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Der Kampf um das Herz und die Seele von Kunst und Kultur in Malaysia. Holzschnitzkunst in Malaysia im aktuellen Kontext.
Von Farish A. Noor | Dez 2004Auf der Veranda des Hauses von Nik Rashidi sitzend, einem Holzschnitzer aus der kleinen Siedlung Pantai Cahaya Bulan im nordmalaysischen Staat Kelantan, rede ich mit ihm über die Zukunft der traditionellen Holzschnitzerei und der hiesigen Künste. Nik Rashidi und sein älterer Bruder Nik Rashiddin, der leider schon von uns ging, sind Holzschnitzer der alten Schule. Ihr herausragendes Schaffen gilt heute als das Allerbeste, was die malaiische Holzschnitztradition zu bieten hat. Einige ihrer Stücke sind ausländischen Würdenträgern, vom Präsidenten der USA bis zum Kaiser von Japan, als Staatsgeschenke überreicht worden. Und doch tritt Nik Rashidi in dem kleinen Dorf, in dem er lebt, dem Besucher als ein bescheidener Mann entgegen, fast arm im Vergleich mit den Standards der Elite aus Politik und Wirtschaft in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur.
Hinter Nik Rashidis einfacher äußerer Erscheinung verbergen sich allerdings eine Sensibilität, Gefühlstiefe und Auffassungsgabe, die einem Künstler wahrhaft anstehen. Wie sein dahingegangener Bruder Nik Rashiddin ist er von dem Wunsch besessen, eine Kunst zu bewahren, zu fördern und wiederzubeleben, die fast ausgestorben ist. Wie seinen Bruder beunruhigen auch ihn die Kräfte der rasch voranschreitenden Modernisierung und die zunehmenden Erscheinungen von religiösem Puritanismus und Konservatismus, die die Strukturen der Vergangenheit und der Gesellschaft rundum zerstören. Er sagte dazu: "Die Politiker und religiösen Führer reden uns dauernd ein, dass wir modern und zugleich bessere Moslems sein müssen. Aber meist wollen sie bloß alles zerstören, was alt und traditionell ist, und die Vergangenheit ausradieren. Aber wie können wir in die Zukunft voranschreiten, wenn wir uns nicht daran erinnern, was wir dereinst waren? Und wie können wir heute ordentliche Muslime sein, wenn wir uns nicht einmal mehr unserer Vorfahren aus der vorislamischen Vergangenheit erinnern?"
Nik Rashidis Sorge ist sehr realistisch, denn seit 1990 ist hier im Staat Kelantan die islamische Oppositionspartei PAS an der Macht, und seitdem läuft eine Kampagne, alle als "unislamisch" und "unmoralisch" geltenden Formen von Kunst, Kultur und Unterhaltung zu verbieten. Dieses Verbot erstreckt sich nicht nur auf moderne Formen populärer Kultur, wie westliche Popmusik, sondern auch auf traditionelle Künste, die in der vorislamischen Ära entstanden sind. Im Ergebnis dessen sind z.B. das Schattenpuppenspiel, das Mak Yong (altes Tanztheater), Manora-Tänze und solche traditionellen Freizeitbeschäftigungen wie Drachenfliegen eingeschränkt, wenn nicht gänzlich eingestellt worden. Nik macht sich Sorgen, wie sich all das auf seine eigene Holzschnitzkunst auswirken wird, die auf traditionellen Motiven und Mustern mit starken hinduistischen und buddhistischen Einflüssen basiert. Tatsächlich kämpft er im Zentrum einer ideologischer Schlacht um die Zukunft der malaysischen Identität.
Eine Nation auf der Suche nach einer Identität
Malaysia, durchläuft gegenwärtig - wie so viele postkoloniale Gesellschaften des späten 20. Jahrhunderts - eine kollektive Identitätskrise. Das politische Gebilde, das wir heute als Föderation Malaysia kennen, ist in Etappen geboren worden: 1957 wurde das unabhängige Malaya geschaffen, und 1963 ist die Föderation um Singapur und die Staaten Sabah und Sarawak (Nord-Borneo) erweitert worden. Singapur trat 1965 aus der Föderation wieder aus.
Das unabhängige Malaysia, so wie es bekannt wurde, suchte von Anfang an nach einer eigenen Identitätsauffassung. Jahrhundertelang ist das Gebiet die Heimat einer Vielzahl ethnischer, kultureller und religiöser Gemeinschaften gewesen. Aus dem Westen kam in aufeinander folgenden Wellen die indische Kultur, was die Indisierung des Malaiischen Archipels zur Folge hatte und zur Entstehung einiger wichtiger malaiisch-hinduistischer und buddhistischer Königreiche führte, wie Majapahit, Mataram und Srivijaya. Aus dem Osten kam der Einfluss Chinas, der charakteristische chinesische Stile und Alltagskultur mit sich brachte, die sich anschließend mit einheimischen Geschmäckern und Gewohnheiten vermischten. Sowohl die indischen (hinduistischen, buddhistischen) als auch die chinesischen (buddhistischen, taoistischen und konfuzianischen) kulturellen Einflüsse sind bis ins 19. Jahrhundert in der malaiischen Kunst, Kultur und Architektur ganz offenkundig - auch wenn heute die Spuren der indischen und chinesischen Einflüsse schnell und vorsätzlich reduziert werden.
Auf dem Malaiischen Archipel selbst war die Wanderung der Menschen - mit ihren Sprachen, Kulturen, Kleidungsstilen, Verhaltens- und Lebensarten - für mehr als zweitausend Jahre die Norm. Fast alle Königreiche des maritimen Südostasiens sind zur See fahrende Königreiche gewesen, die mobil waren und durch den Handel und eine ständige Kommunikation mit der Außenwelt überlebten.
Dieser Prozess transkultureller und kulturübergreifender Entlehnung und Anpassung hielt bis ins frühe 16. Jahrhundert an, bis die Ankunft der portugiesischen und spanischen Eroberer den maritimen Wirtschaftsformen der Region ein Ende bereitete und das neue Konzept des Nationalstaates mit politisch determinierten Territorien und Grenzen einführte. Die nun folgenden Wellen neuzeitlicher Kolonisierung hatten andere Regierungsformen zur Folge und verbreiteten solche Ideen wie rassische und ethnische Verschiedenartigkeit.
Die Auswirkungen der Moderne: Rasse und Politik
Die Kolonialzeit hinterließ dauerhafte Spuren in Bezug auf eine neue öffentliche Geisteshaltung, die im Grunde genommen modern war: Konzepte wie Nationalstaat, territoriale Grenzen, nationale Souveränität und rassisch begründete Identitäten, wurden in eine Welt eingeführt, die zuvor frei davon war. Die Entwicklung der modernen malaysischen Politik widerspiegelt diese Erwägungen, am deutlichsten die auf der Rasse und rassisch determinierten Identitäten beruhende Politik.
Als Malaysia 1957 geschaffen (und 1963 vervollständigt) wurde, drehte sich die zentrale Frage hinsichtlich des Projekts einer Konstituierung als Nation darum, was die Grundlage der malaysischen Identität sein sollte. Die Dominanz der malaiisch-muslimischen Gemeinschaft im Land bedeutete, dass die malaysische Identität von einem malaiisch zentrierten Blick auf die Welt geformt und definiert wurde. Gleichzeitig aber war dieses neue Verständnis vom "Malaiischen” rassisch determiniert, mit feststehenden, absoluten und ausschließlichen Grenzen. Der postkoloniale malaysische Staat und seine Elite waren weniger geneigt, die multikulturelle Vergangenheit des Landes zu akzeptieren oder gar zu feiern, eben wegen der rassisch bestimmten Politik in Malaysia.
Seit den späten 1970er Jahren wurde auch Malaysia von der Welle neuer Strömungen des politischen Islam erfasst, ausgelöst durch die iranische Revolution von 1979 und Pakistans Wiedererfindung seiner selbst als islamischem Staat im selben Jahr. Das Erstarken des politischen Islam in Malaysia trug weiter zur Verengung der malaysischen Identität entlang einer religiös-kulturellen Linie bei. Neue, konservativere und lautstarke islamistische Gruppierungen begannen, die Islamisierung der malaysischen Gesellschaft und damit zugleich die Zurückweisung der vorislamischen Vergangenheit des Landes zu fordern.
Somit wird die malaysische kulturelle Identität heutzutage zunehmend durch ein Verständnis des Malaysischen bestimmt, das eingeschränkt, puritanisch, verschlossen und ausschließend ist . Sollte sich dieser Trend fortsetzen, wird er das gemeinsame kulturelle Erbe Malaysias und des malaysischen Volkes untergraben und letztlich beschneiden, dessen traditionelle Kunst und Kunsthandwerk diese gemeinsame Geschichte wiederspiegeln, als sich Islam, Hinduismus und Buddhismus einander anpassen konnten.
Zurück bei Nik Rashidi reden wir über die Zukunft der malaiischen Holzschnitzerei im Zeitalter religiöser Erweckungsbewegung und ungezügeltem Konsumverhalten. Nik beklagt die Tatsache, dass die malaysischen Menschen ihre traditionelle Kunst und Kultur nicht mehr zu schätzen wissen: "Wir sprechen von unseren 'asiatischen Werten' und unserem Stolz auf unsere Vergangenheit. Aber wo ist diese Wertschätzung und wie drückt sie sich aus? Geschäftsleute und die reiche Elite in den Städten wollen unsere Holzschnitzarbeiten nur als Dekorationen für ihre Villen und Appartments kaufen, während uns die religiösen Führer sagen, unsere Schnitzereien seien 'unislamisch', weil wir immer noch hinduistische Götter, Gottheiten und Naturgeister darstellen. Aber unsere traditionellen Schnitzereien, zusammen mit der uns umgebenden Natur und den lebendigen Elementen, die unsere Kunst am Leben erhalten, sind unsere einzige Verbindung zur Vergangenheit: Dies ist unsere malaiische Kunst, weil sie aus unserem Land kommt und die Geschichte unserer Menschen atmet. Wenn wir unsere Verbindungen zu unseren Vorfahren kappen, würden wir wie Schiff ohne Kompass sein, wie ein Volk ohne Geschichte."
Farish A. Noor
Malaysischer Politikwissenschaftler und sozial engagierter Aktivist. Hat die Dynamik der Politik, Künste und Kultur in Südostasien studiert; Experte für islamistische Bewegungen in der Region. Autor von "The Other Malaysia: Writings on Malaysia’s Subaltern History" (Das andere Malaysia: Schriften zu Malaysias subalterner Geschichte, 2002) und "The Spirit of Wood in Malay Woodcarving" (Der Geist des Holzes in der malaiischen Holzschnitzkunst, 2004). U.a. Radio-Essayist für BBC World Service.
Alle Fotos stammen aus dem Buch:
Spirit of Wood
The Art of Malay Woodcarving
Von Farish Noor & Eddin Khoo, Fotos: David Lok