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The invisible enemy should not exist. Präsentationen in Sharjah 2007 und in der Galerie Barbara Wien, Berlin, 2016. Text von Gauthier Lesturgie und Fotos.
Mai 2016Das Irakische Nationalmuseum in Bagdad, das die Heimat einer großen Sammlung von Objekten des Weltkulturerbes ist, wurde während der Invasion in den Irak 2003 nicht geschützt. Das ungesicherte Gebäude wurde geplündert, ungefähr 15.000 Objekte verschwanden und es entstand eine große Lücke in der Museumssammlung, sowie in der internationalen Sammlung von wertvollen Relikten der Menschheitsgeschichte.
In seiner ersten Ausstellung in der Galerie Barbara Wien präsentiert Michael Rakowitz The invisible enemy should not exist, ein seit 2007 fortlaufendes Projekt. Es ist eine direkte Antwort auf die Plünderung des Bagdader Museums und eine bewegende Hommage an dessen früheren Direktor, Dr. Donny George Youkhanna, der bis zu seinem Tod im Jahr 2011 seine Zeit der Rückgewinnung der verschwundenen Artefakte widmete. Es ist auch eine Reflexion von Rakowitz' eigenem biographischen Hintergrund, da die Familie seiner Mutter 1946 aus dem Irak floh und sich anschließend in den USA niederließ. Der Künstler, der in New York aufwuchs, lebt und arbeitet heute in Chicago.
Der Titel des Projekts ist eine Übersetzung von "Aj-ibur-shapu", der Name der wichtigsten Prozessionsstraße, die durch das Ischtar-Tor im alten Babylon führte. Die Geschichte dieses legendären Tores bietet interessante Parallelen zu Michael Rakowitz' Projekt, zum Teil weil dessen neuer Standort seit der Ausgrabung im frühen 20. Jahrhundert sich im Berliner Pergamonmuseum befindet. In den 1950er Jahren ließ die Irakische Regierung in Babylon davon eine Replik aus Gips und Holz produzieren. Auch Michael Rakowitz widmet sich der Herstellung von Nachbildungen: maßstabsgetreuen Reproduktionen der Objekte, die aus dem Irakischen Nationalmuseum geplündert wurden. Seine Repliken aus Pappmache sind mit arabischen Zeitungen und Verpackungen nahöstlicher Lebensmittel beklebt, die in den USA verkauft werden. Rakowitz selbst hat die verschwundenen Objekte nie persönlich gesehen. Er bekommt seine Informationen durch Bilder und Dokumentationen von der Datenbank des Orient-Instituts der Chicagoer Universität und der Website von Interpol. Seine Nachbildungen werden meist auf einem Tisch ausgestellt, dessen Formgebung den Verlauf der Aj-ibur-shapu-Straße aufgreift.
Durch schwarz-weiße Bleistiftzeichnungen ergänzt Rakowitz den Raum mit erzählerischen Episoden. In einer Zeichnung taucht zum Beispiel Dr. Donny George Youkhanna hinter einem Schlagzeug auf, eine ungewöhnliche Position für einen Archäologen. Eine Bildunterschrift erzählt uns, dass Youkhanna einst in einer Band mit dem Namen "99%" spielte, die Lieder von Deep Purple und Pink Floyd coverte. Dadurch erklärt sich die Tonspur im Hintergrund der Installation: Michael Rakowitz beauftragte eine Band namens Ayyoub, Deep Purples "Smoke on the Water" auf Arabisch zu covern, ein Lied, das eine Geschichte von sinnloser Zerstörung und Verlust erzählt. [1]
Die Ausstellungsorte spielen in Michael Rakowitz' Arbeit eine bedeutende Rolle. Seine Projekte werden oft für einen spezifischen Ort hergestellt und gehen auf dessen Geschichte ein. Für sein Werk May the arrogant not prevail - der Titel ist eine alternative Übersetzung von Aj-ibur-shapu - benutzte er ähnliche Techniken der Wiederverwertung von Verpackungen, um das Ischtar-Tor zu reproduzieren, dieses Mal als Replik der irakischen Replik der 1950er Jahre. 2010 war es in einer Gruppenausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt ausgestellt. In Berlin hatte dieses beeindruckende "Abfall-Tor" eine große symbolische Wirkung.
Im Fall des Projekts The invisible enemy should not exist, das zur Zeit bei Barbara Wien ausgestellt wird, ist es auch dessen Beweglichkeit, die seine Wirkung ausmacht [2]: Nachahmungen von verschleppten nationalen Schätzen werden zu Skulpturen zeitgenössischer Kunst und in einer kommerziellen Galerie ausgestellt. Dadurch werden sie in den Kunstmarkt integriert und kommen potenziell in den Besitz von Sammlern und Institutionen. Als das British Museum einige der Skulpturen des Projekts erwarb und diese in der Mesopotamien-Sammlung zeigte, entstand eine reizvolle Spannung, die nicht ohne Humor war. Rakowitz spielt immer mit diesen verschiedenen Werte- und Handelssystemen und benutzt dabei eine feine Ironie, die eine nachhaltige Wirkung hinterlässt.
Das Ziel des Künstlers, die gesamte Sammlung der verschwundenen archäologischen Objekte in Pappmache nachzubilden, kann beinahe als Sisyphos-Arbeit angesehen werden. Die Einfachheit von Rakowitz' Repliken offenbart den Verlust der Originale. Sie sind offensichtlich keine präzisen Fälschungen, sondern lediglich "billige" geisterhafte Erscheinungen, die paradoxerweise durch ihre eigene Anwesenheit eine Abwesenheit aufzeigen.
Anmerkungen:
Michael Rakowitz:
The invisible enemy should not exist
30. April - 30. Juli 2016