Die Berliner Mauer ist für mich ein außerordentlich wichtiges Zeugnis der jüngeren Geschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland geteilt. Aus den Besatzungszonen der USA, Großbritanniens und Frankreichs im Westen wurde die BRD, und aus der sowjetischen Besatzungszone im Osten wurde die DDR. Auch Berlin für sich war in vier Besatzungszonen geteilt worden.
Das Leben in Ostdeutschland ist erheblich härter gewesen, weswegen viele Leute die DDR verließen, so lange dies noch möglich war, darunter hochqualifierte Fachkräfte. Wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen Probleme und zur Festigung ihrer Herrschaft schloss die DDR-Regierung 1961 die Grenze und ließ sie streng bewachen. Um Westberlin herum, das wie eine Insel vom Territorium der DDR umgeben war, ist eine Mauer als Teil unüberwindlicher Grenzanlagen errichtet worden. Viele Menschen kamen beim Fluchtversuch ums Leben.
Es ist unglaublich, dass die Öffnung dieser Grenze eher zufällig passierte. Als 1989 die Proteste gegen das Regime der DDR immer stärker wurden, sah sich dieses zu Zugeständnissen und zaghaften Reformen gezwungen. Dazu gehörten Reiseerleichterungen, die der Regierungssprecher am 9. November auf einer Pressekonferenz verkündete. Auf Nachfrage, konnte er aber nicht sagen, ab wann diese in Kraft treten und meinte, wahrscheinlich ab sofort. Schon am selben Abend strömten die Menschen zur Grenze nach Westberlin, und da die Grenztruppen keine Instruktionen hatten, wie sie sich angesichts des Ansturms der Massen verhalten sollten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Kontrollpunkte zu öffnen. Das wurde auf beiden Seiten der Mauer euphorisch gefeiert.
Für mich ist das ein großartiges Beispiel dafür, wie die Macht des Volkes und dessen friedlicher Protest den Gang der Geschichte verändern kann. Aus diesem Grund zeige ich das Exponat so gern den Besucherinnen und Besuchern, die aus den Kriegsgebieten des Mittleren Ostens mit einer jüngeren Geschichte von Diktatur und Volksaufständen kommen. Sie sind immer erstaunt, dass dergleichen in Deutschland vor nicht einmal 30 Jahren passiert ist, und ich kann ihre Augen beim Gedanken daran, was die vereinte Kraft eines Volk zu bewirken vermag, leuchten sehen. Mit dieser Geschichte habe ich das Gefühl, ihnen neue Hoffnung zu geben.
Sandy Albahri
Studierte in Damaskus Rechnungswesen, bevor sie 2014 mit einem Teil ihrer Familie nach Berlin kam. Sie arbeitete für die gemeinnützige Organisation KIgA e.V. (Kreuzberger Intiative gegen Antisemitismus), die sich für die pädagogische Auseinandersetzung mit Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus in der Migrationsgesellschaft engagiert. Im Rahmen von Multaka macht sie Führungen im Deutschen Historischen Museum.
© Fotos: Haupt & Binder
© Porträt Sandy Albahri: Milena Schlösser