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Über die mehrteilige Installation, ein von Werken der Kunstgeschichte ausgehendes, fortlaufendes Projekt, gezeigt auf der 8. Berlin Biennale 2014.
Von Diana Nawi | Aug 2014Iman Issa hat oft darauf hingewiesen, wie sich Wörter über sich selbst hinaus erweitern. Wenn wir eine Feststellung zu etwas treffen, "meinen wir das und ein wenig mehr." [1] Im alltäglichen Diskurs meinen wir immer etwas mehr, als das was wir sagen. Eingebettet in jedes Wort - und in jedes Kunstwerk - gibt es Subtexte, Andeutungen, Vorstellungen und Geschichten. In ihrem fortlaufenden Projekt Lexicon (begonnen 2012) untersucht Issa diese beladene Realität, indem sie versucht, die in einer bestimmten Sprache enthaltene Bedeutung zu dechiffrieren und zu definieren.
Lexicon, eine bis jetzt aus 13 diskreten Teilen bestehende Installation, nimmt Werke der Kunstgeschichte als Ausgangspunkt. Issa wählte Werke von der Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts aus, deren Titel aus einzigen Wörtern oder Konzepten bestehen. Diese Titel wie Schicksal, Verführung, Trauern und Kolonialhaus sollen als Deskriptoren der Werke funktionieren. Doch wir sehen niemals die originalen Werke selbst. Stattdessen lesen wir Issas sorgfältige Beschreibungen derselben, die wie didaktische Museumstexte an der Wand erscheinen, und nehmen ihre Aussage als Beleg für deren Existenz. Jeder Text ist mit einem Objekt gepaart, die materiell variierende "zeitgenössische Remakes" der historischen Stücke sind - Issas physische Untersuchung des Begriffs, der den Titel des Werkes ausmacht, und ihr Versuch, diesen zu definieren (bzw. neu zu bestimmen).
Die Beschreibungen erwecken den Eindruck klinischer Objektivität; in jeder folgt auf das Datum und Medium des historischen Werks eine Beschreibung des Bildes oder Objekts, die mit den Maßen endet. Im Tonfall dieser Texte hallt das Register wider, das Issa in anderen Werken verwendet hat, am deutlichsten in Thirty-three Stories about Reasonable Characters in Familiar Places (2011), einem Werk literarischer Fiktion, dass kühl und in voller Absicht jedwede Genauigkeit vermeidet, sei es in Namen, Orten oder Adjektiven. Die Gegenstände, die von einfach gestalteten Skulpturen bis zu Fotografien und Videos reichen, erscheinen in einer auferlegten Simplizität und elegant ausgeführten minimalistischen Ästhetik. Statt eine Art von Abstraktion zu sein, sind sie von einer Logik dessen getrieben, was Kaelen Wilson-Goldie treffend als "radikale Substraktion" bezeichnete - die knappste Bedeutung, die durch einen Text oder visuell vermittelt werden kann. [2]
Wenn wir Lexicon betrachten, wechselt unser Blick zwischen dem Text und seinem Gegenstand hin und her. Diese Suche vor und zurück nach Bedeutung scheint die Undurchsichtigkeit der Beziehung zwischen den Komponenten noch zu verstärken. Obwohl die eine die andere keineswegs illustriert, sind sie doch nicht unnachgiebig - sie erhellen einander und erlauben dem Betrachter, den reichen interpretativen Räumen zwischen ihnen zu begegnen und diese zu besetzen. Ist das Licht, das von der Metallskulptur ausstrahlt, eine symbolische Wiederholung der Spiritualität von "Gebet"? Ist die Fotografie des leuchtenden Kreises die Kristallkugel des "Wahrsagers"? Ist die Dynamik der linsenförmigen Oberfläche der Fotografien ein Widerhall der Bewegung von "Tänzer"? Man kann das nicht wissen. Die Werke sind nicht dazu gedacht, als Tatsachen gelesen oder verstanden zu werden. Sie insistieren darauf, dass wir in der sie durchdringenden Ungewissheit unser eigenes Gleichgewicht finden.
Durch die Einbeziehung von "Studie für" und des Entstehungsjahres in den Titel der Arbeiten erkennt die Künstlerin die bedingte Natur der Objekte an, die sie für Lexicon produziert hat. Zum Beispiel trägt ihre Arbeit ausgehend von dem originalen, 1964 datierten Werk Laboring den Titel Laboring (Study for 2012) . Eine Parallele dazu ist die Betitelung der diskreten Stücke in Material (2010-12), von denen ein jedes mit der Präambel "Material für eine Skulptur" versehen ist, gefolgt von einer vorgeschlagenen Funktion der Skulptur (u.a. gedenkend, bezeugend, darstellend, erinnernd). Diese propositionale Geste ist von Ryan Inouye gut beschrieben worden, der in ihr eine Taktik sieht, um "Ideen Raum zum Atmen, Entwickeln und vielleicht zum Altern…" zu geben. [3] Issas Objekte, Zusammenfassungen und verkörperte Interpretationen sind nicht als endgültige Lösungen definiert, sondern als eine Untersuchung und eine Möglichkeit.
In Issas künstlerischer Praxis gibt es eine unausgesprochene Anerkennung der arbiträren Natur von Sprache. Diese Prämisse, die ihre Erkundungen untermauert, aber nicht behindert, ist zum Teil ein Resultat ihres Verständnisses der wechselhaften Eigenart politischer und sozialer Landschaften. In einem Text, den sie über ihre ägyptische Heimat schrieb, "When Fox Becomes Polar Bear" [Wenn der Fuchs zum Eisbären wird], untersucht Issa, wie Formen schnell instrumentalisiert werden können, um bestimmten Agendas zu dienen, und spekuliert über die Möglichkeit, "Bilder drastisch von dem zu trennen, auf das sie sich beziehen." Dieser 2011 verfasste Essay scheint das Fundament für Lexicon zu legen, einem Projekt, mit dem die Künstlerin das erschließt, was sie für ein "kollektives Fehlen des Glaubens an den Augenschein" erachtet. [4] In Lexicon vertraut Issa auf die Flexibilität von Definitionen und Bedeutung, indem sie diese anwendet, um die evokative Dissonanz zwischen Sprache und "Bild" erkennbar werden zu lassen, aber ohne den Zynismus, den sie in ihrem Essay ablehnt.
Anmerkungen:
Diana Nawi
Assoziierte Kuratorin am Pérez Art Museum Miami. Sie organisiert eine Ausstellung des Schaffens von Iman Issa für das Frühjahr 2015.
Lexicon
2012 - fortlaufend
Mehrteilige Installation
ausgestellt auf der
8. Berlin Biennale
29. Mai - 3. August 2014
Museen Dahlem