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15. Okt. 2014 - 25. Jan. 2015, Institut du Monde Arabe, Paris. Kurator: Jean-Hubert Martin; mehr als 80 Künstler, von den Pionieren bis zu jungen Talenten. Rezension der Ausstellung.
Von Bérénice Saliou | Nov 2014Vom 15. Oktober 2014 bis zum 25. Januar 2015 findet im Institut du Monde Arabe in Paris die Veranstaltung Le Maroc Contemporain statt. Sie bringt etwa 700 Künstlerinnen und Künstler aller Disziplinen zusammen und präsentiert in der gleichnamigen Ausstellung 300 Werke von mehr als 80 marokkanischen Kunstschaffenden. Es ist die bislang größte Ausstellung dieser Institution überhaupt, deren Aufgabe darin besteht, die Beziehungen zwischen Frankreich und der arabischen Welt zu fördern: Kunst und Kultur als ein Mittel für die Entwicklung und Kooperation an einem sehr politischen Ort.
In Le Maroc Contemporain kristallisiert sich eine Reihe von Fragen heraus, die weit über visuelle Erwägungen hinausgehen. Tatsächlich ist die Ausstellung im Institut du Monde Arabe das Gegenstück zu der Schau Le Maroc médiéval, un empire de l’Afrique à l’Espagne, die zur selben Zeit im Louvre Museum stattfindet. Von März bis August 2014 zeigte das MuCEM in Marseille eine Ausstellung antiker Bronzen aus Volubilis. Und schließlich fand im Herbst 2014 in Paris eine einzigartige marokkanische Saison mit vier weiteren künstlerischen Veranstaltungen statt, die das Königreich würdigen. [1] Es ist absolut kein Zufall, dass diese Vernarrtheit in Marokko 2012 von höchster Stelle aus orchestriert wurde, als sich König Mohammed VI als wichtigster Schirmherr der neuen Abteilung islamischer Kunst des Louvre positionierte, indem er 26 Millionen Euros spendete.
Dem hoch respektierten Kurator Jean-Hubert Martin, international bestens bekannt für seine Ausstellung Les magicians de la terre (1989), wurde die überaus schwierige Aufgabe übertragen, die Auswahl für die Schau zu treffen. Ihm assistierten Moulim El Aroussi, ein Philosoph und früherer Direktor des Bildungskomitees der Schule der schönen Künste in Casablanca, und Mohamed Metalsi, Doktor der Ästhetik und Direktor der Kulturabteilung des Institut du Monde Arabe. Über ein Jahr lang reiste das Trio durch Marokko, traf Künstlerinnen und Künstler an Orten, die selten aus diesem Grund besucht werden, wie die östliche Region und der Süden des Landes. Ihr kuratorialer Ansatz ist ausschließlich auf Kunstschaffende fokussiert, die heutzutage in Marokko leben, wobei sie solche Aushängeschilder wie Farid Belkahia, der ein paar Wochen vor der Schau verstarb, Mohamed Melehi und El Khalil El Gherib mit jungen Künstlerinnen und Künstlern vermischten, wie Said Afifi, Leila Alaoui, Younis Atbane und der Fotograf Merji. Nur ein Ausländer ist dabei: der belgische Künstler Eric Van Hove, der mit seinem Werk V12 Laraki, einem mit Hilfe unzähliger marokkanischer Handwerker geschaffenen skulpturalen Automotor, in nur wenigen Monaten zum Liebling der marokkanischen Kunstszene aufgestiegen ist. Auch Designer sind in der Ausstellung vertreten, mit einigen Entdeckungen wie Lahcen Iwi, der einen aus Autoreifen gefertigten gotischen Esstisch darbietet.
Die bewusst weit gefasste Auswahl von Künstlern und das nicht hierarchische Prinzip der Präsentation zeugen von dem Wunsch, den Reichtum und die Vielfalt zeitgenössischen marokkanischen Schaffens dem französischen Publikum möglichst umfassend vorzustellen. Das ist ein riskantes Unterfangen, das eine thematische Szenographie zur Folge hat: Fantasieren / Pioniere / Organisieren, kombinieren und zerstören / Sufismus / Emigration / Konventionen von Fragestellungen / Verkörperung / Hinterfragung von Glaubensvorstellungen / Reaktionen auf den Arabischen Frühling. Die "Momente" sind durch schöne Zusammentreffen akzentuiert, die solchen schon bekannten Kunstschaffenden wie Yto Barrada mit ihrem 16 mm Video A Guide to Trees for Governors and Gardeners für gewöhnlich zugeschrieben werden. Der Film zeigt die Fahrt der Autos von Offiziellen in einem ockerfarbenen Landschaftsmodell. Wenn der Konvoi vorbeifährt, rollen sich auf dem Boden automatisch rote Teppiche aus, Palmen wachsen plötzlich empor, marokkanische Flaggen flattern im Wind und baufällige Hausfassaden klappen wie magisch ab, um Platz für frisch bemalte Wände zu machen. In diesem künstlichen Ambiente gibt es keine Spur von Menschen, die auf eine marokkanische Realität reagieren würden, in der ein paar Stunden vor jedem königlichen Erscheinen alles auf die Schnelle aufgehübscht wird.
Younès Rahmoun präsentiert sein Werk Zara Zoujaj, das den Weg vom Mathaf in Katar in die französische Hauptstadt zurücklegte. "Es ist wunderbar, es sieht aus, als wenn uns 1000 Augen anschauen. Ich würde den ganzen Tag hierbleiben!" Das rief ein kleines Mädchen aus, auf dem Boden liegend, völlig verzückt vom pulsierenden sanften Licht der 77 Glasslampen, die in Blütenform von der Decke einer pyramidalen Struktur hängen, in die man hineingehen kann, wenn man seine Schuhe auszieht. Der Künstler gestaltete jede einzelne Blume mithilfe von Glaskünstlern aus dem internationalen Zentrum für Glaskunst in Meisenthal im Osten Frankreichs.
Ebenfalls monumental ist das Werk des jungen Amine El Gotaibi, das trotz erheblicher finanzieller Unterstützung durch den Arab Fund for Arts and Culture und das Institut du Monde Arabe immer noch auf seine Sternstunde wartet. Ein Gefrierschrank steht in einem beeindruckenden Boxring mit Seilen in den Farben der marokkanischen Flagge und soll fließbandmäßig den aus Eis geformten Körper des Künstlers produzieren. Das das funktionierte aus technischen Gründen auch Tage nach der Eröffnung leider nicht.
Das Werk der jungen Künstlerin Randa Maroufi im Erdgeschoss trifft auf den Punkt. Die Absolventin des Nationalen Instituts der Schönen Künste von Tétouan und der Kunstschule in Anger, Frankreich, studiert derzeit am Fresnoy National Studio of Contemporary Arts. In fotografischen Drucken zeigt sie Szenen von Belästigungen auf der Straße. Die Künstlerin sagt: "Ich habe diese Bilder im Internet gefunden, nachdem ich einfach nur 'sexuelle Belästigung' eintippte. Dann bat ich Jungs auf der Straße, diese Szenen nachzustellen. Doch sie genierten sich über die Maßen, Verhaltensweisen vorzuführen, die sie nichtsdestotrotz ständig an den Tag legen. Mein Werk hinterfragt unsere Beziehung zu diesen Bildern, die Art wie wir sie konsumieren und die Peinlichkeit unseres Verhaltens. Es geht weit über die Frage nach dem Status von Frauen hinaus, auf das es manchmal reduziert wird."
Es wäre ein unmögliches Unterfangen, über 300 Arbeiten zu besprechen, aus denen diese Ausstellung besteht, die zuweilen durch die Vielfalt der gezeigten Profile ziemlich uneinheitlich ist. Doch auffällig ist die Abwesenheit einiger wichtiger Künstler wie Hassan Darsi and Fouad Bellamine. In einem zornigen Interview, dass Bellamine am 13. September 2014 dem Online-Magazin 360ma gab, äußerte er sich zu den Gründe für seine Ablehnung: "In Marokko durchlaufen wir einen Prozess der Demokratisierung und wir müssen Klarheit zeigen. Unglücklicherweise hat sich in dieser Hinsicht eine Unreife erwiesen, die mit dem heutigen Marokko so wie ich es kenne absolut nicht kompatibel ist. Das ist so, als wenn man eine Ausstellung von Autoren organisieren würde, in der all die jungen, die in Tageszeitungen schreiben, neben wichtigen Schriftstellern wie Chraïbi oder Tahar Ben Jelloun erscheinen. Das ist nicht normal. Man stelle sich vor, Frankreich würde eine Ausstellung für Venedig, Basel oder irgend eine andere Hauptstadt der Welt zusammenstellen und die Künstler von der Place du Tertre oder Montparnasse fragen 'warum haben wir nicht das Recht, Frankreich zu repräsentieren?' (…) Wenn du professionell bist, dann weißt du, dass Marokko in den letzten 15 Jahren nicht mehr als vier oder fünf Namen hervorgebracht hat."
Selbst wenn eine solche Anmerkungen gerechtfertigt sein sollte, so funktioniert die Ausstellung doch als ein Sprungbrett für viele junge oder ältere marokkanische Künstlerinnen und Künstler, die darum kämpfen, ihr Werk zu schaffen und zu promoten. Und selbst wenn man wie Bellamine hofft, eine solch wichtige Schau würde eines Tages in einem renommierten Museum für Kunst im Allgemeinen und nicht nur in einer Institution für die Kunst der arabischen Welt gezeigt werden, dann ist Le Maroc Contemporain dennoch ein starkes Beispiel für die Freundschaft zwischen Frankreich und Marokko zum Nutzen politischer Stabilität in solch unruhigen Zeiten wie nie.
Anmerkung:
Bérénice Saliou
Freischaffende französische Kuratorin. Lebt in Marseille. Als Mitbegründerin und künstlerische Leiterin von Trankat Street in Tétouan hat sie viel mit Marokko zu tun.
General-Kurator:
Jean-Hubert Martin
Assoziierte Kuratoren:
Moulim El Aroussi
Mohamed Metalsi
Le Maroc Contemporain
15. Oktober 2014 - 25. Januar 2015
Eine Übersicht über das künstlerische Schaffen Marokkos: visuelle Künste, Architektur, Design, Mode; ca. 300 Arbeiten von 80 Beteiligten.