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Mehr als ein Festival - eine Plattform, ein Fest

Interview mit Solange Farkas, Gründungsdirektorin von Videobrasil

Binder & Haupt: Für das bevorstehende Festival SESC_Videobrasil sind zwei Teile angekündigt: die große Ausstellung von Kunst aus dem geopolitischen Süden und Installationen des in Berlin lebenden, dänisch-isländischen Künstlers Olafur Eliasson. Was haben diese beiden Ausstellungen miteinander zu tun?

Solange Farkas: Die Ausstellung Southern Panoramas, der eigentliche "Festivalzugang", wird Künstler aus Lateinamerika und der Karibik, Afrika, Asien, dem Nahen und Mittleren Osten, Osteuropa und Ozeanien präsentieren, die aus den im Rahmen einer Ausschreibung eingereichten Bewerbungen ausgewählt worden sind. Parallel zu Southern Panoramas zeigen wir die erste Einzelausstellung von Olafur Eliasson in Südamerika. Diese Wahl hat mit der Veränderung des Rahmens der Wettbewerbsausstellung zu tun, die bislang ausschließlich Video und Videokunst gewidmet war und jetzt auf alle Manifestationen und Praktiken der zeitgenössischen Kunst erweitert wurde. Eliasson geht in seinem Schaffen weit über alle Sprachbegrenzungen hinaus und setzt seine Kunst als eine für jegliches Publikum offene Sinneserfahrung ein. Wir haben schon immer die Notwendigkeit von mehr Dialog zwischen Süd und Nord empfunden. Künstler wie Olafur Eliasson, Bill Viola, Bruce Naumann oder Sophie Calle einzuladen, ihre Werke neben denen von Künstlern aus dem Süden zu zeigen, finden wir wichtig, weil das diesen Dialog stimuliert. Aber die gesamte Strategie von SESC_Videobrasil ist auf die Künstler aus dem Süden fokussiert.

Wir verstehen das Festival als eine Art Fenster, ein Schaufenster für künstlerische Produktion aus dem Süden. Als wir vor 25 Jahren begonnen haben, hatten wir zunächst natürlich im Sinn, brasilianische Künstler zu präsentieren. Doch als das Festival in den frühen 1990er Jahren besser bekannt und größer wurde, luden wir auch Künstlerinnen und Künstler anderer Herkunft ein. Wir wussten aber, dass es ein Fehler sein würde, uns auf den US-amerikanischen und europäischen Bereich zu beschränken. Das wäre nicht sinnvoll gewesen. Die Biennale von São Paulo ist immer sehr stark und ein Bezugsrahmen für die internationale Kunstproduktion gewesen.

Binder & Haupt: Als eine der ersten Fragen stellt sich uns die, worin denn nun eigentlich der wesentliche Unterschied zwischen SESC_Videobrasil und der Biennale von São Paulo besteht, die beide in derselben Stadt ausgerichtet werden. Natürlich ist die Geschichte Eures Projekts ganz anders als die der Biennale. Aber angesichts des neuen Ansatzes von SESC_Videobrasil, dessen innere Logik sich durchaus davon ableiten lässt, dass Video und neuen Medien inzwischen organisch in andere Ausdrucksformen eingebunden und mit diesen vermischt sind, fragt man sich doch, was daran denn so anders als bei der Biennale von São Paulo ist. Und das auch hinsichtlich des Fokus auf den Süden, denn die Biennale bezieht ja ebenfalls Kunst aus diesen Regionen der Welt ein, wie z.B. in der Edition des Jahres 2006.

Solange Farkas: Der Hauptunterschied besteht darin, dass sich SESC_Videobrasil schon von Anfang an dem Süden verpflichtet fühlte und die Produktion von Künstlern aus diesen Regionen besser bekanntmachen wollte. Und wenn wir sie sichtbarer machen, besteht die Idee natürlich darin, die Aufmerksamkeit des Nordens zu erlangen, zu helfen, diese Produktion in einen größeren Kreislauf einzubringen, aber als eine "via dupla", also eine Straße in beide Richtungen: den Kreis weiter in südliche Richtung auszudehnen und den Kreis des Südens für dieses Zusammentreffen zu stärken. Wir bemühen uns, zur Ausbalancierung dieses Dialogs beizutragen, weil die Produktion jener Regionen nicht genug von dem hat, was wie "Protagonismus" nennen. Die Idee ist, ihnen mit diesem Festival mehr Protagonismus zu geben.

Es würde nicht sinnvoll sein, solch eine große Veranstaltung in Brasilien - im Süden - z.B. aus eurozentrischer Perspektive zu organisieren. Natürlich besteht unser Interesse darin, uns umzuschauen, nach der gerade stattfindenden Kunstproduktion zu schauen und auch nach gleichgesinnten Partner in der Welt zu suchen.

Beim Festival haben wir uns immer darum bemüht, dass es nicht bloß eine Veranstaltung ist. In der Phase zwischen den Editionen funktioniert es auch als eine Quelle von Aktionen, Gelegenheiten, Partnerschaften und Strategien, wobei die Regierung, andere Institutionen und natürlich die Künstler, Kuratoren und Kunstspezialisten einbezogen werden, um dabei zu helfen, den Kreis viel mehr zu vergrößern, z.B. durch das Aufenthaltsprogramm, die Produktion von Dokumentarfilmen über Künstler usw.. Neben der Wettbewerbsausstellung haben wir in diesem Jahr an vier junge, in São Paulo lebende Künstler Aufträge vergeben, im Rahmen eines Aufenthalts Werke zu schaffen, die während des Festivals neben den Southern Panoramas gezeigt werden.

Es ist etwas anderes, diese Art von Plattform hier zu betreiben als - sagen wir mal - in Europa, weil wir von Seiten der staatlichen Institutionen keine so gute Infrastruktur für Kunst und Kultur haben: die Stipendien und Fördermaßnahmen, zum Beispiel. Obwohl die Veranstaltung alle zwei Jahre stattfindet, tun wir also verschiedene Dinge in der Zeit dazwischen. Wir geben Publikationen heraus, organisieren kleinere Ausstellungen sowie eine Menge an Vorträgen und Treffen, produzieren Dokumentarfilme über Künstler, bemühen uns um die Verbesserung unseres Netzwerks in den südlichen Gefilden und bauen Partnerschaften mit Kollegen an anderen Orten auf. Ich ziehe es vor, SESC_Videobrasil als eine Plattform zu beschreiben, aber natürlich ist es ein reales Festival, bei dem sehr viel passiert. Es ist auch ein Fest, denn wir laden alle beteiligten Künstler ein herzukommen, hier eine Weile zusammen zu verbringen, gemeinsam zu arbeiten, aber auch eine gute Zeit miteinander zu haben. Ihr werdet sehen, dass das ganze Programm schon ein ziemlicher Wahnsinn ist.

Binder & Haupt: Wird es auch bei den nächsten Editionen wieder Ausschreibungen geben? Auch das ist ja ziemlich anders als bei den üblichen Biennalen, bei denen die Kuratoren einfach aus dem auswählen, was sie kennen oder was ihnen von Kollegen empfohlen wird. Mit einer offenen Ausschreibung können Künstler erreicht werden, die im internationalen Kunstgeschehen noch wenig bekannt sind.

Solange Farkas: Ja, aus vielen Gründen wird das Prinzip der Ausschreibungen beibehalten. Es ist ohne Zweifel demokratischer. Und man sollte auch daran denken, dass viele dieser Regionen nur schwer zu erreichen und zu erkunden sind. Dabei ist nicht nur Afrika gemeint. Selbst in Brasilien kann man sich bei der kuratorialen Entscheidung nicht allein auf die eigene Recherche verlassen. Ausschreibungen sind eine Möglichkeit, Künstler einzubeziehen, die man auf andere Weise nicht gefunden hätte. Wir sind nicht nur für Brasilien eine Referenz, sondern auch für Südamerika und den Nahen Osten, insbesondere hinsichtlich von Künstlern, die an der Schnittstelle von Kunst und Technologie arbeiten.

Binder & Haupt: Werdet Ihr Technologie und neuen Medien in der Kunst auch künftig besondere Aufmerksamkeit widmen, selbst wenn der Ansatz nunmehr viel weiter ist?

Solange Farkas: Nicht unbedingt. Bislang wurde das Festival mit Video identifiziert. Das hat mit seiner Entstehung zu tun, aber die Lage hat sich in den letzten 25 Jahren verändert, wir hatten interaktive Werke, Medienkunst, Installationen etc. Aber heutzutage sehen wir in jedem wichtigen Kunstevent, dass unter den von Künstlern eingesetzten Mittel das Video eine Vormachtstellung einnimmt. In der Auswahl dieses Jahres haben wir Arbeiten mit Video nicht bevorzugt, aber es wurden eine Menge Videos eingereicht, sogar von Künstlern, die damit normalerweise nicht arbeiten (Maler und Bildhauer). Deshalb werden wir in der Ausstellung tatsächlich viele Videos haben. Aber das bedeutet nicht, dass das Festival weiterhin eine auf ein Ghetto von mit Video und Kunst & Technologie befassten Leuten beschränkte Plattform bleibt. Video ist ein allgemein verbreitetes Ausdrucksmittel geworden und hat seinen Platz bekommen. Deshalb hat das Festival diese Rolle erfüllt - diese Schlacht ist gewonnen. Insbesondere hier.

Vor 25 Jahren war der Widerstand gegen Video sehr stark. Ich erinnere mich, dass es in Institutionen und Museen deswegen tatsächlich so etwas wie einen Krieg gab. Vier Jahre lang war ich Direktorin des Museums für Moderne Kunst von Bahia, und dort gab es eine große Distanz zwischen Video und visuellen Künsten. Hier in São Paulo ist es mehr oder weniger wie in Europa, Japan oder den USA, aber wenn man zum Beispiel in den Norden Brasiliens geht, gilt Video dort noch als ein merkwürdiges Medium, und die "richtigen" visuellen Künstler arbeiten einfach nur als Maler und Bildhauer. Ich habe hart dafür gekämpft, diese Auffassung zu ändern.

Binder & Haupt: Um welche Themen soll es bei den Symposien des Festivals in diesem Jahr gehen? Und wie laufen diese ab?

Solange Farkas: In diesem Jahr werden wir ein neues Format haben, mit vier verschiedenen Rundtischen, einen in jedem Monat des Festivals von September bis Dezember. Die Rundtische basieren auf vier thematischen Achsen: Kunst als Territorium des Lernens; Institutionen am Rande von Netzwerken; kuratoriale Vorschläge für den Süden; und editoriale Intentionen. In jeder Sitzung werden zwei Fallstudien vorgestellt, deren Funktion darin besteht, unterschiedliche Dimensionen des Themas zu verdeutlichen; ein Gast wird per Video zugeschaltet sein; es gibt einen Vermittler und einen Disputanten, der das Konvolut der präsentierten Aspekte in einem kritischen Vorschlag zusammenfasst.

© Interview und Übersetzung aus dem Englischen:
Gerhard Haupt & Pat Binder

17. Internationales Festival Zeitgenössischer Kunst SESC_Videobrasil

São Paulo
Brasilien

Produziert von:
SESC & Associação Cultural Videobrasil

Generalkuratorin:
Solange Farkas
- Biographische Daten

Southern Panoramas

30. September -
11. Dezember 2011

Ort:
SESC Belenzinho

Künstlerliste
Mehr als 100 Teilnehmer aus Lateinamerika, Afrika, Osteuropa, Naher & Mittlerer Osten, Asien und Ozeanien

Seminar
Hauptaktivität des kuratorialen Bildungsprogramms

Olafur Eliasson
Your body of work

30. September 2011 -
29. Januar 2012

Kurator:
Jochen Volz

Drei Orte in São Paulo:
SESC Belenzinho, SESC Pompeia und Pinacoteca do Estado

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