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Über sein Werk Das Tote Meer in drei Teilen, Teil der Ausstellung HIWAR, Conversations in Amman, präsentiert von Darat al Funun.
Von Eline van der Vlist | Mär 2014Am 29. November 1947 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die UN Resolution 181 (II). Darin empfahl sie die Annahme und Implementierung eines "Plans der Teilung mit Wirtschaftsunion", der die Teilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Staat sowie einen Sonderstatus für Jerusalem vorsieht. Von dem arabischen Staat explizit ausgenommen war ein "Landstreifen längs des Toten Meeres, der sich von der Grenze zwischen den Unterdistrikten Beersheba und Hebron bis nach Ein Geddi erstreckt". [1] Im Grunde genommen mit einem Federstrich wurde das Tote Meer dreigeteilt: die östliche Hälfte fiel dem heutigen Jordanien zu, und die westliche Hälfte wurde in zwei Teile aufgesplittet, das größere obere Ende wurde dem Territorium zugeschlagen, das heute die West Bank ist, und den unteren Teil erhielt das spätere Israel.
Es versteht sich wohl von selbst, dass die rücksichtlosen Konsequenzen des Teilungsplans der UNO von 1947 Auswirkungen auf die ganze Region und auf die Welt hatten und bis heute haben und der Ausgangspunkt für viel menschliches Leid sind. Die geradezu anekdotische Aufteilung eines Gewässers, das nicht umsonst "Totes" Meer genannt wird, ist in diesem umfassenderen Kontext verständlicherweise nicht mehr als eine Fußnote in den Annalen der Geschichte.
Aber genau solche kaum zur Kenntnis genommenen Erzählungen und Zufälle der Geographie interessieren den libanesischen Künstler Rayyane Tabet.
Sein Werk The Dead Sea in Three Parts (2013, Das Tote Meer in drei Teilen) ist eine riesige Bodenarbeit, bestehend aus drei großen, mit Schlamm überzogenen Strukturen, die maßstabgerechte Darstellungen des aufgeteilten Toten Meeres sind. Das größte Stück - also der jordanische Teil - steht aufrecht, unsicher auf der ziemlich schmalen Basis balancierend, während die beiden kleineren Teile - die der West Bank und Israels - geradezu achtlos auf die Seite gefallen sind, so als seien sie mit einem Messer abgeschnitten worden. Aufgebaut im Lab von Darat al Funun in Amman, Jordanien, ist das Werk von der Straße aus durch große Schaufenster gut sichtbar. Das heißt, das größte, jordanische Segment ist sichtbar und wirkt wie ein vorbeiziehendes Schiff. Die anderen beiden Teile bleiben hinter ihrem größeren Bruder so lange verborgen, bis man den Raum betritt und frontal vor dem Werk steht.
Man kann sich die politischen Metaphern leicht ausmalen, die in diese Präsentation eingebettet sind, aber wenn man sie genauer betrachtet, scheinen die Ursachen und Konsequenzen der zugrundeliegenden soziopolitischen Geschichte nicht der primäre Fokus von Tabet zu sein. Sie bieten eher einen brauchbaren Ausgangspunkt für sein Bemühen, oder vielleicht auch seine Obsession, sich auf die formalen Aspekte zu konzentrieren, die diese Erzählungen bieten. Es ist so, als wolle er uns mitteilen, dass solche Entscheidungen wie die im UNO Teilungsplan getroffenen nicht nur Auswirkungen auf die Bevölkerung, sondern auch Konsequenzen für leblose Formen und Objekte haben. Paradoxerweise gerade durch seine formale Visualisierung lenkt er aber unsere Aufmerksamkeit auf die erzählerischen Auslöser und die menschlichen Geschichten, die sie vermitteln. Diese konstante Anziehung und Kontradiktion von Form und Fakt (oder manchmal Form und Fiktion) ist das, was ihn von vielen seiner Zeitgenossen sowie auch von seinen Vorgängern unterscheidet. Wenn, wie es oft heißt, Minimalismus formal ein "Weniger ist Mehr" ausdrückte und konzeptuelle Künstler "mehr mit weniger" sagten, nutzt Tabet in seinem Werk einen strikt minimalistischen Formalismus, um ungemein komplizierte und eindeutig nicht-lineare Geschichte und Geschichten herauszudestillieren. Und im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die mit archivarischem und historischem Material arbeiten, sind Form und Material für Tabet niemals sekundär.
Dazu passt wohl, dass auf dem Dach desselben Labs, in dem jetzt gerade Das Tote Meer in drei Teilen zu sehen ist, eine frühere Arbeit von Tabet ihren permanenten Standort hat: Fossils, 2008, Teil von Five Distant Memories: The Suitcase, The Room, The Toys, The Boat, and Maradona (2006 - fortdauernd). Die aus sieben, in Beton eingeschlossenen Koffern unterschiedlicher Größe bestehende Installation bezieht sich auf Kindheitserinnerungen von Tabet aus der Zeit des libanesischen Bürgerkriegs, als die Habseligkeiten ständig gepackt sein mussten, um bei Gefahr sofort flüchten zu können. Die Materialität des Werkes - der dem Sinn und Zweck abreisefertigen Gepäcks trotzende Beton und die graue Zementfarbe, die an mit Asche und Gebäudetrümmern überzogene Flüchtlinge erinnert - erfasst nicht nur treffend die persönliche Geschichte des Künstlers, sondern impliziert einen viel weiteren Kontext.
Das Tote Meer in drei Teilen wurde für HIWAR, Conversations in Amman geschaffen und dabei ausgestellt. Dieses Projekt besteht aus Künstleraufenthalten, Gesprächen und einem Ausstellungsprogramm, kuratiert von Adriano Pedrosa, um Darat al Fununs fünfundzwanzigjährige Unterstützung der Künste zu feiern. Tabet ist einer von 14 Künstlern seiner Generation, die alle aus dem Süden der Welt kommen und in zwei Gruppen zu einer einmonatigen Künstlerresidenz in Darat al Funun eingeladen waren. Während ihres Aufenthalts hatten die sieben Künstler einer jeden Gruppe die Gelegenheit, voneinander zu lernen und mehr über das Schaffen, den Hintergrund und Kontext der Anderen zu erfahren. Die Residenz kulminierte in einer Ausstellung, in der auch Werke aus der Khalid Shoman Sammlung zu sehen waren. Obwohl die Künstler nicht ausdrücklich aufgefordert gewesen sind, während ihres Aufenthaltes neue Arbeiten zu schaffen, taten dies letztendlich fast alle von ihnen.
Eine der eher unerwarteten Entdeckungen bei Das Tote Meer in drei Teilen besteht darin, dass sich die Arbeit während der Ausstellungsdauer leicht verändert. Nicht nur, weil viele Besucher der Versuchung nicht widerstehen können, den dunklen Schlamm anzufassen, der die Installation bedeckt, sondern vor allem weil der Schlamm des Toten Meeres selbst überraschend lebendig ist. Wenn das Wasser langsam verdunstet, erscheinen Salzkristalle auf der Oberfläche und glitzern im Licht. Zugleich tröpfelt salziges Wasser auf den Boden und lässt auf dem Beton weißrandige Kreise entstehen. Das zeigt, dass Formen Geschichten der Vergangenheit erfassen, in der Gegenwart verwurzelt sein und ein Leben in der Zukunft haben können.
Siehe auch das Video
Rayyane Tabet erläutert sein Werk ►
Anmerkung:
Eline van der Vlist
Künstlerische Leiterin von Darat al Funun in Amman, Jordanien.
Rayyane Tabet:
The Dead Sea in Three Parts, 2013
Styropor und Schlamm aus dem Toten Meer
Teil von HIWAR, Conversations in Amman
9. November 2013 - 30. April 2014