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Fotomontagen basierend auf Bildern von Details in der Hagia Sophia in Istanbul. C & K Galerie Berlin, 21. April - 26. Mai 2018.
Von Almút Sh. Bruckstein | Apr 2018"Vor meinem inneren Auge sehe ich das Damaskus meiner Kindheit. Den großen Markt und die große Moschee. Die Moschee war nicht nur zum Beten da, sondern man erholte sich in ihr von der Hektik des Marktes. Stille, Ruhe, Schönheit, Besinnung, besonders in ihren Ecken. Mit den Ecken hatte es seine Bewandtnis: Nach dem Hauptgebet, das im Herzen der Moschee stattfand, verloren sich die Menschen in die Ecken der Moschee. Dort war man für sich. Konnte die Dinge nachklingen lassen. Es war ruhig dort. Jede Ecke war anders. Das hatte etwas Poetisches, Meditatives."
So beantwortet der Künstler Ali Kaaf meine Frage nach der Ecke. Gemeinsam befragen wir alte Philologien: Ecke heißt im biblischen Hebräisch pina, von liphnot, "etwas wenden" oder auch "sich umwenden", wovon auch panim, "Antlitz" abgeleitet ist: das was sich zu- oder abwenden kann, der Ewige spricht panim el panim, "von Angesicht zu Angesicht" mit seinem Propheten. Auch liphnim, "innen" folgt der Radix von "Ecke", es ist das, was sich "nach innen" gewendet hat. Panui hingegen, aus selber Wurzel, heißt "für etwas frei sein", oder auch "leer sein". Die aramäischen Kommentare übersetzen aramäisch sowita, im Arabischen sawia. In den Ecken der riesigen Umayyaden-Moschee von Cordoba, in denen die arabischen Philosophen des 13. Jahrhunderts gelehrt haben, so erzählt der Künstler, habe man abseits des Gebets ganze Universitäten gegründet, auch Kathedralen habe man in ihren Ecken errichtet, jede für sich ein Universum. Aber was ist dann die "byzantinische Ecke"? Die byzantinische Ecke, so sagt Ali Kaaf, ist die Ecke, "in der alles fließt", in der architektonisch noch zu erkennen ist, wer vorher und wer nachher kam: wer wann und wie die Moschee oder Kathedrale erobert, überbaut, neu geformt hat. In Europa hätten die Eroberer das Unterlegene abgerissen oder unsichtbar gemacht, während man in Byzanz habe "eins ins andere" fließen lassen, durchscheinend, transparent, eine Architektur des Sowohl-als-auch, in der es Gucklöcher gibt, in die Tiefe der Zeit und zurück. Statt nachträglich eingezogener Trennungen entsteht hier eine Art architektonisches Flüstern: Die Kathedrale der "Heiligen Weisheit", Hagia Sophia, gibt die Formen und Rhythmen ihrer Baumeister leise weiter in den weiten Raum der Moschee, ins Museum, das sie heute ist. Ali Kaaf ist empfänglich für dieses Flüstern. In fließenden Gesten und mit Techniken der Foto-Montage erforscht er in seinen neuen Editionen der "byzantinischen Ecke" die Überlagerungen, Variationen, Skalierungen, Überschreibungen, Deformationen des Materials und Prozesse des Verschwindens, die in der Architektur wie in der Psyche gleichermaßen am Werk sind. Wobei das Gefühl für die Geometrie des Ornaments, die Aufmerksamkeit für das Detail der römischen Fliese, den Formenreichtum des byzantinischen Kapitells, die Feinheiten des Marmors ihm niemals abhandenkommt, auch inmitten der vielen Schnitte, der überlagerten Schichten und nur noch partiell erkennbarer Formen.
Die Foto-Montagen der "byzantinischen Ecke" haben digitale "Originale" zur Vorlage, die während eines Besuchs des Künstlers in der Hagia Sophia in Istanbul entstanden sind und architektonische Details von Ecken, Säulen und Fliesen zeigen. Der Künstler versieht diese Fotos mit digitalen Überschreibungen, Überzeichnungen, trägt Schatten und Schichten ein, die auf den hochwertigen Papier-Drucken wie analoge Zeichnungen erscheinen. Die mit weiten Messerschnitten versehenen Foto-Montagen sind vergrößerte, variierte Versionen dieser Vorlagen, in einem fototechnischen Verfahren auf verschiedene Größen hochskaliert und auf minimale Weise variiert und neu beschnitten. Das Größenmaß jeder einzelnen "Kopie" ist das Ergebnis einer langen Recherche, bei der Hunderte Variationen verworfen werden und nur einige wenige vor dem Auge des Künstlers Bestand haben. In diesem spielerischen, von jedem Punkt aus unendlich variablen Verfahren exerziert der Künstler Schnitte, Überlagerungen, Verdrehungen, Durchsichten, digitale Nachbearbeitungen der Originale so lange, bis jede einzelne Arbeit, jede Konstellation, jedes einzelne Werk sein eigenes Maß erlangt. Dabei sind die Linien, die der Körper zieht, das Spiel der fließenden Messer-Schnitte, die den Werken ihre charakteristische Form verleihen, Momente größter Leichtigkeit und Freiheit. Ali Kaafs Foto-Montagen testen die Grenzen der Fotographie. Sie zeigen nichts, dokumentieren nichts, sind gestisch, graphisch, skulptural selbständig und von jeder Abbildlichkeit befreit; sie erinnern an das Flüstern der byzantinischen Ecke, an ihre Durchlässigkeit für das Fließen von Form und Materie, Licht und Schatten, Gegenwärtigem und Abwesendem. Ali Kaaf verschleiert seinen Gegenstand mit Löchern des Nichts. Er verweist auf das, was fehlt. Mit äußerster Präzision und großer Intensität markiert er die Flächen der Weiße.
Wir erkennen in Ali Kaafs Photo-Montagen Techniken der Surrealistinnen und Dadaisten wieder, die sich zwischen Traumwelt, kubistischen Schnitttechniken und abstrakter Serialität bewegen. Wo andere mit der Fotografie das Verhältnis von Wahrnehmung und Dokumentation befragen, verselbständigen sich in Ali Kaafs Foto-Montagen geometrische Formen, Proportionen, Poesie und Körper-Gesten. Am Ende verschwindet sein Gegenstand, verschwindet die Dokumentation, verschwindet die Architektur der byzantinischen Ecke, um über die Imagination, die Poesie, die Bewegung von Grund auf verwandelt wiederzukehren. Was sagt Maurice Blanchot über die Fotographie? Sie präsentiert Fakten ohne Kontext, jenseits dessen, was sich zu erkennen gibt, sie bringt zum Verschwinden, sie zeigt das Alltägliche im Kleid der unvorhersehbaren Überraschung.
"Wir sollen für das Experimentelle, das freie Arbeiten mit Schnitt, Material, Form und Größe noch freier werden, mutiger noch für die surreale Verkehrung und für die Rückkehr zur Einfachheit",
sagt Ali Kaaf bei meinem Besuch in seinem Atelier. Die Solo-Ausstellung bei C & K zeigt neben seinen neuen Foto-Arbeiten auch kleinere und größere Papierarbeiten. Mit Techniken der surrealen Verkehrung und in fließenden Gesten verbindet dieser Künstler mühelos die Traumwelten der Surrealisten mit der antiken Praxis des Kopisten, dessen unverwechselbare Handschrift in der Abweichung, der Variation, der Serie zu erkennen ist.
Ali Kaaf
* 1977 Wahran, Algerien; syrischer Herkunft. Lebt in Berlin, Deutschland.
Almút Sh. Bruckstein
Autorin, Kuratorin, Gründerin von Taswir Projekte
Ali Kaaf: Die byzantinische Ecke
21. April - 26. Mai 2018