, und ich fing an, mich sehr für Beton als ein Zeichen für die Abwesenheit der Idee der 'Nation' zu interessieren. Der Beton, der nach oben wächst, um Raum für künftige Familienmitglieder zu schaffen, wurde ein oftmals verzweifelter Ausdruck der persönlichen Kontrolle über einen sehr kleinen Raum."
Die Perspektive erweitert sich in Gassen hinein, immer mit einem unverkennbaren Farbspritzer. Doch eine Fotografie ist auf den ersten Blick total dunkel, bis sich dann die Figur eines rennenden Jungen in der Finsternis abzeichnet. Er scheint um eine Ecke zu biegen, aber die Dunkelheit der Aufnahme bedeutet, dass für den Betrachter weder eine Ecke noch irgendein anderer Weg sichtbar ist. In der Finsternis wirkt alles wie eine Sackgasse.
Dieses spezielle Bild stellt die Verbindung zur unteren Galerie her, wo die Mehrzahl der Arbeiten nachts entstand. Die wenigen Aufnahmen bei Tageslicht sind einen starker Kontrast dazu und lassen das von der vertikalen Enge des Lagers gefilterte Sonnenlicht verwirrend schön werden. Außer einer Panoramatafel, die das Lager Shuafat von der israelischen Siedlung Pisgat Ze'ev aus gesehen zeigt, sind alle sonstigen Arbeiten auf Leuchtkästen montiert. Zu sehen sind auch vier, immer wieder von vorn abgespielte Videos, die den gesamten Raum mit dem gedämpften und atmosphärischen Sound der Zeit der Dämmerung erfüllen. Wir sehen das Geschehen an einer Tankstelle, die sich in einem langen Metallcontainer befindet; einen Mann, der sein Haus mit gemächlich rhythmischen Pinselstrichen anstreicht; eine Grillparty auf einem Dach und eine Frau, die einen Basketball wieder und wieder in ein Netz wirft. Solch ein legitimierter Voyeurismus bei wiederkehrenden Handlungen, die für die menschliche Existenz stehen, ist seltsam lebensbejahend, aber erneut eröffnet sich auch hier eine andere Geschichte: "Im Lager gibt es keinen öffentlichen Raum, deshalb finden die Grillparty und das Spiel mit dem Basketball auf einem winzigen Dach statt. Die Tankstelle war ein lokales Symbol gerichtlicher Absurdität, weil sie auf einem Stückchen Land platziert ist, das einerseits der Autorität der Vereinten Nationen und andererseits der israelischen Verwaltung untersteht."
Die laufende Vermittlung zwischen Wissen und Interpretation macht die Beziehung zwischen Künstler und Betrachter aus und hebt ein für Al-Malhi zentrales Rätsel hervor, das darin besteht, wie es nur möglich sein kann, dass sein Werk gleichermaßen für ein lokales [inneres] wie auch für ein internationales [außenstehendes] Publikum zugänglich ist: "Es bekommt Reaktionen aus dem Inneren, weil die Leute es sehen können und es auf all diesen verschiedenen Ebenen verstehen. Es widerspiegelt für sie eine absolute Realität. Für Außenstehende ist es ein Kunstwerk, durch das ich sie in die Position von Zeugen bringen kann, und wenn das nicht möglich ist, kann ich zumindest ein gewisses Maß an Neugier hervorrufen."
Der Fokus der Werke in der Delfina Foundation ist die Stadt Jerusalem. Mit Ausnahme eines Archivbildes, das Jerusalem in den frühen 1950er Jahren zeigt, handelt es sich um Videoarbeiten. Diese Weiterführung mit ihren atmosphärischen Parallelen und der zu einem langen urbanen Panorama passenden Präsenz schafft eine direkte Verbindung zu den Mosaic Rooms und vermittelt den Eindruck einer nahtlosen Ausstellung.
Als ein Bruch der üblichen Präsentationsformen sind drei der Videos in kleine Rahmen montiert und so präsentiert, als wenn es Fotografien wären. Doch durch das speziell angefertigte Medium der beiden größeren Werke werden alle Konventionen über den Haufen geworfen. Auf einem davon ist der berühmteste Panoramablick auf Jerusalem vom Ölberg aus zu sehen, während das andere ein Detail des Friedhofs auf dem Ölberg zeigt, aufgenommen mit einer Überwachungskamera. Beide sind Echtzeit-Projektionen auf Aluminium, aber sie verändern sich laufend, da eine dahinter befindliche, nicht direkt wahrnehmbare Platte gefriert und taut, was Muster, Löcher und Kondensationsspuren auf der Oberfläche des Bildes hervorruft. Das Jerusalem-Panorama wird von den vielsprachigen Stimmen der Touristenführer begleitet, von denen ein jeder seine eigene vorgefasste Erzählung über die Stadt zum Besten gibt, und dabei kristallisiert sich heraus, wie die innere Wirklichkeit übersehen wird - die Touristen sind zwar dort, aber sie sehen im Grunde nicht.
Das Werk ist technologisch, konzeptionell und künstlerisch hypnotisierend und vervollständigt den Weg von den Mosaic Rooms zur Delfina Foundation sowohl formal wie hinsichtlich des Ortes. Es ist auch für den Künstler selbst eine Art Ziel: "Ich habe mich immer gefragt, was wohl Kunst für das 'Drinnen' und was Kunst für das 'Draußen' sein mag. Ich habe versucht, darauf zu antworten, und denke, mit diesem Werk bin ich dem nahe gekommen."
Valerie Grove
Künstlerin und Autorin, lebt in London, Vereinigtes Königreich.
Jawad Al Malhi
New Works
11. Juni - 8. Juli 2010
The Delfina Foundation
29 Catherine Place
London
und
The Mosaic Rooms
A.M. Qattan Foundation
Tower House
226 Cromwell Road
London, UK