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Interview mit Moiz Zilberman, Sammler und Galerist

Von Gerhard Haupt & Pat Binder

Moiz Zilberman


Haupt & Binder: Sie sind ein erfolgreicher Geschäftsmann, wann und wie haben Sie ihre Leidenschaft für die visuellen Künste entdeckt?

Moiz Zilberman: Mein Vater war ein Maler, so wurde ich also in Kunstwerke hinein geboren und wuchs zwischen diesen auf. Doch bis ich 35 war hatte ich nicht direkt mit visuellen Künsten zu tun. Ich bin immer ein leidenschaftlicher Leser und Musikfreund gewesen. 1991, als ich die finanziellen Möglichkeiten und mehr Zeit hatte, erlangten die visuellen Künste eine größere Bedeutung. Ich wurde schnell zu einem für alles offenen Sammler und las auch weiterhin sehr viel. Je mehr ich las, je wichtiger wurde die Qualität gegenüber der Quantität. Letztendlich verschob sich mein Fokus in den letzten zehn Jahren hin zum zeitgenössischen Kunstschaffen.

Haupt & Binder: Welche Antworten auf die Realität oder welche Auseinandersetzungen damit bietet die Kunst - für Sie persönlich oder für die Gesellschaft an sich -, die Sie nicht in anderen Disziplinen finden?

Moiz Zilberman: Wir leben in einer Zeit, in der es von Tag zu Tag schwieriger wird, Kunst vom Leben zu unterscheiden. Da die Grenzen mit der Zeit verschwimmen, hat die Kunst der Gesellschaft eine Menge zu geben, das andere Disziplinen nicht haben. Sie bietet uns allen einen imaginären Raum, um zusammen zu kommen, etwas miteinander zu teilen, voneinander zu lernen, zu kooperieren und solidarisch zusammenzustehen. Wir leben in schwierigen Zeiten, und ich habe manchmal das Gefühl, als sei die Kunst der einzige Ausweg.

Haupt & Binder: Die Kunstwerke mehrerer Künstler, mit denen Sie arbeiten, sowie andere in Gruppenausstellungen vertretene, enthalten konzeptionell politische Dimensionen. Ist dergleichen für Sie von speziellem Interesse?

Moiz Zilberman: Ja, das stimmt absolut. Ich bin sehr an Kunstwerken mit einer soziopolitischen Linie interessiert. Für mich ist Kunst eine Möglichkeit, zu protestieren und zu kritisieren. Doch ziehe ich es vor, die Ausrichtung der Galerie als "kritisch" zu bezeichnen, was soziopolitische Arbeiten einschließt, jedoch nicht darauf beschränkt ist. Als ein gutes Beispiel dafür kann die Einzelausstellung Ground Glass von Ahmet Elhan gelten, die wir in diesem Jahr gezeigt haben. Sie hatte zwar nicht direkt mit soziopolitischen Kontexten zu tun, hinterfragte jedoch die Fotografie selbst als Medium. Es war eine Neubewertung der Geschichte der Fotografie, und dabei eine kritische und starke Ausstellung. Und natürlich fließen in das Programm der Zilberman Gallery meine persönlichen Vorlieben ein, wie bei den meisten Kunstgalerien im Besitz von Sammlern. Aber ich kann sagen, obwohl die Zilberman Gallery ausgehend von meinem eigenen Geschmack als Sammler begann, werden meine persönlichen Vorlieben jetzt durch ihre Linie geformt, was mir sehr gefällt.

Haupt & Binder: Wie wird sich das künstlerische Schaffen in einer Welt entwickeln, in der die Ausdrucksfreiheit erneut immer stärker gefährdet ist?

Moiz Zilberman: Ich glaube, die gegenwärtige soziopolitische Situation stattet die Künstler mit einer unterschiedlichen Perspektive aus. Und ich kann schon beobachten, dass künstlerisch Tätige neue Wege und visuelle Sprachen finden, um über ihre Umwelt zu reflektieren. Die mangelnde Ausdrucksfreiheit - eingeengt durch das Gefühl des Unterdrücktseins und fehlende Räume für das Zeigen von Arbeiten - bringt Künstler dazu, sich etwas einfallen zu lassen und andere Wege zu finden. Die Kunstpraxis selbst verschafft Künstlern eine Freiheit, zu denken, sich mitzuteilen und zu produzieren. Ich bin ziemlich optimistisch was die Zukunft der künstlerischen Produktion anbetrifft.

Haupt & Binder: Eine Kunstgalerie ist in erster Linie auf das Geschäftliche ausgerichtet, aber Sie bieten auch spezielle Programme an, um das Schaffen der von Ihnen vertretenen Künstler zu unterstützen und zu fördern…

Es ist wichtig zu verstehen, dass Kunst in der Türkei anders funktioniert. Die Zahl der Kunstinstitutionen und die staatliche Unterstützung sind sehr begrenzt. In einem solchen Ambiente müssen Kunstgalerien die Initiative ergreifen, um wie Kunstinstitutionen zu agieren, fast wie eine Nonprofit-Organisation. Auch zunehmende Fälle von Zensur machen deutlich, dass wir mehr Räume brauchen, in denen Künstler mit ihrem Publikum zusammenkommen. Kunstgalerien in der Türkei erkennen die Notwendigkeit, diesen Bedürfnissen zu entsprechen. Als Zilberman Gallery haben wir immer auf die Bedingungen in unserem Land reagiert. Das bedeutet, nichtkommerzielle Projekte und Aktivitäten sind für uns immer von großer Bedeutung gewesen.

Haupt & Binder: Können Sie uns mehr über diese Programme erzählen?

Moiz Zilberman: Die Zilberman Gallery Istanbul hat in ihrer Hauptgalerie und ihrem Projektraum viele Ausstellungen ausgerichtet. Zu allen Ausstellungen von uns vertretener Künstler erscheinen Kataloge, alljährlich arbeiten wir mit Gastkuratoren zusammen und unser Projektraum für nichtkommerzielle Arbeiten, der auch ein Künstlerhonorar bietet, funktioniert das ganze Jahr über. Deswegen sind wir in der Lage, sowohl Künstler zu präsentieren, die am Anfang ihrer Laufbahn stehen, als auch bereits etablierte. Darüber hinaus organisieren wir jedes Jahr die Serie "Young Fresh Different" mit einer öffentlichen Ausschreibung, um junge Künstler zu unterstützen. Sie findet immer als die letzte Ausstellung einer Saison statt. Dabei gibt es keine Restriktionen oder Vorgaben hinsichtlich des Themas oder Materials, alle Interessenten unter 35 können sich bewerben. Als Anreiz wird auch finanzielle Hilfe angeboten, um junge Künstler zu unterstützen. Die Ergebnisse können in der Zilberman Gallery Istanbul besichtigt werden.

Der Zed Grant for Artistic Research and Production vergab im Rahmen einer internationalen Ausschreibung jedes Jahr 10.000 Euro. Für das ausgewählte Projekt gab es auch Unterstützung bei der Publikation. Wie für die drei Jahre geplant, von 2011 bis 2013, sind im Rahmen dieser Initiative drei Projekte ausgewählt worden. Nachdem die Anforderungen dieser drei Jahre erfolgreich erfüllt worden sind, ist Zed Grant weiterhin aktiv, indem die Entwicklung der ausgewählten Projekte begleitet und an den damit verbundenen Publikationen gearbeitet wird.

Unsere jüngste Initiative ist das Residenzprogramm der Zilberman Gallery Berlin, dass Künstler, die von der Galerie vertreten werden oder mit ihr kooperieren, einläd, in einem internationalen und dynamischen Ambiente zu leben, zu arbeiten und zu recherchieren. Das Programm wurde initiiert, um Künstlern die Gelegenheit zu bieten, die lokale Kunstszene zu treffen, Ideen auszutauschen und Erfahrungen in der internationalen Kunstcommunity zu sammeln.

Haupt & Binder: Was hat Sie dazu bewegt eine Galerie in Berlin zu eröffnen?

Moiz Zilberman: In den vergangenen Jahren haben wir durch unsere Beteiligung an Kunstmessen in aller Welt ein wichtiges internationales Netzwerk aufgebaut. So haben wir zum Beispiel im letzten Jahr an der Contemporary Istanbul und ArtInternational in Istanbul teilgenommen, sowie an Kunstmessen in Wien, Paris, Brüssel, New York, Dubai und Basel, wobei es zwei Einzelausstellungen gab. In der neuen Saison wollen wir unsere Teilnahme an Kunstmessen ausbauen und unsere Künstler weltweit anerkannten Kunstinstitutionen, Sammlern und einem größeren Publikum vorstellen. Mit unserer Galerie in Berlin verfolgen wir vor allem das Ziel, unser schon existierendes Netzwerk auszuweiten, die internationalen Aktivitäten der Galerie zu stärken, deren Wahrnehmung zu verbessern und neue Beziehungen zu Kunstspezialisten und unterschiedlichen Publikumsgruppen zu entwickeln.

Die Zilberman Gallery Berlin befindet sich in einem Gebäude vom Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin Charlottenburg, einem Viertel, in dem einige der spannendsten Galerien für zeitgenössische Kunst zu Hause sind. Wie ich schon sagte, ist die Zahl der Kunstinstitutionen in Istanbul sehr begrenzt, während Berlin in dieser Hinsicht sehr reich und einladend ist. Unser neuer Standort in Berlin gibt uns die einzigartige Gelegenheit, unsere Ausstellungen aus Istanbul auch anderswo zu zeigen und an einem der heute lebendigsten Orte für zeitgenössische Kunst eine noch interessantere Reihe von Ausstellungen auszurichten, dabei neue Beziehungen zu Kunstinstitutionen Berlins herzustellen und mit diesen zu kooperieren. Auch deshalb bietet die Zilberman Gallery Berlin Künstlern die Gelegenheit, im Rahmen des Aufenthaltsprogramms in Berlin zu leben und zu arbeiten. Wir glauben, dass dies ein Dreh- und Angelpunkt unserer Aktivitäten in Deutschland sein wird und unseren Künstlern ein höheres Maß an internationaler Wahrnehmung verschafft.

Haupt & Binder: Wie verschieden wird das Programm in Berlin von dem in Istanbul sein?

Moiz Zilberman: Das Programm der Zilberman Gallery Berlin wird sich teilweise mit dem in Istanbul überschneiden, aber zusätzlich zu den Künstlern aus der Türkei und aus den MENA-Regionen werden auch mehr Werke von deutschen und europäischen Kunstschaffenden präsentiert, wobei die grundlegende Ausrichtung der Zilberman Gallery so erhalten bleibt wie sie ist.


(November 2016, aus dem Englischen: Haupt & Binder)

Zilberman Gallery and
Project Space Istanbul
İstiklal Cad. 163 K.2 & 3
D. 5 & 10 Beyoglu
34433 / Istanbul
Website | Kontakt

Di - Fr: 10 - 19:30 Uhr
Sa: 12 - 19 Uhr
So und Mo geschlossen

 

Zilberman Gallery Berlin
Goethestr. 82
10623 Berlin
Tel: 49-30-31809900
Website | Email

Di - Sa: 11 - 19 Uhr
So und Mo geschlossen

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