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Rezension der Biennale im Kontext einer weiteren Polarisierung der Kunstszene in Ägypten.
Von Aleya Hamza | Jan 2007Die 10. internationale Kairo Biennale hätte ebenso gut die 8. oder 9. gewesen sein können. In diesem Jahr hat die Ausstellung wieder einmal den Graben deutlich gemacht, der sich in lokalen Kunstkreisen zwischen den etablierten, mit staatlichen Mitteln unterstützten Kunstinstitutionen – dazu gehört die Biennale – und dem privaten, "unabhängig" genannten Kunstsektor auftut. Wie schon bei den vorangegangenen Biennalen lässt ein deutlicher Mangel an kuratorischer Leitung beim Auswahlverfahren die Arbeiten zusammenhanglos erscheinen, sowohl untereinander als auch im Hinblick auf das internationale zeitgenössische Kunstgeschehen, aus dem heraus die Biennale-Organisatoren doch nach eigenem Bekunden agieren.
Unter dem Titel "Image and Its Time" (Das Bild und seine Zeit) soll die Kairo-Biennale laut Generalkommissar Ahmed Fouad Selim diesmal die Fähigkeit des Bildes erforschen, den Menschen und seine Geschichte darzustellen und die Notwendigkeit, Bilder in ihren historischen Kontext zu stellen.[1] Begleitet wird die Ausstellung von "Collage as a Metaphor", einem dreitägigen Kolloquium, das versucht, sich mit der Collage als "einer Art des Wahrnehmens, des Verstehens und des Ausdrückens einer Wirklichkeit, die nationale und kulturelle Grenzen überwindet" zu befassen.[2] Die Podiumsdiskussionen und Präsentationen behandeln Themen wie asiatische, afrikanische und lateinamerikanische Einflüsse in der westlichen Kunst, die Auswirkungen des Kinos auf die visuelle Kompetenz und das Zusammenspiel von Medien und Kunsthandwerk mit der bildenden Kunst.
Die Hauptausstellung wurde am Abend des 12. Dezember 2006 im Palace of Arts (Palast der Künste) auf dem Gelände des Kairoer Opernhauses eröffnet. Der Palace of Arts, ein mehrstöckiges, labyrinthisches Gebäude, beherbergt den Hauptteil der Werke von 127 Künstlerinnen und Künstlern, die etwa 57 Länder Afrikas, Asiens, Europas sowie Nord- und Lateinamerikas repräsentieren. Mit Ausnahme des italienischen Ehrengasts Pablo Echaurren, mit dessen Serie karikaturenartiger Gemälde die neue Galerie El Bab im benachbarten Museum of Modern Egyptian Art eröffnet wurde, sind die übrigen Kunstwerke in vier Galerien im Souterrain des nahegelegenen Gezira Art Center zu sehen, einem neoislamischen ehemaligen Palast des Prinzen Amru Ismail.
Eine große, mit vereinzelten Graffiti-Motiven versehene Attrappe einer Betonmauer flankiert den Eingang zum Palace of Arts. Mit dieser Arbeit gewann der libanesische Künstler und Choreograph Walid Aouni einen der fünf Hathour-Preise der Biennale. Aouni bildet hier die Mauer nach, die das Westjordanland von den besetzten Gebieten trennt, als "Impression des Terrors und Ausdruck des Protests".[3] Das Werk steht stellvertretend für einen Trend auf der Biennale, mit Projekten zu aktuellen und anhaltenden Problemen besonders in dieser Region direkt politisch Stellung zu beziehen. Ein weiteres Beispiel für diese Herangehensweise sind die Arbeiten des sudanesischen Künstlers Hassan Ali Ahmed Ali, der für seine Serie aus sechs Werken in Mischtechnik, die sich mit der Lage in Darfur befasst, ebenfalls mit einem Hathour-Preis ausgezeichnet wurde.
Weniger direkte Werke bereichern die Ausstellung. In der inneren Galerie des Gezira Art Center projizierte der serbische Künstler Miodrag Krkobabic ein vergrößertes Standbild eines Personalausweises, der auf den ersten Blick wie der des Künstlers selbst aussieht. Bei genauerem Hinsehen merkt man jedoch bald, dass sich das Passfoto auf der linken Seite des vermeintlichen Ausweises auf subtile Weise ständig verändert. Krkobabics konzeptionelle Herangehensweise an die Erkundung des trügerischen Charakters der persönlichen Identität scheint im Vergleich mit vielen anderen der ausgestellten Arbeiten nahezu anachronistisch.
Eines der interessantesten Werke ist in diesem Jahr vielleicht "The Fully Enlightened Earth Radiates Disaster and Triumphal" (Die vollständig erleuchtete Erde strahlt Katastrophe und Triumph aus) des US-amerikanischen Künstlers Daniel Joseph Martinez. Es besteht aus einem würfelförmigen isolierten Raum in leuchtendem Weiß, in dem ein lebensgroßer liegender Androide in regelmäßigen Abständen in epileptische Anfälle verfällt. Mit seiner weißen Kleidung und einem Gürtel, auf dessen Schnalle "NOBODY" zu lesen ist, ist der Androide auf unheimliche Weise menschenähnlich, und in der Tat ist er dem Künstler selbst nachgebildet. Die Arbeit wurde von Ridley Scotts Klassiker "Blade Runner" aus den 1980ern inspiriert (einem Film, der wohl heutige Probleme – von der Gentechnik bis hin zur Macht der Großkonzerne – vorwegnahm) und kann als finsterer, wenn auch verspielter Aphorismus auf Entmenschlichung und das damit verbundene Unbehagen betrachtet werden. Entsprechend war auch das Publikum vor Ort gleichermaßen belustigt wie abgestoßen.
Zu den Werken aus Ägypten gehörten unter anderem eine Reihe großformatiger gegenständlicher Gemälde von Ibrahim Dessouki, die den an den Kunstschulen des Landes propagierten akademischen Prinzipien folgen, sowie die Installation "The Abandoned Cradle" (Die verlassene Wiege) von Abdel El Wahab Abdel Mohsen, in der die Erde als Metapher für den Kreislauf von Leben und Tod dient. Der Künstler George Fikry Ibrahim erhielt einen der fünf Biennale-Preise für ein Video, das im Palace of Arts auf einem großen Plasmabildschirm zu sehen sein sollte.[4] Merkwürdigerweise wurde ungeachtet der Eindringlichkeit ihres künstlerischen Schaffens kein einziger aus der Riege junger ägyptischer Künstler, die während der letzten fünf Jahre Eingang in die internationale zeitgenössische Kunstszene fanden, zur Teilnahme an der Biennale eingeladen.
Um von dem Heer der angereisten Künstler, Kuratoren und Kritiker zu profitieren, wurde während der Eröffnungswoche abseits der Biennale von lokalen Kunstschaffenden und Veranstaltern eine Reihe von Projekten, Präsentationen und Ausstellungen für die Öffentlichkeit organisiert. Besucher durchstreiften das Stadtzentrum von Kairo, um sie sich anzusehen: das groß angelegte, von Ursula Biemann kuratierte und auf Recherchen basierende Gemeinschaftsprojekt "The Maghreb Connection" in der Townhouse Gallery; Amal Kenawys Videoanimation im Espace Karim Francis oder die aus Lara Baladis Projekt "Nomadic Artists" hervorgegangenen Präsentationen im Rawabet-Theater und im Contemporary Image Collective - all das ließ die Polarisierung zwischen dem "Establishment" und der "unabhängigen" Kunstszene deutlicher denn je werden.
Anmerkungen:
Aleya Hamza
Zur Zeit Gastkuratorin am Contemporary Image Collective in Kairo. Schreibt regelmäßig und hält Vorträge über zeitgenössische visuelle Kunst in Ägypten.
10. Internationale Kairo Biennale
12. Dezember 2006 - 15. Februar 2007
Palace of Arts, Gezira Arts Center
Werke von 127 Künstlern aus ca. 57 Ländern
Kurator: Ahmed Fouad Selim