Das Aleppo-Zimmer ist für mich etwas ganz Besonderes, weil ich darin ein ideales Beispiel dafür sehe, wie reich das kulturelle Erbe Syriens ist. Sein Reichtum resultiert aus einer Offenheit gegenüber verschiedenen Kulturen, Religionen und Ethnien und der damit einhergehenden, fortwährenden Migration und Einbeziehung von Ideen, Techniken und Leuten. Die bemalte hölzerne Wandverkleidung im Museum für islamische Kunst befand sich dereinst im Empfangssalon eines reichen christilichen Kaufmanns, der Anfang des 17. Jahrhunderts im Ottomanischen Reich lebte. In diesem Raum hieß er Besucher mit anderem ethnischen und religiösen Hintergrund willkommen.
Die Wände sind mit Motiven aus einer großen Vielfalt von Kulturen dekoriert: Drachen und Qilin [geschupptes Tier mit Rehgeweih] aus China, Simorgh aus Iran, die christliche Madonna, Szenen aus dem Alten und Neuen Testament sowie aus der populären orientalischen Liebesgeschichte Layla und Majnun und vieles andere mehr ist dargestellt im Stile persischer Miniaturmalerei auf einem ottomanisch- türkischen Blumenhintergrund. Im Aleppo-Zimmer gibt es auch verschiedene Texte vor allem in Arabisch und einige in Persisch: Psalmen aus der Bibel, Verse von Segnungsgesängen der islamischen Sufi-Tradition und volkstümliche Sprichwörter.
Das Aleppo-Zimmer bringt all diese kulturellen und religiösen Zitate in einem harmonischen Ensemble zusammen. Für mich widerspiegelt es sehr eindrucksvoll, dass das syrische kulturelle Erbe nicht nur islamisch, christlich, jüdisch, arabisch, armenisch oder kurdisch ist, sondern ein fruchtbarer Dialog zwischen diversen künstlerischen und kulturellen Traditionen. Es erinnert uns daran, dass Aleppo zu jener Zeit ein wichtiger Handelsknotenpunkt war, der Einflüsse aus der ganzen Welt willkommen hieß. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass Syrien eines Tages zur Toleranz zurückfinden wird, die ein integraler Teil seiner Geschichte ist, und man irgendwann wieder in Frieden zusammenleben wird.
Zoya Masoud
Syrische Architektin, studierte und arbeitete in Damaskus, Hamburg, Dar es Salaam und Berlin. Seit 2015 ist sie für das Syrian Heritage Archive Project und Multaka im Museum für islamische Kunst tätig. 2017 begann sie, am Deutschen Archäologischen Institut für ihre Doktorarbeit über den Basar von Aleppo zu forschen.
Übersetzung aus dem Englischen: Haupt & Binder
© Fotos: Haupt & Binder
© Porträt Zoya Masoud: Ina Niehoff