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Nadia Kaabi-Linke

Nadia Kaabi-Linke

Nadia Kaabi-Linke

Geboren in Tunis, Tunesien. Lebt in Berlin, Deutschland, und Kiew, Ukraine.

One Day on Two Orbits

Verwitternder Stahl und Beton
900 x 300 cm

© Nadia Kaabi-Linke 2021
Auftrag und Sammlung der Expo 2020 Dubai
Cover-Foto: Roman Mensing in Zusammenarbeit mit Thorsten Arendt (Detail)

Standort

One Day on Two Orbits (Ein Tag auf zwei Umlaufbahnen) ist eine permanente Bodenskulptur von Nadia Kaabi-Linke, die im Laufe eines Tages den Schatten eines Fahrrads auf dem Boden zeigt und dabei den allmählichen Übergang vom Tag zur Nacht, von der Sonne zum Mond verfolgt. Während das Fahrrad selbst unsichtbar ist, entsteht durch die Form des wandelnden Schattens ein Bild, das an astronomische Fotografien entfernter Galaxien erinnert.

Das Werk ist eine Hommage an Ibn al-Haytham, der die Idee einführte, dass Sonne und Mond auf geometrisch und zeitlich unterschiedlichen Bahnen kreisen. Diese Erkenntnis ermöglichte ein besseres Verständnis von Raum und Zeit auf der Erde und erklärte die Existenz zweier Kalendersysteme. One Day on Two Orbits ist ein Memorial für eine himmlische Entdeckung, die nicht nur die Erde im Sonnensystem neu verortete, sondern auch die verschiedenen Zeitkulturen harmonisierte.

Siehe auch das Interview

Nadia Kaabi-Linke: One Day on Two Orbits. 2021
Verwitternder Stahl und Beton. 900 x 300 cm
Auftrag und Sammlung der Expo 2020 Dubai.
Fotos: Roman Mensing und Thorsten Arendt

Interview mit Nadia Kaabi-Linke

Von Pat Binder & Gerhard Haupt

Binder & Haupt: Dein Werk setzt das astronomische Phänomen der unterschiedlichen Umlaufbahnen von Sonne und Mond auf metaphorische Weise zur eigenen Existenz auf der Erde in Beziehung. Es ist bemerkenswert, dass Ibn al-Haytham dieses Phänomen bereits im 11. Jahrhundert entdeckte und damit den Weg für ein besseres Verständnis der beiden unterschiedlichen Kalendersysteme ebnete.
Warum hast du ein Fahrrad gewählt, ein Objekt, das normalerweise mit Bewegung assoziiert wird, statt mit etwas Statischem, um einen Schatten von einer sich bewegenden Lichtquelle zu projizieren?

Nadia Kaabi-Linke: Das Fahrrad stand 24 Stunden lang still, um uns an die Bewegung der Planeten zu erinnern und daran, dass wir alle Teil eines Ganzen sind, eines unendlichen Flusses. Es ist ein faszinierendes Symbol. Es ermöglicht Mobilität, bleibt aber ein stationäres Objekt, wenn niemand damit fährt. Mich interessierte dieses Paradoxon eines Apparates der Mobilität, der älter ist als das Paradigma der automobilen Mobilität. Ein Fahrrad ist abhängig vom Fahrer, der es zu einem Joker zwischen Bewegung und Stillstand macht.

Da meine Arbeit oft auf die Orte eingeht, an denen sie gezeigt wird, wie in diesem Falle der Mobilitätssektor der Expo 2020, wollte ich ein eher unorthodoxes Token ausarbeiten, das darauf abzielt, einige Routinen des Verständnisses zu knacken. Als kohlendioxidneutrales Fahrzeug kann das Fahrrad nicht funktionieren, wenn niemand bereit ist, es zu benutzen. Es ist eine Art abstrakte Allegorie, die unsere Einstellung zum Klimawandel und zur CO2-Reduzierung widerspiegelt. Die Möglichkeiten sind vorhanden, aber der Dämon, der etwas bewirken kann, sind letztendlich wir selbst.

Außerdem kann ich keinen Hehl daraus machen, dass ich unbedingt ein Damenfahrrad benutzen wollte. Die Kunstgeschichte ist immer noch eine Y-dominierte Domäne. Das ist eine Tatsache, die sich sogar in den angeeigneten Objekten widerspiegelt. Bei den meisten Fahrrädern in der Kunstgeschichte handelt es sich um Rennräder für Herren, doch ein Damenrad weist mehr Details auf. Wenn man die sich wiederholenden Griffe und Federn genau ansieht, erinnert das an die futuristische Darstellungen von Zeit und Bewegung. Während der Futurismus für seine patriarchalischen und heroischen Untertöne bekannt ist, faszinierte es mich, diesem das bleibende Bild eines Damenfahrrads entgegenzusetzen. Es zeigt zwar nur die flüchtigen Schatten, ist aber dennoch aus Stahl und verstärktem Industriebeton gefertigt. In der Perspektive dieses historischen Kontextes und an diesem konkreten Ort ist das Fahrrad ein ungewöhnliches "Zitat ohne Anführungszeichen" im Sinne von Walter Benjamin oder Pier Paolo Pasolini.


B. & H.: Stammt dein Bild mit den sich überlagernden Schatten von zwei verschiedenen Lichtquellen? Wie hast du diese sehr komplexe Struktur auf dem Boden erzeugt?

N. K-L.: Tatsächlich haben wir zwei verschiedene Lichtquellen verwendet, den Mond und die Sonne. Die gesamte Anordnung war eine Kette von drei Himmelskörpern: die Erde als Bühne oder Projektionsfläche, der die Erde umkreisende Mond als Reflexionsschirm und die Sonne als festes Gravitationszentrum und ursprüngliche Lichtquelle. Das Setting erinnert an eine kinematografische Situation. Der einzige Unterschied besteht darin, dass sich die Lichtquellen dem Almagest des Ptolemäus entsprechend bewegen. Dieses Paradigma beherrschte 1200 Jahre lang die Wissensproduktion, bis Ibn al-Haytham etwas Merkwürdiges an dessen Grundannahme bemerkte. Er bezweifelte, dass Sonne und Mond die Erde auf derselben Bahn mit einem halben Tag Verzögerung umlaufen würden. Zwar stellte er die zentrale Position der Erde nicht in Frage, improvisierte jedoch einige experimentelle Anordnungen, welche die spätere Camera obscura mit einer fixen Lichtquelle vorwegnahmen. Ironischerweise konnten wir in unserer Computersimulation nicht feststellen, ob sich die Szene oder die Lichtquellen bewegten. Bei Computern geht es nur Mathematik, aber nicht um die Realität. Daher war die Computersimulation mehrdeutig und einem Ptolemäus oder einem Kopernikus gegenüber gleichgültig. Jedenfalls konnten wir die Situation kontrollieren und einen Tag in 23 Intervallbilder aufteilen. Wir wählten den 29. Januar 2021, da sich Mond und Sonne an diesem Tag für nur wenige Minuten am Himmel über Dubai trafen. Wir fütterten die Simulation mit astronomischen Daten und generierten die Schatten pro Stunde. Dann haben wir viel Zeit damit zugebracht, die 23 Bilder zusammenzusetzen, um alle Details wiederherzustellen.


B. & H.: Das Einbetten der Stahlelemente in die Bodenplatten aus Beton scheint eine sehr komplizierte Technik zu sein. Kannst du uns etwas über den Herstellungsprozess erzählen?

N. K-L.: Die Produktion war kompliziert, denn es galt, den robustesten Stahl und den härtesten Beton in einem detailreichen Bild zusammenzubringen, das sich über neun Elemente von jeweils mehr als einer halben Tonne erstreckt. Ich bin oft daran interessiert, Extreme so nah wie möglich zu bringen. In diesem Fall die feinen Details. Einige Stahllinien sind nicht mehr als einen Millimeter breit. Wir mussten die kleinen Innenbereiche mit grobkörnigem Industriebeton ausfüllen, der für Schwerlaststandorte wie Produktions- und Lagerhallen verwendet wird. Die Wahl der Materialien hängt bei den meisten meiner Arbeiten mit dem Konzept zusammen oder umgekehrt. Stahl hat natürlich einen Bezug zu Fahrrädern, während Stahl und Beton auch mit unserer industriellen Vergangenheit und Gegenwart assoziiert werden. Im Sinne eines revolvierenden Prozesses wird die Zeit selbst durch die verschiedenen Intervallbilder dargestellt, als ob sie im Medium Beton eingefroren, versiegelt und konserviert wäre. Ich wollte das Aussehen eines modernen Fossils erzeugen, das gleichzeitig Obsoleszenz und Beständigkeit ausdrückt. Bei allem berechtigten Optimismus hinsichtlich einer grüneren Zukunft können wir die fossile Vergangenheit nicht einfach abschaffen. Solche Alternativen wie die Elektromobilität bedeuten eher eine "Verlagerung" unseres Problems, als dass sie es lösen würden. Das ist natürlich besser als nichts, reicht aber meiner Meinung nach angesichts dessen, was möglich wäre, nicht aus.

Außerdem ist der für One Day on Two Orbits verwendete verwitternde Stahl ein faszinierendes Material, das mich seit Jahren fesselt. Deshalb bin ich froh, dass ich endlich eine konzeptionell starke Verwendung dafür gefunden habe. Obwohl es ein Metall ist, hat es sein Eigenleben. In der embryonalen Phase ist es blank und mit einer Schutzschicht überzogen, aber sobald es mit Wasser in Berührung kommt, reagiert es mit einer korrosiven Schicht aus leuchtend rotem Staub. Nach einiger Zeit wird diese rote Schicht dunkel, bis sie in ihrem reifen Zustand eine robuste und dauerhafte Schicht gegen Umwelteinflüsse bildet. Die Eisenbahn der USA und die älteren Tiefpumpen, die inzwischen zu Denkmälern des goldenen Zeitalters des Erdölrausches geworden sind, bestehen aus diesem Stahl.


B. & H.: Zu welchem deiner früheren Werke hat "One Day on Two Orbits" eine engere Verbindung, und in welcher Hinsicht?

N. K-L.: Das Werk hat eine konzeptionelle Beziehung zu mindestens zwei früheren Arbeiten: der großformatigen Zeichnung Bicycle (2015), die mehrere Schattenphasen eines stationären Hollandrads von der Morgendämmerung bis zur Abenddämmerung darstellt. Das zweite Werk, mit dem es verwandt zu sein scheint, ist All Along the Watchtower (2012), eine weitere Simulation eines Schattens. Beide Kunstwerke haben offensichtliche Ähnlichkeiten mit One Day on Two Orbits, aber eigentlich muss ich sagen, dass es wahrscheinlich enge Verbindungen zu den meisten meiner früheren Arbeiten gibt.


Berlin, Dezember 2021

(Aus dem Englischen: Haupt & Binder, Universes in Universe)

Mehr in UiU:

Text und Informationen: Expo 2020 Dubai Public Art Programme.
Übersetzungen aus dem Englischen: Universes in Universe.

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