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Herausforderung der geistigen und körperlichen Wahrnehmung. Über Mona Hatoums Ausstellung "Hot Spot".
Von Olivia Hampton | Jan 2007Exil oder Heimat? Kontrolliert werden oder kontrollieren? Gefangen oder frei? Diese widerstreitenden Ungewissheiten machen die Kunst von Mona Hatoum aus.
Die in Berlin und London arbeitende Künstlerin überrascht uns immer wieder; sie entdeckt die Freude im Schmerz, das Fremde im Vertrauten, das Gegenwärtige im Abwesenden. Anlässlich ihrer ersten Londoner Ausstellung seit 2002 werden wir erneut aufgefordert, unsere Identität und traditionelle Machtverhältnisse infrage zu stellen.
Hatoums Arbeiten - sie umfassen Performances, Videos, Skulpturen und Installationen - versetzen den Betrachter in häufig beunruhigende Umgebungen und halten beständig die Erinnerung an die Selbstgefälligkeit des Westens wach. Landkarten und Weltkugeln stellen konventionelle Weltbilder infrage. In Übereinstimmung mit dem Weltatlas von Arno Peters bildet "Projection" (2006) die Länder in ihren tatsächlichen Proportionen ab, anstatt wie üblich Westeuropa und Nordamerika vergrößert darzustellen. Die feinen Konturen des handgeschöpften Papiers mit den durch Prägung erhabenen Wasserflächen unterstreichen die Zerbrechlichkeit und den vergänglichen Charakter von Menschenhand gefertigter Dinge und somit des Menschseins selbst. Auf dieser "Projektion in die Zukunft" scheinen ganze Kontinente eher in Meeren und Ozeanen zu versinken als sich über sie zu erheben.
Währenddessen ist "Hot Spot" (2006; der Titel kann sowohl "Nachtclub" als auch "Krisenherd" bedeuten, Anm. d. Ü.) zugleich bedrohlich und verlockend - die feinen roten Neonumrisse der Kontinente verleiten uns, näher zu kommen, bis uns die starke Hitze eine drohende Gefahr bewusst macht. Das käfigähnliche Erscheinungsbild des Werks mag auf manche ebenfalls feindselig wirken - der Globus ist groß genug, einen Menschen zu verschlingen. Konflikte sind nicht auf entfernte Länder beschränkt. Vielmehr ist die ganze Welt ein "Hot Spot". Das unerbittliche Summen elektrischer Röhren und Sicherungen warnt uns vor gefährlicher Hochspannung. Ein ästhetisch ansprechendes Erlebnis wird zur potenziellen Bedrohung.
In "Cube" (Würfel, 2006), ebenfalls Teil der in der Galerie White Cube präsentierten Werke, greift Hatoum eines ihrer Lieblingsthemen auf - Käfige. Während der vergangenen zehn Jahre waren diese Käfige und Gitter Bestandteil ihrer Arbeit. Auch hier verschiebt sie wieder die Grenzen des Käfigs, so dass er sowohl eine Sicherheit verheißende Vorrichtung als auch ein kaltes, fast brutales Kontrollinstrument wird. Tatsächlich hat der schmiedeeiserne Käfig keinen Ausgang und ragt 174 cm in die Höhe - groß genug, einen Menschen aufzunehmen.
Mit subversiven Vorgehensweisen ist Hatoum durchaus vertraut. Ihre Serie "Carpet" (Teppich, 1995) führt uns auf unsicheres Terrain. "Prayer Mat" (Gebetsteppich), für die Istanbul Biennale 1995 geschaffen, ist ein weiteres Beispiel für ihre "anziehend-abstoßenden" Objekte. Dieser aus vernickelten Messingnägeln gefertigte Teppich ist nicht dazu geeignet, sich auf ihm niederzuwerfen. Die glänzenden Nägel erinnern aber gleichzeitig an den Kosmos. Auf "Doormat II" (Fußmatte II, 2000-2001) ist zwar "Welcome" (Willkommen) zu lesen, sie ist jedoch alles andere als einladend - ihre Borsten bestehen aus Tausenden von Stahlnägeln. Das Zuhause ist keine sichere Zuflucht mehr, sondern ein Ort der Gefahr.
Entwurzelt, abgelehnt und anders zu sein ist Hatoum nur zu vertraut: Geboren wurde sie im Libanon als Kind palästinensisch-christlicher Eltern, sprach zu Hause und in der Schule arabisch und französisch. Als 1975 der libanesische Bürgerkrieg ausbrach, ging sie nach London ins Exil. Der Krieg dauerte 20 Jahre. Bereits in ihrer Jugend im Libanon war Hatoum eine Fremde in einem fremden Land und fühlte sich - wie auch andere palästinensische Flüchtlinge - im Land der Zedern niemals heimisch.
Allerdings bezieht sich Hatoum selten ausdrücklich auf ihre Herkunft, z. B. in "A Thousand Bullets for a Stone" (Tausend Gewehrkugeln für einen Stein, 1988) über die erste palästinensische Intifada und in "Measures of Distance" (Abstandsbestimmungen, 1996), das Gespräche und den Briefwechsel der Künstlerin mit ihrer Mutter behandelt. Letzteres Werk, in dem eine Projektion ihrer Mutter unter der Dusche mit arabischer Schrift überlagert wird, untersucht auch die Machtverhältnisse zwischen dem Westen und den Entwicklungsländern. Dadurch lässt Hatoum das Persönliche in die Geschichte einfließen und tritt der traditionellen westlichen Darstellung der Entwicklungsländer entgegen - statt unsere Wahrnehmung dieser Länder auf verzweifelte, dramatische, überspitzte und anonyme Situationen einzuengen, legt sie Machtstrukturen bloß und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Individuum.
In unseren Vorstellungen von Exil spiegelt sich auch das Unbehagen an einer gesichtslosen Konsumgesellschaft wider. Wir befinden uns unbeweglich in der Schwebe zwischen Abstraktion und Repräsentation, sind zwischen inneren und äußeren Projektionen des Selbst gefangen. Hatoum zwingt uns, die bedrohliche Beklommenheit zu hinterfragen, die unterschiedliche Kulturen wechselseitig empfinden. Ihr Hauptaugenmerk legt sie dabei auf die Vorbehalte des Westens gegenüber afrikanischen, asiatischen und muslimischen Kulturen.
Hatoum, die ihre künstlerische Ausbildung in London an der Byam Shaw School of Art und der Slade School of Fine Art absolvierte, thematisiert ihre eigene Fähigkeit als Exilantin, Dinge auf kühle, unvoreingenommene Weise zu betrachten. Als (tatsächliche oder vermeintliche) Außenseiterin kann sie - und mit ihr der Betrachter - verborgene Eigenschaften von Gegenständen entdecken, die für andere bereits viel zu vertraut geworden sind. Sich von einer Hatoum-Installation zu entfernen kann das beunruhigende Gefühl eines Déjà-vu-Erlebnisses mit lang anhaltendem Nachgeschmack auslösen, der deutlich von gängigen Vorstellungen abweicht.
Als die Welt in den 1980ern auf die AIDS-Krise aufmerksam wurde, offenbarte sich für Hatoum darin die Verletzlichkeit des menschlichen Körpers. Das Gefühl von Gefahr und Unruhe in vielen ihrer Arbeiten unterstreicht seither wiederholt, wenn auch auf subtile Weise, die Zerbrechlichkeit des Menschen.
Sogar wenn er abwesend ist, wird auf den Körper fast immer Bezug genommen. In ihrem Frühwerk, das hauptsächlich aus Performances außerhalb der Galerie- und Kunstszene bestand, war der Körper weit präsenter, hervorgehoben durch eine klare Erzählstruktur, die Themen wie Rasse oder sexuelle Identität behandelte. In "Don’t Smile, You’re on Camera" (Nicht lächeln, Sie werden gefilmt, 1980) richtete sie die Kamera auf das Publikum. Die Projektion enthielt zusätzliche nackte Körperteile; das Resultat: die schockierende Überschreitung von Geschlechtergrenzen und eine Verletzung sozialer Konstrukte. In einer augenzwinkernden Anspielung auf die Dauerbeobachtung, der wir heute ausgesetzt sind, überschritt die Künstlerin buchstäblich die Grenzen der Menschen.
Während der 1980er und 1990er Jahre war die Frage, wie sich Macht und Identität auf den Körper auswirken, zentraler Bestandteil von Hatoums Arbeit. Am deutlichsten wird dies vielleicht in "Corps Etranger" (Fremder Körper, 1994), einer endoskopischen Fahrt durch die Körperöffnungen der Künstlerin, die ihr 1995 eine Nominierung für den Turner-Preis einbrachte. Ursprünglich wurde diese beunruhigende Reise für das Centre Pompidou in Paris geschaffen. Anfänglich mit Atemgeräuschen unterlegt, beginnt sie an der Oberfläche, wo wir über einen runden Videoschirm gebeugt mit grotesk vergrößerten Haaren, Zähnen und Pupillen konfrontiert werden. Dann dringen wir begleitet von Herzschlägen in die pulsierenden Gänge des menschlichen Körpers vor.
Das Erzählerische trat in ihrem späteren Werk mehr in den Hintergrund, weil Hatoum nunmehr einen minimalistischen Ansatz verfolgte, mit dem sich der Weg nicht nur für einen einzigen Erzählstrang sondern für viele Erzählungen eröffnete. Wir sind eingeladen, die Skulpturen mit Geist und Körper gleichermaßen zu erfahren, was die gleichen Gefühle und körperlichen Anspannungen auslöst wie Bill Violas Videos.
Ob man einen Ausflug hinunter in Hatoums Speiseröhre oder durch das verschlungene "Web" (Gespinst, 2006) aus mundgeblasenem Kristallglas unternimmt, stets ist es eine befreiende Entdeckungsreise durch Introspektion.
Olivia Hampton
In Paris geborene Autorin und Kunstkritikerin; assoziierte Produzentin des NHK (Japan Broadcasting Corporation) Washington Bureau, USA.
Mona Hatoum: Hot Spot
24. Nov. - 22. Dez. 2006