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From The Intimate To The World. Sechs algerische Kunstschaffende. Rezension der Ausstellung in The Mosaic Rooms, London, 16. Mai - 28. Juni 2014.
Von Eline van der Vlist | Jun 2014Als die Künstlerin Zineb Sedira 2012 aria (artist residency in algiers) mit einem Pilotprojekt startete, bestand eines ihrer Ziele darin, die internationale Sichtbarkeit algerischer Künstlerinnen und Künstler zu steigern. Sechs algerische Kunstschaffende - Amina Menia, Atef Berredjem, Fayçal Baghriche, Hanam Benammar, Massinissa Selmani und Sadek Rahim – präsentieren ihre Werke jetzt gemeinsam in The Mosaic Rooms in London in der Ausstellung Intervening Space: From The Intimate To The World, organisiert von der Kuratorin und aria Projektkoordinatorin Yasmina Reggad.
Das Konzept ist ausreichend weit gefasst, um den Beteiligten einen enormen Spielraum für Reflexionen zu geben - was sich als die Stärke, aber auch als ein Schwachpunkt der Ausstellung herausstellt.
Vier Künstler sind zusammen in dem Hauptausstellungsraum von The Mosaic Rooms vertreten, und die gemeinsame Präsentation ist schön gelöst. Gleich vor dem Eingang, bevor man den Raum betritt, liegt ein leicht ramponierter und vermutlich handgewebter Korb auf der Seite auf einem kleinen hölzernen Sockel. Er gehört zu der Objekt- und Soundinstallation Prenons un air dégagé: We already had no history (2014) von Hanan Benammar, die über den ganzen Raum selbst verstreut ist. Die gewöhnlichen Gegenstände - zu denen auch ein Portemonnaie, ein Plastikbeutel und ein Sitzpolster gehören - stammen wahrscheinlich aus Algerien. Aus ihnen erklingen Töne, einige sich eher wiederholend, andere mehr wie Kurzgeschichten. Doch muss man die Pressemitteilung zu Rate ziehen, um herauszufinden, dass das Werk "mögliche und plausible fiktionale Geschichten aus der eigenen Biografie [der Künstlerin] erzählen und darstellen", denn selbst in dem ansonsten ruhigen Raum ist es nahezu unmöglich, die gesprochenen Worte zu hören oder zu verstehen, und es gibt einen merkwürdigen Unterschied zwischen der Beschreibung und dem tatsächlichen Werk.
Massinissa Selmanis Installation Diar Echems (Maisons du soleil) (2013-2014) ist demgegenüber in ihrer Einfachheit ergreifend. Ein Lichttisch mit der Markierung eines Fußballfelds auf der Oberfläche ist mit gelben Post-it-Notizen gefüllt, von denen anscheinend jede einen Wohnsitz repräsentiert. Den auf das Papier mit der Hand geschriebenen Angaben begrenzter Quadratmeterzahlen, einer unverhältnismäßig großen Anzahl an Leuten und den Aufzeichnungen spärlicher Habseligkeiten nach zu schließen, betrachten wir die Darstellung von Elendsbehausungen, eine verzweifelte Reaktion auf eine Wohnungskrise. An der angrenzenden Wand hängen ordentlich eingerahmt Kopien eines Presseberichts über die Konfrontationen zwischen Jugendlichen und Sicherheitskräften im Viertel Diar Echems in Algier 2009, wobei eine jede so weit verblasst ist, dass nur noch wenige Sätze sichtbar sind. Sie verweisen auf eine Geschichte der Enttäuschung und die sich weiter öffnende Schere zwischen den 99% und den wenigen Besitzenden an der Spitze. Es ist eine Geschichte, die wir alle nur zu gut kennen, die aber eine andere Bedeutung erlangt, wenn sie aus einer Region kommt, die in den vergangenen Jahren erlebt hat, wie solch eine Enttäuschung zu tatsächlichen Revolutionen wurde.
Das andere Ende des Raumes nimmt Sadek Rahims neue und ortsspezifische Installation Topophilia. An Etude (2014) ein. Sie besteht aus einer großen Wandprojektion in Echtzeit, zwei Regalen mit verschiedenen Abgüssen und einem Pulttisch mit diversen Frottagen auf Papier und Diapositiven. Dabei handelt es sich um einen neuen Auftrag, den der Künstler im Rahmen seiner Residenz in The Mosaic Rooms als Reaktion auf dessen Raum im typischen viktorianischen Stil Londons geschaffen hat. Topophilia bedeutet wörtlich "Liebe zu einem Ort", kann aber auch als eine gewisse kulturelle Verknüpfung oder Identität interpretiert werden. Es ist etwas, mit dem sich Künstler - insbesondere diejenigen nicht-westlicher Herkunft - heutzutage oft auseinanderzusetzen haben, um einen Platz in der internationalen Kunstwelt zu finden. Lege dein Lokales offen, aber existiere im Globalen. Indem er eine Studie über die Liebe zu einem Ort ausstellt, zu dem er nur zeitweilig eine Beziehung unterhält, lenkt Rahim die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass es Räume dazwischen gibt, in denen das Lokale für einige transitorische Künstler von heute genau dort sein kann, wo sie sich gerade aufhalten.
Ein verdunkelter Seitenraum beherbergt die Installation Half of What You See (2010) von Fayçal Baghriche. Ausgehend von Benjamin Franklins Ausspruch "glaube nichts von dem, was du hörst und nur die Hälfte von dem, was du siehst" befindet sich im Raum ein Styropor-Ball, der sich um seine Achse dreht und auf dem ein nur kleiner Spiegel angebracht ist. Ein Licht, das auf den Ball scheint, wirft einen langen, rotierenden Schatten auf die umgebenden Wände. Das Visuelle fesselt leicht die Aufmerksamkeit, aber es reicht nicht aus, um mehr Neugier zu garantieren.
Im Erdgeschoss von The Mosaic Rooms untersucht Amina Menia mit ihrer Arbeit Enclosed #0 (2013) die kuriose Geschichte des großen Monuments, das die Franzosen 1928 im Stadtzentrum von Algier errichteten, um der 4.500 Toten der Stadt im 1. Weltkrieg zu gedenken. Fast 50 Jahre später gilt es als ein Symbol kolonialer Unterdrückung und wurde auf Verlangen des Bürgermeisters von Algier vom algerischen Maler M'hamed Issiakhem umgestaltet. Statt es zu zerstören, haben Issiakhem und ein Team von Künstlern die ganze Plastik in eine neue Betonskulptur eingeschlossen, das Denkmal der Märtyrer. Mit Zeitungsausschnitten, Postkarten, Fotografien und einem Filminterview mit einem der Künstler, die an der Skulptur der 1970er Jahre mitarbeiteten, erfasst Menia auf elegante Weise die komplizierte Geschichte von Kolonialismus, Unabhängigkeit und der Zeit nach der Unabhängigkeit. Drei Fotografien zeigen den gegenwärtigen Zustand des Denkmals, einschließlich der Überbleibsel desjenigen von 1928, die durch die Risse, die sich mit der Zeit im Beton auftaten, teilweise sichtbar geworden sind.
Das sechste und letzte ausgestellte Werk ist die Doppelprojektion einer in den Boden eingelassenen Videoinstallation von Atef Berredjem. Continuum (2014) wurde von oben aus zwei leicht verschiedenen Blickwinkeln gefilmt und zeigt eine Straßenecke in Algier vor allem mit Autos, die sich von einem Monitor zum anderen bewegen, so als wenn sie vorbeifahren würden. Ein begleitendes, mit Hand auf die Wand geschriebenes Zitat von Larbi Ben M'kidi (1923-1957) lautet: "Trage die Revolution auf die Straße und sie wird da draußen vom Volke geboren". Trotz dieses erhabenen Statements und des Ursprungs vieler Revolutionen in unserer Zeit und dereinst auf den Straßen zeigt uns das Video, dass der Status Quo tatsächlich weiter besteht.
Alle vertretenen Künstlerinnen und Künstler sind international aktiv, doch die meisten hatten zuvor noch nicht in London ausgestellt. Das belegt, dass solche Organisationen wie aria und solche Kunsträume wie The Mosaic Rooms eine tatsächliche Wirkung erreichen können. Ein Nachteil von Gruppenausstellungen, die in erster Linie auf Nationalität beruhen, besteht darin, dass sie sich dazu gedrängt fühlen könnten, andere Gemeinsamkeiten zu finden, um die Gruppierung zu rechtfertigen, und in dieser Hinsicht kann Intervening Space: From the Intimate to the World seinem ganzen Potenzial nicht gerecht werden. Dennoch sind die individuellen Highlights einen Besuch von The Mosaic Rooms überaus wert.
Eline van der Vlist
Künstlerische Leiterin von Darat al Funun in Amman, Jordanien.
Kuratorin: Yasmina Reggad
Intervening Space:
From The Intimate To The World
16. Mai - 28. Juni 2014