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Chika Okeke-Agulu über Who Knows Tomorrow

Interview mit einem der drei Kuratoren


Haupt & Binder: Inwieweit spielte in Ihrem kuratorialen Ansatz der historische Hintergrund der Berliner Konferenz von 1884/85, bei der die Grundlagen für die koloniale Aufteilung Afrikas gelegt wurden, eine Rolle?

Chika Okeke-Agulu: Das ist die zentrale Frage für uns. Im Jahr 2006 wurden Britta Schmitz und ich vom deutschen Bundespräsidialamt gebeten, ein Afrikaprojekt vorzuschlagen, das ursprünglich parallel zur für 2009 geplanten Konferenz Präsident Köhlers im Rahmen des Afrika-Forums stattfinden sollte. Dieser hat zum Konzept der Ausstellung keine spezifischen Vorgaben gemacht, aber da die europäische Kolonisierung Afrikas offiziell in Berlin unter der Schirmherrschaft des Reichskanzlers Otto von Bismarck begann, wie uns die Geschichte lehrt, konnten wir die Verbindung zwischen dem Ereignis von 1884/85 und der Realität Afrikas, um die es bei Präsident Köhlers Forum gehen sollte, nicht außer Acht lassen. Wir hatten keinerlei Zweifel hinsichtlich des sehr engen Zusammenhangs zwischen dem Beginn der Kolonisierung und der politischen und soziokulturellen Realität der Gegenwart.

So haben also Britta Schmitz und ich (und später Udo Kittelmann als er Direktor der Nationalgalerie wurde) begonnen, über dieses Projekt nachzudenken, überzeugt davon, dass wir es mit der Geschichte der Kolonisierung in Verbindung bringen müssen, weil das Interesse des Afrika-Forums an der heutigen Situation Afrikas, die durch politische Krisen, Armut usw. gekennzeichnet ist, mit der lange andauernden Verflechtung mit Europa zu tun hat. Als wir unser Projekt konzipierten, hatten wir keine Gruppenausstellung afrikanischer Kunst für das deutsche und europäische Publikum im Sinn. Ich denke, davon gab es schon ziemlich viel, so z.B. The Short Century (2001 - 2002), an der ich als Ko-Kurator von Okwui Enwezor beteiligt war, Africa Remix (2004 - 2007) unter der künstlerischen Leitung von Simon Njami oder Seven Stories About Modern Art in Africa, die ich zusammen mit Clementine Deliss 1995 organisierte. Es fanden also bereits Gruppenausstellungen statt, die sich bemühten, das deutsche und europäische Publikum über zeitgenössische Kunst Afrikas zu informieren und ihm diese näherzubringen. Wir wollten aber eine spezifische Ausstellung machen, in der es nicht darum geht, Afrika zu "repräsentieren", sondern die aus Meditationen individueller Künstler über die Verstrickungen - die belasteten historischen und politischen Beziehungen - zwischen Europa und Afrika besteht.

Deshalb geht es bei Who Knows Tomorrow nicht so sehr um Afrika. Es geht um Afrika und Europa, und wir hoffen, dass das Publikum die verschiedenen Projekte, die zu dieser Ausstellung gehören, in diesem Sinne versteht. Denn das was man sieht, ist nicht so sehr eine Sicht Afrikas als eines Spiegels von Europa. Die Fragen, die von den fünf beteiligten Künstlern gestellt werden, sind sowohl für Europa als auch für Afrika relevant - nationale Identitäten, Globalisierung, Multikulturalismus und all die Themen, die in der Welt von heute von wesentlicher Bedeutung sind.

Haupt & Binder: Angesichts dieses Ausgangspunkts ist es sehr interessant zu sehen, dass drei der Projekte für den öffentlichen Raum konzipiert sind, und zwar nicht nur im historischen Stadtraum, sondern an einigen der wichtigsten Institutionen des deutschen Kunstbetriebs, was eine weitere Bedeutungsebene mit sich bringt.

Chika Okeke-Agulu: Ja, ich denke, die Verbindung zwischen deutscher Kunst und Kultur und dem deutschen politischen System darf nicht übersehen werden, und es gibt kein besseres Beispiel dafür als die Alte Nationalgalerie, an der das Projekt von El Anatsui installiert ist. Dabei handelt sich um ein Museum, das in Antizipation der modernen deutschen Nation und um diese zu feiern gebaut wurde. Und deshalb steht über dem Portikus in goldenen Lettern "Der Deutschen Kunst 1871". Damit erkannten die preußischen Herrscher, die das Museum erbauen ließen, die enge Verbindung zwischen Kunst, Kultur und Politik ganz klar an.

Zu erwähnen ist auch die Neue Nationalgalerie, vor der Pascale Marthine Tayou sein Projekt installiert hat, - ein in Zeiten des Kalten Krieges errichtetes Gebäude, das Westdeutschland als eine Bastion der Demokratie und transparenten Vernunft im Gegensatz zum verschlossenen Geist Osteuropas repräsentieren sollte. Da ist also dieser Glaspavillon, ein Monument internationaler Architektur und der modernen Ästhetik des "Weniger ist mehr", aber seine ursprüngliche Funktion als politische Propaganda kann nicht ignoriert werden. Und wenn Pascale Marthine Tayou dort jetzt 54 Flaggen "afrikanischer" Länder und bemalte "kolone" Skulpturen installiert, die ursprünglich von Afrikanern geschaffene figürliche Darstellungen der Kolonisatoren sind, dann kommentiert er damit nicht nur die Politik supranationaler Entitäten wie der Afrikanischen Union, der Europäischen Gemeinschaft oder der NATO, sondern auch Europas verdrängte koloniale Nostalgie.

Nichtsdestotrotz läuft unser Ansatz nicht zwangsläufig darauf hinaus, dass diese Künstler politische Kunst auf eine allzu simple Art machen würden, sondern damit soll gesagt sein, dass die ästhetische Kraft dieser fünf Projekte zweifellos nicht ohne ein Verständnis der kulturellen, historischen und politischen Symbolik sowohl der Gebäude als auch der Kunstprojekte voll und ganz gewürdigt werden kann.

Haupt & Binder: Was erwarten Sie von dieser Ausstellung? Wir sahen und dokumentierten Africa Remix in Düsseldorf. Haben Sie den Eindruck, dass es mittlerweile einen Wandel in der Wahrnehmung von Kunst aus Afrika bzw. von Künstlern afrikanischer Herkunft gibt?

Chika Okeke-Agulu: Das steht außer Frage. Wenn man in das Stadtzentrum geht, kann man in der Deutschen Guggenheim die großartige Ausstellung von Wangechi Mutu sehen, zuvor waren dort Julie Merethus monumentale, von Berlin als Stadt inspirierte Gemälde installiert. Am 12. Juni eröffnete die Walther Collection in Neu-Ulm, zu der die vielleicht wichtigste Sammlung moderner und zeitgenössischer afrikanischer Fotografie gehört, mit einer fantastischen Ausstellung, kuratiert von Okwui Enwezor. Dies sind signifikante Entwicklungen. Künstler sind in den wichtigsten Institutionen für zeitgenössische Kunst in Europa präsentiert. Ich meine afrikanische Künstler. Man sollte nicht unterschätzen, was schon erreicht wurde, selbst wenn es noch eine Menge zu tun gibt, vor allem hinsichtlich der Museumssammlungen. Außerdem verstehe ich ein gewisses Zögern seitens der Kunstjournalisten Berlins, sich z.B. damit abzufinden, dass nur fünf afrikanische Künstler diese vier großen Museen besetzen, wenn man doch an Ausstellungen eines "Fußballteams" afrikanischer Künstler gewöhnt ist, womit die geringe Aufmerksamkeit gemeint ist, die Einzelkünstlern entgegengebracht wurde. Man blickte auf diese wie auf eine uniformierte Gruppe, auf dieselbe Weise wie man Afrika als ein einziges Land wahrnimmt, statt als 54 verschiedene und vielfältige Länder. Diese Idee, Einzelausstellungen oder wenige Künstler in großen Ausstellungsprojekten zu präsentieren ist etwas, das es noch vor wenigen Jahren nicht gab. In den Jahren vor The Short Century und bevor das Magazin Nka: Journal of Contemporary African Art seit 1994 veröffentlicht wurde gab es nur bescheidene Ansätze. Seitdem befinden sich Akademiker, Kritiker und Kuratoren jedoch in einem regelrechten "Wettlauf", um mit dem Auftauchen afrikanischer Künstler auf der Bühne klarzukommen. 2004, zwei Jahre nach The Short Century, stand auf dem Titel des Magazins ARTnews "Zeitgenössische afrikanische Kunst, die neueste Avantgarde?" - wohlgemerkt mit Fragezeichen. Es gibt also eine erhebliche Verschiebung, verbunden mit neuen akademischen Posten, die für Dozenten für moderne und zeitgenössische afrikanische Kunst geschaffen wurde, was ich in Princeton lehre. So hat es auf diesem Gebiet eine enorme Entwicklung gegeben, trotz der verbleibenden Herausforderungen.

Haupt & Binder: Es scheint, dass die Deutschen glauben, Kolonialismus sei ein Problem, das nur andere europäische Länder mit Afrika haben. Ist das auch etwas, das geändert werden könnte? Kann Deutschland damit beginnen anzuerkennen, was die eigene Rolle bei diesem Thema war?

Chika Okeke-Agulu: Ich kann schon verstehen, warum man in Deutschland so dachte, nachdem der Erste Weltkrieg und die afrikanischen Kolonialgebiete verloren waren. Es gibt unbewusste oder auch bewusste Bemühungen, sich nicht an die Vergangenheit zu erinnern. In einem Essay des Buches, das dieses Projekt begleitet, geht es darum, dass in Berlin, wo die Grundlagen der Kolonisierung gelegt wurden, kein Denkmal zu diesem Teil der Geschichte existiert. Ich kann nicht glauben, dass das nur eine Erinnerungslücke ist, wo wir doch die Fähigkeit der Deutschen kennen, ihre Geschichte zu dokumentieren, sich ihrer Geschichte zu erinnern, zumindest bis 1945. Mir scheint es da eine Art Amnesie hinsichtlich der Rolle Deutschlands bei der Kolonisierung Afrikas zu geben. Natürlich hat Deutschland seine dortigen Gebiete verloren, aber die Tatsache, dass der grundlegende Moment der europäischen Kolonialisierung Afrikas in Berlin stattfand, kann nicht als bedeutungslos abgetan werden. Ich denke, diese Frage tauchte ein wenig in einigen Reaktionen auf The Short Century auf. Ein Kritiker äußerte sich dagingehend, dass die Rolle Deutschlands bei der Kolonialisierung Afrikas in der Ausstellung nicht gut vertreten war. Dabei hat er selbstverständlich übersehen, dass die Ausstellung mehr auf die Unabhängigkeit und Befreiung Afrikas als auf die Kolonisierung des Kontinents fokussiert war. Aber heutzutage hat man schon das Gefühl, dass die Leute zunehmend sensibler für diesen Teil der Geschichte werden. Und da der Bundespräsident in dieses Projekt involviert ist, kann man hoffen, dass es eine größere Aufmerksamkeit für diese Geschichte geben wird, die gegenwärtig noch nicht ausreichend erinnert oder debattiert wird.

So schmerzlich Geschichte auch sein mag, es ist doch wert, sich daran zu erinnern, und sei es auch nur, weil uns die Konsequenzen hier begleiten, in Gestalt der sogenannten Afro-Deutschen, denn u.a. auch die koloniale Vergangenheit brachte sie hierher. Neben den schwarzen Amerikanern, die während des Zweiten Weltkriegs nach Deutschland gekommen sind, wanderten viele Afrikaner aus ehemaligen deutschen Kolonien ein und dachten, dieses Land sei ihres, selbst wenn das hiesige politische System das nicht unbedingt schätzt. Und das ist es was ich meine, wenn ich sage, in Afrika und Europa haben wir es mit den Konsequenzen der Kolonisierung und postkolonialen Zeit zu tun. Wenn sich die europäischen Länder und Nationen fragen "wer sind wir?", tun sie das wegen der zunehmend einflussreicheren Präsenz von Immigranten (und ihrer Nachkommen) aus früheren Kolonien. So müssen wir feststellen, dass obschon Europa darum kämpft, seine eigene Seele zu finden, es sich noch nicht mit der Geschichte seiner Verflechtungen mit seinem "Anderen" arrangiert hat.

(Aus dem Englischen: Haupt & Binder)

Chika Okeke-Agulu

Geboren 1966. Künstler, Kurator, Kunsthistoriker mit speziellem Interesse für zeitgenössiche Kunst insbesondere Afrikas und dessen Diaspora.

Assistant Professor of Art History an der Fakultät Kunst und Archäologie und am Zentrum für Afroamerika-Studien der Princeton University, USA.

Ko-Kurator einiger Ausstellungen, u.a. Seven Stories About Modern Art in Africa (1995), The Short Century (2001) und Who Knows Tomorrow (2010).

Mitautor (mit Okwui Enwezor) von Contemporary African Art Since 1980 (2009) und Mitherausgeber von Nka: Journal of Contemporary African Art.

 

Who Knows Tomorrow

Ein Projekt der Nationalgalerie - Staatliche Museen zu Berlin
4. Juni - 26. Sept. 2010

Künstler:

El Anatsui
Zarina Bhimji
António Ole
Yinka Shonibare
Pascale Marthine Tayou

Kuratoren:

Udo Kittelmann
Nationalgalerie - Staatliche Museen zu Berlin

Chika Okeke-Agulu
Princeton University, USA

Britta Schmitz
Nationalgalerie - Staatliche Museen zu Berlin

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