Für eine optimale Ansicht unserer Website drehen Sie Ihr Tablet bitte horizontal.
Topographies of the Soul. Einzelausstellung, Barjeel Art Foundation im Maraya Art Centre, Sharjah, 6. Dezember 2014 - 6. Februar 2015.
Von Ismail Al Rifa’i | Jan 2015Von dem Moment an, in dem Marwan Kassab-Bachi aufblickt, um das von den Himmeln der Offenbarung herab scheinende Licht aufzunehmen, versenkt er sich zutiefst in das Mysterium der Farbe und erschafft jenes Licht auf der Oberfläche seiner reichhaltigen Leinwände neu. Dieses Licht ist vielleicht das Licht von Damaskus, das noch in seinen Augen leuchtet, obwohl er die Stadt vor über fünfzig Jahren verließ. Oder ist es das Licht von Berlin, das sein inneres Dasein auf seiner Reise der Selbstentdeckung in jedem Bild, jeder Skizze oder jedem Pinselstrich durchdrungen hat? Ist es das Licht der Kindheitsträume, früherer Träume, die erst wahr wurden, als er sein Heimatland verlassen hatte? Aber wird es überhaupt irgendwann ein anderes Heimatland geben als das der Seele, das in sich selbst das gesamte Universum enthält?
Am 10. April 1957 traf Marwan in Berlin ein, was er zunächst nur für eine Stippvisite hielt. Das beabsichtigte Ziel seiner Reise war Paris, aber wegen der politischen Unruhen zu jener Zeit konnte er nicht direkt dorthin fahren. Doch wie es sich dann herausstellte, hatte er sich tatsächlich auf eine Reise in die verborgenen Bereiche der Kreativität begeben, die mit dem Kunststudium begann und ihn dazu brachte, sich in Berlin niederzulassen, damals ein Zentrum künstlerischer Aktivität und immenser kreativer Energie. Schon bald fand er eine Nische zwischen den kreativen Künstlern, von denen es in der Stadt nur so wimmelte, und seine Kunstwerke begannen, in den wichtigsten Galerien, Museen und Ausstellungsräumen der Stadt präsent zu sein. Marwan fand den Weg, der ihn zu sich führen sollte, zu seiner Individualität. Sehr bald lernte er, die Fäden seines kreativen Gewebes, die Sicht nach außen und die nach innen, zusammen zu bringen, Vision und Intuition zu kombinieren und seine innere Welt mit der gleichen Tiefe zu erkunden, mit der er die ihn umgebende materielle Welt mit all ihrer Misere und Bitterkeit erforschte, und durch die Fenster des Lichts zu blicken, die sich um ihn herum öffneten.
Auf einer unablässigen Entdeckungsreise war Marwan in der Lage, eine spirituelle Welt parallel zu der materiellen Welt, in der er lebte, zu schaffen. Das begann mit einer Gemäldeserie mit dem Namen Khaddouj, in der er die Erinnerungen an Khaddouj wach rief, das Dienstmädchen, das sein Vater aus der Provinz als eine Hilfe für den Haushalt geholt hatte. Wie er sich erinnerte, war ihr Erscheinungsbild eher ungewöhnlich. Aber sie war auch mit all den Erinnerungen seiner Kindheit verbunden, die sie zu jener visuellen Metapher machte, die seine Kunstwerke dominieren würde. Neben Khaddouj brachte ihn seine künstlerische Reise zu Stillleben, den "Puppen"-Serien und den Porträts, für die er später bekannt wurde und die zu seiner nahezu alleinigen Beschäftigung und seinem individuellen künstlerischen Interessensgebiet wurden. Diese künstlerischen Ergebnisse in ihren verschiedenen Perioden, mit dem Reichtum und der Vielfalt der expressiven Stile, wurden zur Verkörperung des inneren und des äußeren Daseins des Künstlers. Wahrhaftige Kunst ist jene, in deren ureigener Gestalt der Schöpfer und das Geschaffene in einer Weise verschmelzen, die das Wesen des Seins reflektiert. Wie einfach auch immer das Thema an der Oberfläche erscheinen mag, die Fähigkeit, innere Gedanken auszudrücken bleibt das vornehmste Medium, um die Bedeutung der Existenz zu vermitteln. Hier tritt die in der Kunst latente magische Kraft am deutlichsten in Erscheinung. Und hier werden wir uns des weiten Spektrums voll bewusst, das ein Gemälde von Marwan enthält. Diese Bilder gehen über die Oberfläche der Leinwände hinaus und dringen in jene inneren Spalten des Bewusstseins ein, die sich hinter dem dünnen Schleier der Form verbergen.
Wenn wir ein wenig innehalten und über die "Gesichts"-Porträts nachdenken (oder die "Köpfe", wie Marwan sie später nennen würde) und uns bemühen, in jenen Pinselstrichen die Topographie nachzuvollziehen, die zum visuellen Zeichen des Künstlers wurde, würden wir uns mit ziemlicher Sicherheit dem Unbeschreibbaren gegenüber wiederfinden. Egal ob wir der Auffassung sind, dass ein künstlerisches Werk die konkrete Welt repräsentiert oder aber irgend ein existenzialistisches Konzept, oder welches Thema auch immer, das Werk, um das es hier geht, bleibt doch stets eine eigenständige Einheit, die eigentlich keines Vermittlers oder kritischer Erörterung bedarf. Dennoch nähern wir uns einem Kunstwerk mit kritischem Ansatz, und sei es nur, um die Individualität des Ergebnisses als das zu würdigen, was die einzige wertvolle, ewig andauernde menschliche Aktivität ist und der Weg, an den wir uns klammern müssen, um die Würde einer von Kriegen, Massakern und Katastrophen beschädigten Existenz wiederherzustellen. Marwan seinerseits hat auf jene innere Stimme, die den Sinn von Identität oder Selbstsein und deren ureigenen Strömungen repräsentiert, reagiert und seine fesselnde ästhetische Deklaration abgegeben. Wir selbst müssen unsere Herzen und Köpfe öffnen, um diese Werke mit den Augen der Seele zu empfangen, zu betrachten und darüber nachzudenken und jenen eleganten Rhythmus aufzunehmen und zu fühlen, der das gesamte Gefüge von Marwans Werk durchdringt. Werden wir dazu in der Lage sein?
Wir haben hier einen kreativen Künstler vor uns, der sein gesamtes Leben damit verbrachte, die Seele auszugraben. Wir haben einen Künstler vor uns, der die Chemie der in den Quellen des Herzens versunkenen Farbe unermüdlich erkundete. Wir haben hier Jahrzehnte der Kreativität vor uns, eine weltweit gefeierte Laufbahn. Marwan, der von Deutschland geehrt wurde, indem er das Bundesverdienstkreuz erhielt und als eine "Seele Deutschlands" beschrieben wurde, ist Syrer "durch und durch". Obwohl er in seinem eigenen Land nie anerkannt oder gewürdigt wurde, fühlt Marwan, dass das heimatliche Blut, das von seinem Herzen zu seinen Venen pulsiert, das seine Existenz untermauert und sein Bewusstsein stützt, syrisch ist.
Wir möchten hier daran erinnern, was der große Schriftsteller, der verstorbene Abdulrahman Munif, einst über Marwan sagte, mit dem ihn eine sehr starke Freundschaft verband und mit dem er viele kreative und menschliche Anliegen teilte: "Marwan gehört einer seltenen Sorte von Künstlern an, die fest daran glauben, dass Kunst nicht nur aus einer im leeren Raum schwebenden Form besteht, sondern ein moralischer Akt ist, der Unterhaltung und Freude mit einer Suche nach der Wahrheit verbindet." Das beinhaltet die Essenz dessen, woran Marwan gearbeitet hat und wie er tätig ist. Es belegt auch die Tatsache, dass Marwans Schaffen zum Besten der zeitgenössischen Kunst gehört, eine von den wichtigsten Museen und Galerien in aller Welt gefeierte Leistung ist. Dass die Barjeel Art Foundation diese Ausstellung von Marwan organisierte, überrascht nicht, denn sie hat sich schon immer als ein führendes Forum für die Präsentation der angesehensten zeitgenössischen arabischen Künstler erwiesen. Die Ausstellungen der Stiftung haben ganz gewiss auf eine größere Weise dazu beigetragen, das künstlerische Bewusstsein zu vertiefen und die gegenwärtige Kunstszene zu bereichern. Angesichts des künstlerischen Ranges von Marwans Meisterwerken wird die gegenwärtige Ausstellung uns allen einen Zugang zur Wertschätzung einer einzigartigen Erfahrung bieten, die unsere Seelen ergreift, und das auch noch lange nachdem wir gegangen sind.
Ismail Al Rifa’i
Künstler, Dichter und Romanautor. Geboren 1967 in Syrien, lebt in Sharjah, VAE. Initiator und Leiter der unabhängigen Kunstinitiative Mayadeen.
Marwan: Topographies of the Soul
6. Dezember 2014 - 6. Februar 2015