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Ausstellung im Bait Al Serkal, Sharjah, VAE, 13. März - 13. Juni 2014. Essay über Hefunas Werke und die Räume und Orte, die man konstruiert, um sich selbst und anderen zu begegnen.
Von Bettina Mathes | Mär 2014Kein Mensch lebt nur an einem Ort. Wir sind Reisende: emotional, mental, geographisch. Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen -- Ich ist Viele. Heimweh, Nostalgie, imaginierte Welten, virtuelle Realitäten, Träume, Schirme, Schleier und Schatten sind Orte, die uns am Leben halten, Auswege, die mich antreiben und motivieren. Susan Hefunas Photographien, Skulpturen, und Zeichnungen verleihen dieser mentalen Struktur sichtbaren Ausdruck: Die Muster, Raster und Gitter, die wir konstruieren, um uns in der inneren und äußeren Welten zurechtzufinden, die Räume, die wir aufsuchen und die Orte, die wir herrichten, um anderen und uns selbst zu begegnen.
Another Place / Ein Anderer Ort ist ein treffender Titel für diese umfassende Werkschau, die den Besucher auf eine sehr persönliche Reise mitnimmt. Spurensuche. Ein Suchen im Spüren. Ohne Sentimentalität, ohne Exhibitionismus. Bait Al Serkal beherbergt diesen Anderen Ort. Der weitläufige Gebäudekomplex mit seinen luftigen Innenhöfen und lichtdurchfluteten Galerien diente im 19. Jahrhundert als Residenz für den britischen Generalbevollmächtigten am Arabischen Golf. In den 1960er Jahren wurde das Gebäude dann zum ersten öffentlichen Krankenhaus in Sharjah umgebaut. Nun öffnet es seine Türen, um sich Fragen nach dem Ort von Erinnerung, von Macht und kultureller Differenz, dem Verhältnis von öffentlich und privat, von Trauma, Trauer und Heilung zuzuwenden.
Susan Hefuna arbeitet zwischen Kulturen und Sprachen, zwischen Zeiten und Räumen, zwischen Wissen und Nicht-Wissen - kein leichtes Unterfangen in einer Welt, in der der ach so falsche Gegensatz zwischen 'dem Westen' und 'dem Orient' viel zu oft zur Parteinahme zwingt. Mit großer Sensibilität für die Gespenster, die jedem Ort seinen untrüglichen Charakter verleihen, lenkt Susan Hefuna unsere Aufmerksamkeit auf die prekäre Präsenz des Fremden, des Außenseiters, und auf die Art und Weise wie wir ihm und ihr begegnen. Schwellen, Schleier, Schirme sind wichtige Elemente in Hefunas Kunst. Die Mashrabiyas zum Beispiel: im kreativen Spiel von Licht und Schatten eröffnet jedes Fenstergitter eine Übergangserfahrung, einen Raum zwischen privat und öffentlich, innen und außen, mir und dir, Vergangenem und Gegenwärtigem. Hinreißend kunstvolle Ornamente wandern auf Wänden und Böden. Zarte Muster. Ich gucke der Zeit beim Vergehen zu. Wie zerbrechlich wir sind! Wie eine zweite Haut beschützt die Mashrabiya was in der Begegnung mit dem Anderen (dem Fremden) so oft auf Ablehnung stößt: die Anerkennung der Unterschiede, die uns verbinden. Mashrabiya... Gitter, die nicht gefangen nehmen.
Und erst die Zeichnungen! Tusche und Bleistift auf übereinander gelegtem Pauspapier. Punkte, Linien, Kurven und Kreise, abstrakte Muster und Konfigurationen, die mich in ihren Bann ziehen, vor meinen Augen zu tanzen beginnen, meine Fantasie in Schwingung versetzen. Ich sehe Moleküle, Landkarten, Skylines, die filigranen Ornamente der Mashrabiya, Teppiche und Textilien, Choreographien und Rhythmen; Muster, die mir die Angst vom Leibe halten.
Bleistift, Tusche und Pauspapier sind empfindliche Materialien: empfänglich für Verletzungen. In manchen Zeichnungen hat Hefuna die Pauspapierlagen zusammengenäht. Stiche und Nähte erinnern an Wunden. Vernarbte Haut. Die Zeichnungen zeigen Schwäche. Und sind doch stark. Pauspapier über Pauspapier; eine Schicht beschützt die andere. Privacy. Im Verborgenen komme ich zu mir. Und wünsche doch nichts mehr, als gefunden zu werden. Also hinterlasse ich Spuren. Hide and Seek. Der Schein trügt nicht, oder doch?
Die Zeichnungen sind abstrakt, aber das heißt nicht, dass sie den Körper negieren. Im Gegenteil, der Körper ist in den Zeichnungen aufgehoben. Wenn Susan Hefuna zeichnet, wenn die Zeichnung gelingt, ist sie ganz bei sich. Jede Zeichnung entsteht aus einer spontanen, ununterbrochenen Bewegung der Hand und des Körpers. Hände lügen nicht, heißt es. Die Punkte, Linien und Kurven beschreiben eine Reise ins Ungewisse. Zeichen der Zeit. Meine Vergangenheit liegt vor mir - Strich für Strich für Strich. Und im Dazwischen. Eine Lage Pauspapier beschirmt die andere, und ich bekomme den Zwischenraum zu spüren. In mir, zwischen uns: Spuren. Die Zeichnungen bilden einen Raum, der sich schwer festlegen lässt: still und fließend, gefährdet und geschützt, fremd und vertraut. Ich kenne diesen Ort. Traumaspuren. Spuren eines unaussprechlichen Schmerzes, der in der Vergangenheit liegt und sich im Hier und Heute bemerkbar macht - wenn wir begreifen, dass einmal gebrochen uns nichts mehr heilt. Worte fehlen, noch. Du bist ... in mir, aber kein Teil von mir. Hier und nicht hier. Fort - Da. In der Schwebe.
Die Zeichnungen sind schön, sehr schön. Schön in ihrer Zerbrechlichkeit, durchzogen von Stichen, Löchern, Nähten. Eben diese Fragilität macht sie so anziehend, so verführerisch und so Angst erregend. Angst erregend weil sie die Wunde, die in ihnen wohnt, nicht verbergen (eine Wunde, die jeder Fremde kennt; ein roter Punkt ... ich sehe Blut). Anziehend, weil im Nachspüren des Schmerzes Kraft und Orientierung entstehen. Vor meinen Augen.
Verführung und Angst - aber kein Drama! Die Zeichnungen nehmen mich mit auf eine Reise, deren Ziel sie nicht kennen. Der Betrachter übernimmt die Führung, gibt die Orientierung vor. Inmittten der Muster und Gitter, der Punkte und Linien bestimme ich, wohin die Reise geht: nach vorn oder zurück, nach unten oder nach oben, Vordergrund, Hintergrund. Ich stelle mir vor, die Zeichnungen sind "leibliche Landkarten" (ein Konzept, das sich nur schwer mit westlichen, auf Logik und Rationalität basierenden Raumkonzepten verträgt). Sie erzählen davon, wie wir uns als leibgebundene, dem Symbolischen zugewandte Wesen mit Orten, Städten, Körpern, Geschichten in Beziehung setzen, wie wir die Erfahrung - immer leiblich, immer sinnlich - mit dem Abstrakten verbinden, ohne die eine dem anderen unterzuordnen.
Die flüchtige Präsenz der Zeichnungen... Sie erinnern mich an Italo Calvinos Unsichtbare Städte: andere Orte, die uns Zuflucht gewähren. Wenn die Zäune durchbrochen, die Grenzen durchstoßen, wenn der Andere Ort keinen Schutz mehr bietet, Vergangenheit und Gegenwart, Damals und Heute plötzlich in eins fallen - dann zerbricht etwas in uns, in mir. Unterbrochene Linien. Zerfallene Welten. Fragmentierung. Kommt der Impuls zur Kunst von dort? Aus der nicht unbegründeten Furcht, dass das Fremde (in uns) zuerst stirbt.
Zeichen : Spuren : Pausen.
Bettina Mathes
Autorin und Kulturkritikerin. Professorin an der School of Visual Arts (SVA), New York, USA.
Susan Hefuna: Another Place
13. März - 13. Juni 2014
Bait Al Serkal, Arts Area
Sharjah, VAE
Kuratorin: Hoor Al Qasimi
Veranstalter: