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Über ihr künstlerisches Schaffen, das eng mit ihrem aktiven Engagement in der tunesischen Kunstszene verknüpft ist.
Von Caroline Hancock | Apr 2014"Ich liebe dich mehr, als du dir vorstellen kannst. Aber ich muss fort. Die Zeit vergeht und ich werde wiederkommen."
Jalila Hafsia, Cendre à l'aube, 1975 [1]
Nach dem Studium in Paris und Montreal kehrte Sana Tamzini 2003 nach Tunesien zurück, dazu entschlossen, sich in der kulturellen Landschaft ihres Heimatlandes zu engagieren. Ihre phänomenale Energie und Hingabe als Kulturmanagerin, Vermittlerin, Lehrerin und Kuratorin sind gut bekannt. Ihr künstlerisches Schaffen ist intuitiv mit ihrem kämpferischen Geist und aktiven Engagement in der tunesischen Kunstwelt verknüpft. Zu ihren vom Wesen her diskreten, poetischen und ephemeren Werken gehören vor allem Lichtinstallationen, Fotografie, Video und Performance mit einem tiefen soziopolitischen Fundament. Sie widmet sich der Arbeit mit ortsspezifischen Räumen, wobei sie deren Spezifika hervorhebt und auf einer aufmerksamen Recherche über den Ort und dessen frühere und gegenwärtige Bewohner und Nutzer aufbaut. Tamzini interessiert sich für Geographie, Geschichte, Architektur und Erbe im weitesten Sinne des Wortes sowie Volks-Traditionen.
Sie wurde in Kairouan geboren, das jetzt eine Stätte des UNESCO Welterbes ist, beschäftigte sich besonders intensiv mit alten Höhlenwohnungen und hat jedwede traditionelle Bräuche oder Fertigkeiten, die auszusterben drohen, aufgenommen und dokumentiert. So würdigt sie in verschiedenen Projekten immer wieder in Vergessenheit geratendes landwirtschaftliches Wissen und Können. Eine 2013 entstandene Installation und eine Performance beziehen sich auf das Sammeln von Espartogras im Dorf Takrouna, einer Faser, die zum Flechten von Türvorlegern und Körben benutzt wird. In Chénini arbeitete sie mit Ammek Ali Sanoun zusammen, dem letzten Steinbrecher der Gegend, um in einer Höhle eine Projektion und Performance mit dem Titel Khadem ala ijebel ib kadouma (Den Berg mit einer Spitzhacke angehen) - nach einem tunesischen Sprichwort - zu schaffen. [2]
Im Jahr 2010 absolvierte Tamzini einen dreimonatigen Künstleraufenthalt im Gyeonggi Creation Center in Südkorea. Ihr dortiges Projekt unter freiem Himmel mit dem Titel Land-Erinnerungen in Daebudo war auf die lokalen Bauern und deren Feldfrüchte sowie auf verborgene Geschichten im Zusammenhang mit der japanischen Invasion fokussiert. Für gewöhnlich benutzt Tamzini in ihren Installationen Glasfaserkabel als Hauptmaterial. James Turrell nennt sie als den wichtigsten Einfluss. 2009 brachte die Ausstellung Proximity im Museum der Stadt Tunis, dem Kheireddine Palast, ihr Schaffen mit dem von Giuseppe Penone in einen Dialog. Im begleitenden Text schrieb die Kuratorin und Philosophin Rachida Triki: "Diese gleiche poetische Osmose zwischen der physischen Welt und menschlichen Wesen ist für Sana Tamzinis Schaffen der letzten paar Jahre charakteristisch gewesen. Auf eine virtuelle Weise betonen ihre Werke auch die große Nähe zwischen der nicht wahrnehmbaren Bewegung des Lichtes und raumzeitlichen Empfindungen."
Am Tag des Ausbruchs der tunesischen Revolution im Jahr 2011 organisierte Tamzini zusammen mit Sonia Kallel und Kunststudenten eine Aktion in Bir Lahjar, der Medina von Tunis. HORR 1 war eine menschliche Barrikade als Unterstützung der spontanen Sperren, die um die Altstadt errichtet worden sind, um während der Krise das Kulturerbe und die Habseligkeiten vor den Plünderungen zu schützen. Die Aktion richtete sich auch auf ein erkanntes Problem des Fehlens von Kommunikation und Austausch in jener Zeit und legte den historischen Mangel an Freiheit des Ausdrucks und der Bewegung in der öffentlichen Sphäre Tunesiens offen.
Angesichts der Stärke ihrer vielen kuratorialen Projekte sowie ihrer Lehrtätigkeit an der École Supérieure des Sciences et Technologies du Design de Tunis, Manouba Universität, wurde Sana Tamzini im April 2011 gebeten, Direktorin des Centre National d'Art Vivant (Nationales Zentrum für Darstellende Kunst) im Belvedere Park in Tunis zu werden. Das wäre normalerweise nicht die von ihr bevorzugte Laufbahn gewesen, doch inspiriert durch die Jasmin Revolution wusste sie, dass dies der Ort war, wo sie die Möglichkeiten des Kunstsektors aktiv fördern könnte, indem sie dem kreativen Experimentieren Raum verschafft. Während des Printemps des Arts in El Abdellya in Tunis im Frühjahr 2012 sind Künstler von Extremisten direkt mit dem Tod bedroht worden. Von da an wurden Agieren und Widerstand sogar noch dringender notwendig. Tamzinis Programm konzentrierte sich darauf, populäre und zeitgenössische Kunstformen zu mischen und junge Künstler in die Lage zu versetzen, mit ihren Werken Risiken einzugehen, in situ zu arbeiten und auf die sich schnell verändernde Gesellschaft zu reagieren. Solche Ausstellungen und Projekte wie Politiques/Politics [3], MAFOUL BIHI / Être AGI, Hadhirate/ Being Here hinterfragten, was es bedeutet, ein Bürger zu sein, und zielten darauf ab, die Wichtigkeit und den Wert des kulturellen Sektor in einem größeren Kontext zu bekräftigen. Tamzini ist Mitglied der Tunesischen Assoziation für Ästhetik und Dichtung (ATEP) und öffnete das Zentrum für den Austausch mit solchen ausländischen Kultureinrichtungen wie z.B. dem Goethe-Institut, dem Institut français, dem Italienischen Kulturinstitut und der UNESCO.
Als Direktorin des Zentrums nahm Tamzini an Diskussionsrunden über historische Stätten und die Notwendigkeit teil, Strategien für die Aussöhnung zeitgenössischer Künstler und des tunesischen Volks mit ihrem materiellen und nicht-materiellen Kulturerbe zu finden, das im Allgemeinen schlecht bewahrt und erforscht wird. Organisiert wurden diese im letzten Jahr von verschiedenen Gruppen von Wissenschaftlern und Experten für Archäologie sowie wichtigen tunesischen Akteuren für nachhaltige Entwicklung und Kulturtourismus zusammen mit dem Netzwerk der European Union National Institutes of Culture (EUNIC). Im Rahmen dieses weiter gefassten regionalen Programms wurde sie aufgefordert, ein Projekt zeitgenössischer Kunst zu organisieren, wobei es sich um eine viertägige Veranstaltung in der Stadt Sbeïtla und den benachbarten, von der UNESCO geschützten römischen Ruinen von Sufetula aus dem 1. Jahrhundert u.Z. handelte. Sie begann, mit Künstlern der Gegend und aus anderen Teilen Tunesiens über Themen des Gedächtnisses, der Geschichte und Identität zu arbeiten. Dabei entdeckte sie, dass die Dichterin Marianne Catzaras den Ort sechs Jahre lang wiederholt mit Studenten besucht hatte und involvierte sie bald schon in das Projekt, das sich in Form von Defilees und Musik, Karikaturen, Performances und einer Schau von Fotografien unter freiem Himmel artikulierte.
Im Juni 2013 wurde in Zusammenarbeit mit dem Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen eine Fotoausstellungen über das Flüchtlingslager Choucha an der Grenze zu Libyen organisiert. Das Lager wurde in jenem Monat geschlossen, was bedeutete, dass die Eröffnung in die hochsensible Zeit des Protests gegen diese Entscheidung fiel. Tamzini bemühte sich darum, dass zu diesem Anlass alle Meinungen gehört werden, doch ist diese demokratische Haltung von den ministerialen Autoritäten nicht bewilligt worden. In einem Prozess ohne Professionalismus und Transparenz wurde sie während des Sommers ihres Postens "enthoben". Tamzini kehrte zur Lehrtätigkeit zurück und kämpfte darum, einige der für das Centre schon geplanten Ausstellungen an anderen Orten in Tunis stattfinden zu lassen, so im Nationalmuseum von Bardo und im Instituto Cervantes.
Als Präsidentin des FACT (Forum des Associations Culturelles en Tunisie, Connexions, Deutsche UNESCO Kommission) für 2014-2015 vertritt Tammzini die tunesische Kultur bei der UNESCO. Sie engagiert sich weiterhin für die Entwicklung des kulturellen Sektors in Tunesien, ermutigt durch die neue Verfassung vom Januar 2014 und durch die vor kurzem erfolgte Ernennung von Mourad Sakli zum Kulturminister. Ihre Bürgeraktionen im öffentlichen Raum werden sich intensivieren. Sana Tamzinis leidenschaftlicher Enthusiasmus und ihre zahllosen Aktivitäten werden durch Konflikt und Erfolge nur gestärkt, und ihre Stimme ist ganz gewiss eine, auf die man achten und die man unterstützen sollte.
Anmerkungen:
Caroline Hancock
Freischaffende Kuratorin und Autorin. Lebt in Paris, Frankreich.