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In den Videos, Installationen, Zeichnungen geht es darum, wie Geschichte geschrieben und interpretiert wird. 13. März - 13. Juni 2014, SAF Art Spaces, Sharjah. Die Kuratorin Hoor Al Qasimi interviewt den Künstler.
Mai 2014Wael Shawky verwendet eine Reihe von Medien, um Themen der Geschichte, Religion und Kultur sowie die Auswirkungen der Globalisierung auf die heutige Gesellschaft zu untersuchen. In Videos, Fotografien, Installationen und Performances fördert er Traditionen der Unterhaltung und Darbietungen durch vielschichtige Werke zu Tage, die das Publikum zwingen, durch das Territorium von Wahrheit, Mythos und Stereotypen zu navigieren.
Religion und die Tradition des Geschichtenerzählens - sowohl oral wie auch geschrieben - spielen in Shawkys Ästhetik eine zentrale Rolle. Sein Werk erfasst oftmals Situationen und soziale Praktiken, die unerwartete Momente der Ironie präsentieren: signifikante Texte werden in verschiedene Sprachen übersetzt, Alter und Autorität werden invertiert, und die Trennung zwischen religiösen und sozialen Ritualen wird verwischt.
Die von Hoor Al Qasimi, Direktorin der Sharjah Art Foundation, kuratierte Ausstellung zeigt Shawkys Interesse dafür auf, wie Geschichte neu geschrieben, dokumentiert und interpretiert wird. Das geschieht durch eine Reihe von Videos, Installationen, Skulpturen und Zeichnungen, darunter seine neue Al Araba Al Madfuna II, gemeinsam produziert von den Wiener Festwochen und der Sharjah Art Foundation.
Hier ein Interview der Kuratorin mit dem Künstlers anlässlich seiner Ausstellung in Sharjah:
Hoor Al Qasimi: Kannst du mir etwas über deine Arbeit Asphalt Quarter erzählen?
Wael Shawky: Asphalt Quarter basiert auf dem ersten Kapitel von Abdul Rahman Munifs Roman, in dem es um eine Gruppe von Beduinen-Fischern geht, die am Strand leben. Als englische Ölfirmen in dieses sehr einfache Dorf kommen, wollen sie natürlich Förderplattformen, eine Fabrik und dergleichen ins Wasser bauen. Sie begannen damit, dass sie die lokale Gemeinschaft und die "einfachen Leute" dazu brachten, für sie zu arbeiten. Der Punkt hier ist, dass diese Leute etwa vier Jahre lang am Bau dieser Plattform arbeiteten, ohne überhaupt eine Vorstellung davon zu haben, was sie eigentlich errichten. Sie wissen nicht, dass sie die Zukunft Saudi-Arabiens aufbauen. Und Munif schreibt über diesen Konflikt, diese Situation.
HQ: Wie ist der Titel des Buches?
WS: Cities of Salt [Salzstädte]. Es ist natürlich eine faszinierende Idee, dass jemand seine eigene Geschichte baut. Das ist wirklich unglaublich, dass es hier um Leute geht, die keine andere Sprache sprechen und nicht wissen was passiert oder was die Geschichte ist und dass da dann die anderen sind, die einen durchtriebenen Plan verfolgen… Jeder lebt mehr oder weniger in seiner eigenen Welt. Um dieses Kapitel aus dem Buch Salzstädte auf meine Arbeit zu übertragen, reiste ich in die westliche Wüste in Ägypten und bat die dort lebenden Leute, ihre Kinder zu bringen, damit sie mitmachen. So waren 60 Kinder zusammengekommen, und wir erzählten ihnen, dass wir für ein Flugzeug an nur einem Tag eine Startbahn aus Asphalt bauen wollen. Wir fanden eine Art von Asphalt, bei dem man keine Hitze braucht, und so bauten wir also die ganze Startbahn und dokumentierten das Ereignis, und die Kinder glaubten daran, ohne den Zweck zu kennen. Das war also eine Übersetzung jenes Kapitels aus Abdul Rahman Munifs Buch. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Idee oder diese Arbeit gemocht wird oder ob sie zu heikel ist, ich weiß es nicht.
HQ: Wir zeigen Darb Al Arbaeen in Sharjah nicht, denn du hast die Arbeit erst vor kürzerer Zeit im KW Institute for Contemporary Art in Berlin ausgestellt, aber das ist auch eine Projektion auf vier Leinwänden, und du hast ebenfalls mit Kindern in der Wüste gearbeitet.
WS: Darb Al Arbaeen ist anders. Darin geht es auf eine andere Weise um Kinder. Darb Al Arbaeen ist eine Straße, eine Kamelroute zwischen Darfour und Etfu in Ägypten. Es war die älteste Sklavenroute, die den westlichen Teil des mittleren Afrika mit Ägypten verbindet. Als die Sklaven aus dem Inneren Afrikas geholt wurden, geschah das auf diesem Weg, und dann wurden sie über Europa und sonst wo verteilt. Aber für mich ist sehr interessant, dass er Darb Al Arbaeen - der 40-Tage-Weg - genannt wird, denn man dachte, dass die Reise mit Kamelen 40 Tage dauern würde. Ich filmte einen Teil von Darb Al Arbaeen in Ägypten und einen anderen in einer Wüstenlandschaft in den USA. Zwischen Wüstenlandschaften gibt es keinen wirklichen Unterschied, man merkt im Grunde nicht, wo man ist. Es geht um die Idee vom Traum eines Übergangs von einer nomadischen Beduinengesellschaft in eine multikulturelle Gesellschaft. Das war ein Teil eines Projekts, das ich With Culture, By Culture nannte. Es hat also nichts mit dem Aufkommen des saudischen Öls und all diesen Dinge zu tun. Es geht vielmehr um…
HQ: … die Kamele?
WS: Ja, und selbst hier ist der Gedanke der Kamele eine Metapher für Nomadentum.
HQ: Asphalt Quarter ist eine ganze Weile nicht gezeigt worden, nicht wahr? Nicht viele Leute haben es gesehen.
WS: Tatsächlich war es nur selten zu sehen, nur auf der Biennale Venedig 2003 und dann - da bin ich mir aber nicht sicher - haben wir es in Darat Al Funun gezeigt, es gehört zur dortigen Sammlung, und möglicherweise irgendwann auch mal in der Townhouse Gallery. Ich sage ja auch nur, dass es Ähnlichkeiten zwischen den Arbeiten gibt, sie sind jedoch unterschiedlich.
HQ: Aber Dictums: Manqia I, die Arbeit mit den Kamelen, verknüpft Asphalt Quarter und Darb Al Arbaeen auf eine merkwürdige Weise.
WS: Ja, ja. Es gibt etwas Gutes in beiden Filmen, sie sind fast stumm. Es gibt dabei nur die Geräusche der Umwelt, aber das ist alles. Und es gibt da keine Erzählung oder irgendetwas dieser Art.
HQ: Was kannst du mir über The Cave [1] sagen?
WS: The Cave? Ich war von Platform Garanti in Istanbul eingeladen, wo ich an einem Künstleraufenthalt teilnahm. Das 2004 gewesen, zur selben Zeit, als sich die Türkei darum bemühte, in die Europäische Union aufgenommen zu werden. Da gab es auf den Straßen ständig Proteste, und ein Teil der Leute wollte sich dafür einsetzen, dass die Türkei ein islamisches Land bleibt, während andere sagten, es solle ein säkulares Land werden. Es gab einen politischen Konflikt. Zu jener Zeit versuchte ich also, in Istanbul ein Selbstporträt zu schaffen. Ich las damals sehr viel und beschloss, The Cave zu machen, also das Video, in dem ich durch einen Supermarkt gehe, in dem der Supermarkt eine Metapher für diese kapitalistische Gesellschaft ist, nicht einfach nur Kapitalismus. Aber es ist zugleich ein Selbstporträt, in dem ich mich bemühe, mich als einen Künstler zu zeigen, einen muslimischen Künstler, einen mit muslimischem Hintergrund. Der Supermarkt kann eine Metapher für viele verschiedene Dinge sein, selbst für die Kunstwelt, in der wir uns befinden, also dafür, was es bedeutet, in diese verschiedenen Städte zu reisen und Kunst zu präsentieren.
Und dann gibt es in dem Werk Ebenen, die mit den Geschichten innerhalb von The Cave zu tun haben, mit dem Gedanken von Wissen und Macht. Die meisten Gelehrten glauben dass dieses Kapitel [des Koran] dem Propheten [Mohammed] übermittelt wurde, um die Muslime darin zu bestärken, von Mekka nach Medina überzusiedeln. Es hat mit dem Konzept von Emigration zu tun und damit, dass wenn man schwach ist und sich in einer Position ohne viel Macht befindet und in seiner Welt unter großen Schikanen zu leiden hat, man zum Weggehen gezwungen sein kann. Man muss weggehen, um mehr Macht und Wissen zu erlangen, und man muss zurückkommen, um in der Welt etwas zu ändern. Eine dieser Geschichten in The Cave ist die der Schläfer in der Höhle [2]. Das ist in gewisser Weise eine andere Art von Emigration. Eine weitere Art von Migration ist die, die mit Moses geschah, als er dachte, er hätte alles Wissen der Welt, und Gott ihm dann sagte, er solle ausziehen und von anderen lernen. So reiste er los, um Al-Khidr [3] zu treffen, eine sehr wichtige Person der islamischen Kultur. Gott sagte ihm, er solle Al-Khidr besuchen, der über großes Wissen verfügt, und von ihm lernen. Ein anderer hieß Al Qarni, und es gibt da sehr viele Geschichten, so dass ich in dem Video dieses ganze Kapitel auswendig rezitieren musste, aus dem Gedächtnis, während ich durch die Gänge des Supermarkts lief, und ich habe dabei nicht viele Fehler gemacht.
HQ: Denkst du, dass diese Idee der Migration in The Cave auch zu Darb Al Arbaeen in Beziehung steht? Auf eine andere Weise?
WS: Migration… ja, es hat mit Migration zu tun, aber es ist eine andere Art.
HQ: In Al Araba Al Madfuna I und II verwendest du die Geschichten von Mohamed Mustagab. Warum Mustagab?
WS: Über 15 Jahre lang habe ich immer wieder versucht, etwas mit diesem Werk zu machen. Seine Art des Erzählens, die Art wie er schreibt, scheint sehr realistisch und sachlich zu sein, aber wie du weißt, ist sie mythisch.
HQ: Die rezitierten Geschichten und die Aktionen der Kinder auf der Leinwand sind nicht dieselben. Kannst du erklären, warum du sie eine "Geschichte" oder ein Ereignis spielen ließest, während sie etwas ganz Anderes rezitieren?
WS: Da Andere, das sie darstellen, ist meine Erfahrung in diesem Raum in jenem Dorf in Ober-Ägypten. Al Araba Al Madfuna basiert auf einer persönlichen Erfahrung außerhalb dieses Dorfes, wo ich einige Geschichten über Leute hörte, die nach einem toten Körper suchten. So hörst du eine Fabel von Mustagab, doch du siehst eine andere Geschichte. Ich versuche zu sagen, das es zwei Systeme gibt, die in dieser Serie parallel funktionieren, oder es gibt da Kinder mit der Stimme von Erwachsenen, und man hört eine Geschichte und sieht aber eine andere vor sich. Das ist wie bei der Geschichtsschreibung – man hört etwas in der Weise wie Mustagab es schreibt. Ich denke wir haben nach wie vor eine Ahnung, dass etwas nicht wahr ist, dass es nicht real ist. Da gibt es etwas, dass wir nicht glauben, und das ist immer das Ergebnis der Mischung dieser beiden Systeme.
HQ: Warum sind Religion und Geschichte so wichtig in deinem Schaffen?
WS: Das gehört zu meiner Kindheit. Ich lebte in Mekka und war sehr ergriffen von der Macht der Sprache, und als ich begann, ein wenig über Sufismus zu lesen, war ich fasziniert von der Macht des Wortes und der Sprache. Selbst wenn ich der Geschichte nicht vertraue, versuche ich doch, die Quellen geschriebener Geschichte zu benutzen, um diese Geschichte zu analysieren. Ich kritisiere Geschichte, indem ich sehr korrekt bin und exakte Sätze und Formulierungen benutze.
Anmerkungen:
Wael Shawky: Horsemen Adore Perfumes and other stories
13. März - 13. Juni 2014
Gebäude P, Bait Al Aboudi, Bait Gholoum Ibrahim; SAF Art Spaces
Al Mureijah,
Sharjah Heritage Area
Kuratorin: Hoor Al Qasimi
Veranstalter: