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Triennale Brügge: Resümee und Blick voraus

Interview mit Kurator Michel Dewilde. Von Pat Binder & Gerhard Haupt

Die erste Brügge Triennale für Zeitgenössische Kunst und Architektur geht am 18. Oktober zu Ende. Sie wurde von Till-Holger Borchert and Michel Dewilde kuratiert. In den vierzehn großen Projekten vor allem im öffentlichen Raum der Altstadt von Brügge sowie drei thematischen Ausstellungen werden Reflexionen von Kunstschaffende und Architekten aus verschiedenen Teilen der Welt über solche Themen wie die Zukunft und das kreative Potenzial der Stadt, Urbanisierung, das Selbstverständnis als Bürger, Lebensstil, Gemeinschaft, Finanzen und Ökonomie präsentiert.

In diesem Interview baten wir Michel Dewilde um eines kritisches Resümee der Arbeit an dieser Triennale, deren Wirkung und Aufnahme beim Publikum in der Stadt sowie Schlussfolgerungen für die nächste Edition:

Pat Binder & Gerhard Haupt: In dieser ersten Edition der Triennale Brügge mit den Hauptwerken im öffentlichen Raum ist die Stadt selbst der Protagonist. Welches waren die größten Herausforderungen bei der Realisierung und Platzierung der Werke?

Michel Dewilde: Dabei gab es für mich im wesentlichen zwei Herausforderungen: die erste war eine praktische, so zum Beispiel, dass alle Projekte bis zur Eröffnung fertiggestellt sein müssen, wobei der spezielle rechtliche Status des öffentlichen Raums in Brügge zu berücksichtigen war. Hier haben wir es mit einer Stadt zu tun, die wegen ihres historischen Rangs in sehr hohem Maße auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene geschützt ist. Deswegen musste jeder ausgewählte Ort mit dem dazugehörigen Vorschlag der Künstlerinnen und Künstler mindestens drei Institutionen oder Regierungsstellen und zahlreichen Kommissionen zur Begutachtung und Entscheidung vorgelegt werden. Wir hatten also auf schriftliche Bestätigungen von diesen Institutionen bzw. Instanzen zu warten, bevor wir tatsächlich mit der Realisierung an den vorgesehenen Orten beginnen konnten - oder eben auch nicht... Darüber hinaus entwickelten sich mehrere Projekte erst während der Konzeptionsphase, so dass bei größeren Veränderungen neue Vorschläge einzureichen waren, um die erforderlichen Genehmigungen zu erhalten, was zu weiteren Verzögerungen führte.

Meine zweite Herausforderung hatte mehr mit ästhetischen und historischen Dimensionen zu tun. Damit meine ich die reiche Geschichte ortsspezifischer Projekte im öffentlichen Raum, in unserem Falle installiert im Kontext eines Stadtgefüges, das in erster Linie wegen seiner visuellen Qualitäten, wegen seiner Szenerie "konsumiert" wird. Des weiteren erinnere ich mich an die Debatten in den frühen 1990er Jahren, als ähnliche Projekte im öffentlichen Raum oftmals mit Formen des Stadtmarketing einhergingen und gelegentlich zu vorhersehbaren Ausstellungsformaten führten. Es überrascht kaum, dass einige der für die Triennale Zuständigen fragten, ob wir überhaupt irgend etwas im öffentlichen Raum installieren sollen, außer vielleicht sehr kleine, kaum sichtbare künstlerische Akzente. Auch solche Fragen veranlassten uns, der Platzierung der Werke, ihrer Beziehung zu dem Ort, noch erheblich mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Binder & Haupt: Was war Ihr persönlicher Ansatz hinsichtlich der Grundfrage, welchen Beitrag solch eine museumsartige Stadt wie Brügge zur allgemeinen Verständigung über Urbanisierung im globalen Kontext leisten könnte?

M. Dewilde: Je mehr sich das Projekt entwickelte, umso mehr versuchte ich, mich auf die unbequeme Beziehung zwischen der imaginären Dimension jedweder Form von Urbanisierung und den imaginierten Bedingungen des heutigen Brügge zu fokussieren. Hier haben wir es mit einem urbanen Gefüge zu tun, das nicht als Beispiel einer derzeitigen oder künftigen Polis wahrgenommen wird, sondern ganz im Gegenteil als Definition einer ausgedachten, märchenhaften oder herbeigesehnten Vergangenheit. An diesem Ort ist das Urbane in seine mittelalterliche Erscheinung übersetzt worden, in eine im 19. Jahrhundert konzipierte Maskerade. Da die meisten Menschen des 21. Jahrhunderts Stadtbewohner oder viele sogar Stadterbauer sind, fragt man sich, was sie wohl in einem urbanen Kontext tun würden, in dem ihr Träumen, Sehnen, Experimentieren schon besetzt ist? Wie kann man über ein solches Modell hinaus denken, wenn man selbst das Modell verkörpert oder darin lebt; kann man sich dann überhaupt über das Modell hinwegsetzen? Bei solchen Überlegungen bestand die Schwierigkeit darin, nicht in die Fallen einer simplizistischen Dekonstruktion der alten Stadt zu tappen oder sich zur Bewunderung dieser eleganten Träumerei verführen zu lassen.

Der dänische Architekt und Urbanist Jan Gehl, einer der für die Triennale Brügge wichtigsten Denker, wies in seinen Büchern, in denen es um die Notwendigkeit urbaner Gefüge von menschlichem Maß geht, auf die Werte historischer und mittelalterlicher Städte hin. Letztendlich hoffte ich, wir könnten zumindest versuchen, durch innovative temporäre Interventionen auf einer Bühne, auf der es keine modernen und zeitgenössischen Spuren zu geben scheint, das Urbane in lokaler und internationaler Hinsicht neu zu denken. Die Stadt gesehen als eine Aufführung mit sich selbst als dem zentralen Protagonisten und dem Instrument des Betrachtens, das der Suche nach neuen Gebilden, neuen Formen für ein demokratisches Miteinander dient.

Binder & Haupt: Jedwede Biennale oder Triennale wird sowohl für ein internationales wie auch für ein lokales Publikum ausgerichtet, doch eine Veranstaltung wie diese muss in besonderer Weise auf das lokale Publikum Rücksicht nehmen. Wie waren die Reaktionen der Bewohner von Brügge?

M. Dewilde: Jetzt zurückschauend und mit Blick auf die große Zahl an Besuchern können wir sagen, dass die Ausstellung die lokale Bevölkerung tatsächlich erreicht hat, ohne populistisch zu werden. Ich denke, wir haben sie erreicht. Solch eine Ausstellung wie einem Triennale bleibt von ihrem Wesen her ein Projekt von oben nach unten, oftmals konzipiert für eine Gruppe von Fachleuten, von Anhängern. Dadurch sind Veranstalter dem Risiko ausgesetzt, die lokale Bevölkerung zu verprellen. Deshalb wollten wir diese Schau von Beginn an mit Projekten von unten nach oben kombinieren, die mit ähnlichen Themen zu tun haben und von den Bürgern und Teilnehmern initiiert sind. Das Ziel bestand nicht so sehr darin, die Zahl des lokalen Publikums der Ausstellung zu erhöhen, sondern zu vermitteln, zu verbinden, zusammenzuführen. In dieser Hinsicht war die Ausstellung nur einer von den vielen Diskursen, den vielen Projekten, in denen es um dasselbe Thema ging. Bevor die Triennale und ihre Themen öffentlich kommuniziert worden sind, gingen wir in die Schulen, die Akademien, zu verschiedenen sozialen Gruppen, Unternehmen und selbst zu Einzelpersonen, und fragten sie, was sie möchten, was sie wünschen, für ihre Stadt, für ihr tägliches Leben. Ein gutes Beispiel ist unsere Zusammenarbeit mit der Organisation "Die Zukunft von Brügge", die ihre Programme mit unseren kombinierte. Ich glaube, dass dies einer der Gründe für den lokalen Erfolg ist: es wurde ihr Projekt.

Binder & Haupt: Ist es möglich gewesen, Verbindungen zu den Triennalen herzustellen, die in den 1960er und 1970er Jahren in Brügge stattfanden?

M. Dewilde: Das erwies sich als ein notwendiges aber schwieriges Unterfangen. Brügge wird, ganz gewiss in Belgien, kaum als ein Ort des Modernen oder des Zeitgenössischen wahrgenommen. Aber es gab dort von den 1950er Jahren an bis zu den frühen 1970ern eine Reihe wertvoller künstlerischer Projekte, so die Triennalen (1968-1974), eine Geschichte, die einem größeren Publikum zur Kenntnis gebracht werden sollte. Ich denke, in konzeptueller Hinsicht und auf der Ebene der Ausstellung bestand die Hauptschwierigkeit in Frage: wie können wir ein historisches, ein Archivprojekt vergangener Ausstellungen mit einer neuen Triennale kombinieren? Das ist auch deshalb so kompliziert gewesen, weil es sich bei der gegenwärtigen Triennale im wesentlichen um ein thematisches, ortsspezifisches Projekt im öffentlichen Raum handelt. Demgegenüber waren die historischen Triennalen vor allem Bestandsaufnahmen der zeitgenössischen Kunstszene Belgiens. Deshalb entschieden wir uns für eine begrenzte Archivpräsentation und einen Dokumentarfilm. In der gegenwärtigen Triennale bezogen wir diese Ausstellung in einen der Innenräume ein und kombinierten die drei historischen Triennalen mit einer kurzen Analyse ihres Vorläufers, der privaten Kunststiftung Raaklijn in den 1950er Jahren.

Binder & Haupt: Die aktuelle Triennale schlug als einen hypothetischen Ansatzpunkt vor, darüber nachzudenken, was wohl passieren würde, wenn die 5 Millionen Menschen, die Brügge jedes Jahr besuchen, sich plötzlich entschließen würden, dort zu bleiben. Seit Juli-August kommt ein gewaltiger Strom von Flüchtlingen in Europa an. Ist über dieses Thema und seine Dringlichkeit im Rahmen der Triennale Brügge nachgedacht worden?

M. Dewilde: Die jetzige Triennale ist in der ersten Hälfte des Jahres 2013 konzipiert worden, also vor der jüngsten Welle von Flüchtlingen. Trotzdem geht es in einer der zentralen Überlegungen der Triennale, "neues Selbstverständnis als Bürger", auch um einige Aspekte der Flüchtlingskrise. Ganz sicher beschäftigt sich Daniël Dewaele in seinem Werk für die Triennale mit dem dringlichen Thema neuer Mitbürger. Da ich davon überzeugt bin, dass das verstärkte Drängen ins Exil nur der Anfang einer größeren globalen Migration ist, wird dieses Thema ohne Zweifel im Zentrum neuer Ausrichtungen urbanen und sozialen Denkens stehen und eine Rolle in kommenden Ausstellungen und Triennalen spielen.

Binder & Haupt: Die Realisierung der ersten Edition einer solch umfassenden Veranstaltung ist normalerweise ein Lernprozess. Was sollte Ihrer Meinung nach bei der Triennale Brügge in Zukunft beachtet werden bzw. anders sein?

M. Dewilde: Das Erste, was mir dazu einfällt, ist der Aufbau einer Struktur oder Organisation, die sich nur mit der konzeptionellen Entwicklung, der Koordination, Kommunikation und Realisierung eines solch komplexen Unterfangens beschäftigt. Das Zweite ist die Notwendigkeit, die Triennale in eine langfristige künstlerische Vision für die Stadt einzubetten, die auch durch Jahresprogramme mit einer Bandbreite an Projekten umgesetzt wird.

Binder & Haupt: Eine Dauer von drei Jahren bis zur nächsten Edition ist in unserer beschleunigten Welt eine sehr lange Zeitspanne. Gibt es schon Überlegungen, in der Zwischenzeit bestimmte Aktivitäten oder Veranstaltungen, die mit der Triennale in Zusammenhang stehen, auszurichten?

M. Dewilde: Dem pflichte ich bei, und ich bin ebenfalls für ein Programm an Ausstellungen, Präsentationen, Vorträgen, die den richtigen Kontext bilden, der schließlich zur nächsten Edition führt.

Binder & Haupt: Gibt es schon irgendwelche Informationen über die zweite Edition?

M. Dewilde: Im August dieses Jahres fanden verschiedene Treffen statt, aber es ist noch zu früh, um irgendetwas Konkretes zu bestätigen. Man kann nur sagen, dass in diesen Brainstormings ein möglicher theoretischer Rahmen mit einem zentralen Thema vorgestellt wurde, der mit dem Schaffen einiger grundlegender Denker zu tun hat. Wenn dieser Rahmen akzeptiert wird, dann würde das gegenwärtige Konzept fortgesetzt und sogar erweitert werden. Möglicherweise würde es über den eher abstrakten und poetischen Ansatz der gegenwärtigen Edition hinausgehen und auf ein oder mehrere Denkmodelle fokussiert sein, die in eine Reihe damit verbundener Aktionen übersetzt werden. Erneut heißt es, wünschen und hoffen.

Triennale Brügge 2015

Brügge Triennale für Zeitgenössische
Kunst und Architektur

20. Mai - 18. Oktober 2015

Brügge, Belgien

Kuratoren:
Till-Holger Borchert, Michel Dewilde

Teilnehmer:
- Öffentlicher Raum: 14 Teilnehmer
- Innenräume: 16 Künstler & Architekten

Orte:
- Stadtzentrum von Brügge
- Arentshuis
- De Bond (Kulturzentrum Brügge)
- Stadhuis (Rathaus)

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