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Originalzeichnungen für den viel beachteten Comicroman des syrischen Künstlers in einer Ausstellung der Galerie Crone Berlin, 9. April - 18. Juni 2016.
Von Hannah Kugel | Mai 2016Hamid Sulaiman ist ein syrischer Künstler und Comiczeichner. Er wurde 1986 geboren und verbrachte sein Leben zunächst in Damaskus. Nachdem er Architektur studiert hatte, fing er an, als Grafikkünstler in seiner Heimatstadt zu arbeiten und dort auszustellen. Als die Revolution 2011 begann, machte er sofort mit, indem er Zeichnungen als Protest gegen Folter veröffentlichte und versuchte, eine Berichterstattung über die Demonstrationen zu organisieren. Beamte des Regimes nahmen ihn sehr bald fest und sperrten ihn für eine Woche ins Gefängnis. Dort sah sich Sulaiman mit drei Optionen konfrontiert: seine revolutionären Ideale zu widerrufen und Bashar al-Assad Gefolgschaft zu schwören, vor Gericht gestellt zu werden oder das Land zu verlassen. Er entschied sich für Letzteres und floh nach Ägypten, wo er ein Visum für Deutschland beantragte, das ihm später erlaubte, sich in Paris niederzulassen.
Zu jener Zeit dachte er, sein Exil würde von kurzer Dauer sein: "Ich glaubte, ich würde einige Wochen wegbleiben, oder vielleicht ein paar Monate. Alle Revolutionen des Arabischen Frühlings haben in relativ kurzer Zeit Diktaturen gestürzt. Ich dachte, das würde auch in Syrien so sein." Die Geschichte seines Comicromans Freedom Hospital beginnt in jener Periode, und seine Hauptfigur hat dieselbe Hoffnung. Ihr Name ist Yasmine, sie ist eine Studentin der Pharmakologie, die ein geheimes Krankenhaus für verwundete Revolutionäre eingerichtet hat, um diese sicher zu behandeln. Sie glaubt, der Krieg würde in 10 Monaten vorbei sein und wartet ungeduldig auf den Sturz von Bashar al-Assad, nach dem sie versuchen will, in die USA zu reisen, wo sie für ein Promotionsstipendium angenommen wurde. Angesichts eines derart überzeugten Optimismus zieht sich einem das Herz zusammen, denn man weiß um die unablässigen Gräueltaten, die in Syrien in den vergangenen fünf Jahren begangen worden sind.
In Freedom Hospital sind jene Jahre in fünf Jahreszeiten übertragen: Frühling, Sommer, Herbst, Winter und wiederum Frühling, während der sich die humanitäre Krise verschlimmert, da die politische Lage immer komplizierter wird. Zu jedem Abschnitt des Erzählstrangs schreibt Suleiman in die linke obere Ecke der Seite die Angabe der Zeit, die vergangen ist, und die entsprechende Opferzahl: "zwei Tage und 176 Opfer später, drei Monate und 12.469 Opfer später…". Ein schreckliches Zeitmaß, das sich unvermindert fortsetzt.
Yasmine ist eine starke weibliche Figur. Sie stammt aus einer moderaten sunnitischen Familie und schätzt zwar die Geschichte des Islam, lebt ihr Leben aber auf eine eher säkulare Weise. Allerdings begegnen uns in Freedom Hospital Syrer aller ethnischen Herkunft und Glaubensrichtungen: Sunniten, Kurden, Alewiten, Assyrer, Christen, Agnostiker, Unterstützer der Muslimbrüder und Sophie, eine Journalistin, die in Syrien geboren wurde, aber in Frankreich aufwuchs, und mit der sich westliche Leserinnen und Leser leicht identifizieren können. Im Verlauf der Geschichte erleben wir, wie jede dieser Figuren mit der Zunahme der Bombenangriffe, der Zersplitterung der revolutionären Fraktionen, dem Eingreifen ausländischer Mächte und der Ausbreitung des "Islamischen Staates" zurande kommt.
Die Geschichte des Freedom Hospital ist fiktional. Hamid Sulaiman komponierte sie aus Szenen, die er erlebte, und Leuten, die er kennt, wie sein Freund Hussam Khayat, der in einem syrischen Gefängnis zu Tode gefoltert wurde und dem das Buch gewidmet ist. Doch der Künstler hat auch mehrere Bilder von authentischen Aufnahmen des Krieges übernommen und in seine Erzählung einbezogen. Indem wir diese entsetzlichen YouTube-Clips wiedererkennen, die in unseren sozialen Netzwerken zirkulieren und Flüchtlingslager, IS Propaganda oder russische Luftangriffe zeigen, gibt uns seine Erzählung die Gelegenheit, solche Szene aus dem Blickwinkel jener wahrzunehmen, die davon direkt betroffen sind, und deren reale Auswirkungen zu verstehen: "Leute betrachten jene Bilder auf ihren Fernsehern oder Computermonitoren, aber es ist sehr schwierig, deren Bedeutung zu begreifen - zu verstehen, wie eine Sache die andere beeinflusst -, wenn es um so viele verschiedene Kräfte geht. Als ich sie zu Anekdoten und persönlichen Geschichten in Beziehung setzte, wollte ich eine Verknüpfung schaffen, die alles zusammenführt, was den Auswirkungen des Konflikt eine menschliche Dimension gibt."
In seiner Ausstellung in der Galerie Crone, in der Originalzeichnungen für Freedom Hospital gezeigt werden, gelingt es dem Künstler, dieselbe immanente Perspektive zu vermitteln. Von den meisten Blättern ist der Text entfernt worden, wodurch die Figuren des Buches sprachlos bleiben, so wie die mit der Tragödie ihres Leidens konfrontierten Betrachter. Dadurch können wir uns auf Sulaiman als Grafikkünstler und die Techniken des Zeichnens fokussieren, die er wählte, um seine Perspektive des Krieges darzustellen. Seine schwarzweißen Bilder sind figurativ, aber sein Pinsel vollzieht oft ein Spiel von Licht und Schatten, bei dem die Objekte zu ausgeschnittenen Silhouetten werden. Mit diesem Stil schafft er zutiefst poetische Bilder, die zur Härte des Themas in Kontrast stehen. "Ich zeichne gern auf diese leicht abstrakte Weise, um Raum für die Imagination der Betrachter zu lassen," erklärt der Künstler. "Dieser Krieg ist extrem schwierig zu beschreiben, besonders jenen, die nicht mit der syrischen Kultur und Geschichte vertraut sind. Ich finde, sehr realistische Bilder behindern manchmal die Wahrnehmung der Leute, weil sie eine strikte Sicht vorgeben. Ich möchte, dass die Betrachter die Lücken zwischen den Schatten mit ihrer eigenen Sensibilität füllen, um ihre Empathie zu betonen."
Die ausgestellten Seiten sind nicht chronologisch angeordnet. Sulaiman wählte sie danach aus, inwieweit sie in der Lage sind, ein direktes Verständnis ohne die Hilfe von Text zu ermöglichen. Beim Rundgang durch den weitläufigen und hellen Raum der Galerie Crone sind die Betrachter mit Bildern von Demonstrationen, Exekutionen, Amputationen, verwundeten Kindern und zerstörten Vierteln konfrontiert. Dies sind Bilder, die wir allzu oft sehen, und es bedarf der Arbeit solcher Künstler wie Sulaiman, damit wir uns nicht zu sehr an sie gewöhnen. Doch zwischen solchen düsteren Illustrationen gibt es auch Bilder von Liebe, Hoffnung, Toleranz und Freundschaft, denn das Freedom Hospital und dessen Betreiber und Insassen halten durch und kämpfen für die Befreiung Syriens von allen Formen des Despotismus.
Hannah Kugel
Geboren in Paris. Nach dem Studium zeitgenössischer Geschichte in London arbeitet sie als freischaffende Journalistin und Filmemacherin.
Das Buch Freedom Hospital in Französisch ist herausgegeben von çà et là / ARTE Editions. Demnächst erscheint es in Deutsch bei Hanser Berlin.
Hamid Sulaiman: Freedom Hospital
Ausstellung von Originalzeichnungen
für den 2016 veröffentlichten Comicroman
9. April - 18. Juni 2016