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Ein kritischer Blick auf Verschuldung und Verarmung im Westjordanland. Statement des Künstlers, Fotos seiner Ausstellung in Darat al Funun, Amman, 27. Mai - 16. Okt. 2014.
Sep 2014Oh mein Schaf
Baa Baa
Du bist mein Leben.
Baa Baa
Womit soll ich dich füttern?
Baa Baa
Was soll ich dir zu trinken geben?
Baa Baa
Mit Gift soll ich dich töten!
Baa Baa
Ya Ghanamati - palästinensisches Kinderlied
Das Buch Jona berichtet darüber, wie der Prophet in Folge eines gebrochenen Versprechens gegenüber Gott von einem riesigen Wal verschluckt wird. Im Bauch dieses großen Fisches betete Jona um Vergebung und gelobte, seinen göttliche Auftrag zu erfüllen. Nach drei Tagen und Nächten befahl Gott dem Wal, Jona auszuspeien. Doch wie sollen wir den pathologischen Schulden entgehen, die Anspruch auf unsere Leben erheben? Wer könnte das Kommando geben, uns auszuspucken?
Man sagt, Schafe würden die Zukunft kennen. Sie können die Zeichen der Zeit lesen. Jedes palästinensische Kind hat das morbide Lied Ya Ghanamati gesungen. Ein Kind schreit den Refrain, während all die anderen unisono kreischen. Mit dem abschließenden Ruf sem yahreekoum verspricht der Vorsänger, die Herde durch Gift zu dezimieren. Ein Zeichen unserer Zeit sind die Reklametafeln, die für Hypotheken werben, um Eigentumswohnungen in den unzähligen Grundstücksprojekten zu erwerben, mit denen das Westjordanland überzogen wird. Die Antwort ist gleichbleibend. Kein Protest.
Wie Schafe, so galten dereinst auch Kamele als Symbole des Wohlstands, als göttliche Gabe. Mit einer Kamelkarawane konnte man selbst das unwirtlichste Klima überstehen, da sie Zuflucht und Sicherheit bot. In Palästina gehören solche Karawanen der Vergangenheit an. Die nomadischen Beduinen der Wüste Negev gibt es kaum noch, sie sind gezwungen, in vorgefertigten urbanen Behausungen zu leben. Caravans [Wortspiel mit Caravan im Sinne von Wohnwagen – Anm. d.Ü.] sind heutzutage wenig mehr als der Name, den wir Frachtcontainern geben, deren Zirkulation immer wieder als Unterkünfte in Siedlungen und Büros auf den Baustellen der West Bank endet.
Nida Sinnokrot, 2014
Caravans
27. Mai – 16. Oktober 2014
Darat al Funun, Amman, Jordanien
Caravans, die erste Einzelausstellung von Nida Sinnokrot in der Region, präsentiert zwölf neue Arbeiten, mit denen er sich auf das Aufkommen und die schnelle Verbreitung neoliberaler Politik, Terraforming und sozialer Manipulation heutzutage im Westjordanland bezieht. Im Rückgriff auf vergangene und fortdauernde Anstrengungen, die Beduinen Palästinas zu einem bei Israel verschuldeten urbanen Proletariat zu machen, wirft Caravans einen kritischen Blick auf Verschuldung als eine Form der Verarmung und auf Mechanismen ihrer Förderung, deren sich palästinensische Autoritäten im Westjordanland bedienen.
Jonas Wal, ein Frachtcontainer, der einst als Unterkunft von israelischen Siedlern benutzt wurde und später eine Wiederverwendung als Büro auf einer palästinensischen Baustelle fand, bezieht sich auf die göttlichen Ursprünge von Schulden und stellt einen kühnen Beitrag zur Geschichte der Kunstform des Readymades dar. Er ist sorgfältig per Hand in elf Querschnitte aus Schichten von Stahl, Gips, Dämmung, Draht, Teppichen und einer Matratze aufgetrennt.
Ein Emblem der Mechanismen kommerzieller Schulden ist Ya Ghanamati - Billboard no. 2, eine 6 Meter lange mechanische Werbetafel, deren dreiteilige Lamellen aus reflektierendem Aluminium an einer Seite mit muffigem Schafsfell überzogen sind, das sich beim Drehen zwischen diese quetscht. Failing to Levant schwebt zwischen Tradition und Moderne als eine Schimäre aus Rollen, Stahlkabeln, Steinkacheln und dem Flaschenzug einer Baustelle, von der Decke der Galerie in einem unmöglichen Gleichgewicht hängend. Es soll das Unvermögen der Levante suggerieren, vor ihren Verbindlichkeiten gegenüber der Tradition zu fliehen.
Prekarität ist für Palästinenser nichts Neues. Es ist eine grundlegende Komponente ihrer modernen Erfahrung. Aber Blasen-Wirtschaft, Konsumentenverschuldung und Bodenspekulation sind die heutigen Zutaten dieser Erfahrung im Westjordanland. Vielleicht bringt Incense, das zurückhaltendste Werk der Ausstellung - ein nichtssagendes Haus, geschnitten aus einem Stück Weihrauch, positioniert auf einer umgedrehten Kaffeetasse - das alles zum Ausdruck, indem es uns einlädt, das Haus niederzubrennen. Die Weigerung zu zahlen ist unsere einzige Verheißung.
Nida Sinnokrot: Caravans
27. Mai - 16. Oktober 2014