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Info / Kontext zum Gedicht
Das Gedicht von Zofia Górska aus dem Jahr 1942 gehört einem Gedichtzyklus an, der insgesamt neun Gedichte unter dem Titel "Die letzten Augenblicke" vereint. Die Gedichte charakterisieren alle die innere Verfassung eines Ich, das, zum Tode verurteilt, in der Bunkerzelle auf seine Erschießung wartet. In den neun Gedichten werden unterschiedliche Umgangsweisen mit dem nahen Tod imaginiert. Beschrieben werden Augenblicke: "des Abschieds", "der Verwirrung", "der Angst", "des Protestes", "des Zweifels", "des Bedauerns", "der Sehnsucht", "des Gebets", "des Sieges". Die Gedichte beziehen sich allesamt auf die Tage im April 1942, als dreizehn Polinnen, darunter Grażyna Chrostowska und ihre Schwester Apolonia, von der SS im Konzentrationslager Ravensbrück umgebracht wurden. Während des ganzen Jahres wurden immer wieder Polinnen willkürlich erschossen, so dass keine der polnischen Frauen sicher sein konnte, die nächsten Tage und Monate zu überleben. Zofia Górska, die selbst das Lager überlebte, fasst hier also eine Situation in lyrischen Worte, von der gerade polnische Frauen ständig bedroht und wahllos betroffen waren.
Indem sie die innere Realität der Frauen und Mädchen poetisch in Szene setzt, gelingt ihr eine beklemmende Identifikation mit den Opfern, ohne in die Nähe eines voyeuristischen Verstehens zu geraten. Nicht das Verstehen, sondern das Hörbarmachen der Verstummenden steht im Vordergrund. Sie setzt den so "Verschwundenen" ein Denkmal in ihren Gedichten. Die Hörenden beginnen, sich einzelne, persönliche Schicksale vorzustellen. Das Gedicht erhält die Bedeutung eines "symbolischen Ich": Es hält stellvertretend für viele das ganze Ausmaß einer grausamen Vernichtung aus. Es vermag, sprechend über die letzten Augenblicke, die an sich gar nicht überliefert werden konnten, die Erinnerung wach zu halten an die Brutalität dieser Massenerschießungen, aber auch an die hinter diesem Willkürakt verschwundenen Individuen. (C. Jaiser)
Zofia Górskas Gedichte wurden zusammen mit denen von der gleichaltrigen Grażyna Chrostowska und von Halina Golczowa mit Briefen, Erschießungslisten und Listen zu den medizinischen Experimenten an Polinnen aus Ravensbrück hcrausgeschmuggelt. Diese Dokumente wurden in einem Waldstück bei Burg Stargard, in der Nähe von Neubrandenburg in einem Glasbehälter vergraben und in den 1970er Jahren entdeckt.
Das Gedichtzyklus "Die letzten Augenblicke" wurde auch in der von den tschechischen Inhaftierten Vlasta Kladivová und Vera Hozáková im KZ Ravensbrück heimlich angefertigte Sammlung von Gedichten und Liedern aus elf Nationen Europa u boji. 1939 -1944 aufgenommen.
Da ehemalige Häftlinge berichteten, Schüsse im Krematoriumsbereich gehört zu haben, wurde in dieser baulichen Lücke ein Todes- oder Erschießungsgang vermutet und deshalb 1959 hier der Gedenkstein aufgestellt.
Diese Erschießungsliste wurde zusammen mit Gedichten, Briefen und Angaben über an Polinnen durchgeführte medizinische Experimente aus Ravensbrück hinausgeschmuggelt. 1975 wurden diese Zeugnisse in einem bei Burg Stargard ausgegrabenen Behälter gefunden.
Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück
Signatur: V798E1
Zu Valeska Türmer gibt es keine Lebensdaten. Bekannt ist nur, dass sie zu den etwa 800 vornehmlich jüdischen Frauen aus Ravensbrück gehört, die 1942 in der Aktion "14f13" (Selektion und Tötung von als "krank", "alt" und "nicht mehr arbeitsfähig" bezeichneten Häftlingen) in der Gaskammer der "Euthanasie"-Anstalt Bernburg ermordert wurden. Ein paar Zeichnungen, die Valeska Türmer im KZ schuf, sind erhalten geblieben.
(Monika Herzog: Ravensbrücker Zeichnungen, Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, 1993).
Dr. phil. Constanze Jaiser
Literaturwissenschaftlerin und Theologin
Publikationen zum Thema, u.a.:
Poetische Zeugnisse. Gedichte aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Stuttgart/Weimar 2000
Europa im Kampf 1939-1944. Internationale Poesie aus dem Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Berlin 2009
Ein Schmuggelfund aus dem KZ – Erinnerung, Kunst und Menschenwürde. Berlin 2012