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Zeitgenössische Kunst aus der arabischen Welt und über diese, 16. Juli - 28. Sept., New Museum, New York. Kurator: Massimiliano Gioni, Team. Rezension, Fotos.
Von Laurence Cornet | Aug 2014Nur ein paar Tage nachdem die Gewalt in Gaza erneut ausgebrochen war, was plötzlich zum Drama verheerender Luftangriffe wurde, eröffnete das New Museum in New York die Ausstellung Here and Elsewhere [Hier und anderswo]. Der Titel ist inspiriert durch den pro-palästinensischen Film Ici et ailleurs von Jean-Luc Godard, Jean-Pierre Gorin und Anne-Marie Miéville aus dem Jahr 1976. Obwohl sich die diplomatische Situation in fast 40 Jahren kaum geändert hat, ist die Intention der Schau keineswegs politisch - es sei denn, man versteht die Stärkung des Bewusstseins für eine vernachlässigte Kunstszene, die zumeist durch die Brille des westlichen Orientalismus betrachtet wird, als etwas Politisches.
Ala Younis widmet sich dieser speziellen Frage in ihrem Projekt mit dem poetischen Titel An Index of Tensional and Unintentional Love of Land [Ein Index angespannter und unabsichtlicher Liebe zu einem Land], einer Ausstellung innerhalb der Ausstellung, in der sie Kunstwerke, Fotografien und Dokumente visueller Kultur, die stereotype Schilderungen des Palästinakonflikts unterminieren, einander gegenüberstellt und sich gegen dominante Darstellungen in den Medien wendet. Zu ihrer Auswahl gehören Werke sowohl aus westlicher wie aus östlicher Perspektive, darunter Fotografien der Fotoreporter Bruno Barbey und Raymond Depardon von Magnum Photos, Filmstills, Propagandaplakate, politische Traktate, eine 1967 in Ägypten gedruckte Karte der arabischen Welt und andere Ausdrucksformen palästinensischer Populärkultur und lokaler wie internationaler visueller Geschichte. Kürzlich stieß ich in der französischen Tageszeitung Le Monde auf einen Artikel, der von einem "Plasticiens" (visueller Künstler) eingeführt wurde, den ich zunächst als "Palestiniens" (palästinensischer Künstler) las. Ich frage mich, ob meine Konfusion durch den Rest des Titels provoziert wurde, der weiter lautete "... suchen Status".
Auf arabische Künstler angewandt hieße das, ihnen einen wohlverdienten Status zuzugestehen, ist genau der Punkt der Ausstellung als Ganzes, die vom Team des New Museum kuratierte wurde und sich über die vielen Etagen und die Lobby des weiten, von den Architekten Kazuyo Sejima + Ryue Nishizawa entworfenen white cube erstreckt. Dies ist ein bedeutender Schritt, nachdem das Museum 2011 in Partnerschaft mit dem Beirut Art Center durch sein Programm Museum as Hub einen fesselnden Eindruck von Kunst vermittelte, die aus dem Nahen Osten kommt. Jene Ausstellung war ziemlich klein, in der obersten Etage des Museums aufgebaut gewesen und konzentrierte sich ausnahmslos auf libanesische Künstler und die dortige Problematik. Als starkes Statement widersteht Here and Elsewhere der Versuchung ästhetischer Generalisierung und exotischer Erzählung. "Die Künstler in Here and Elsewhere wissen sehr wohl, was im Hinblick auf Repräsentation auf dem Spiel steht, sowohl in den fotografischen Medien, der globalen Zirkulation von Bildern und den Praktiken der Kunstwelt. Sie verbindet eine kritische Haltung gegenüber Bildern, ein gesunder Skeptizismus gegenüber simplifizierten Darstellungen, und sie hinterfragen engagiert die Rolle von Bildern bei der Erfindung historischer Narrative," schreiben die Kuratoren Natalie Bell und Massimiliano Gioni in der Einleitung.
Gewiss gibt es kulturelle Koinzidenzen. Das bedeutet aber keine Homogenität. Die Kuratoren fordern die Bedeutung offenkundiger Wiederholungen heraus, indem sie Krieg als einen Rahmen einsetzen - die kuratoriale Arbeit von Ala Younis ist auf der obersten Etage installiert, während in der zweiten Etage (dem ersten richtigen Ausstellungsraum) ausschließlich Werke zu diesem Thema zu sehen sind. In der letzteren erscheint Krieg vor allem in Form persönlicher Geschichten, mehr auf individuelle Erinnerungen als auf Fakten fokussiert. Lamia Joreige nahm Aussagen von Leuten auf Video auf, die über ihre Erfahrungen mit dem Krieg berichten, manchmal auf eine Weise, die fast abstrahierend wirkt: "Ich dachte, Konservenbüchsen würden explodieren, aber tatsächlich waren es Schüsse," "Ich konnte den Ereignissen des Tages kaum folgen, mit Ausnahme des Granatfeuers, dass ich hörte," beschreiben sie. Jede Erinnerung wird durch einen Gegenstand ausgelöst, und der Effekt erreicht einen Paroxysmus, wenn ein Interviewter eine naive Kinderzeichnung mit dem Titel Der Himmel zeigt, auf der ein großes Flugzeug über einem hellen orangenen Feuer zu sehen ist, das die Skyline verschlingt. Auf gewisse Weise benutzt Fouad Elkoury denselben Prozess, indem er als aktivierende Gegenstände seine eigenen Fotografien wählt, in denen er die Zerstörung des Zentrums von Beirut dokumentiert.
Das relevante kuratoriale Konzept wickelt sich wie ein subtiler Faden ab, um einen starken Sinn für Vielfalt zu vermitteln, wobei Ähnlichkeiten in der Arbeitsweise, thematische Übereinstimmungen und Korrelationen in der Methode alternieren. Joreiges and Elkourys Serien in der zweiten Etage des Museums sind die ersten Exponate, die man nach den einführenden Skulpturen von Hassan Sharif im Foyer der ersten Etage sieht. Es gibt da anscheinend keinen Übergang von Sharifs Werken, gefertigt aus banalen Gegenständen und alltäglichen Materialien, zu denen von Joreige. Sharifs Konsumismus-Haufen hinterfragen das Machen von Kunst und die langweilige Redundanz von Massenproduktion in unserer überindustrialisierten Gesellschaft. In seinen fortlaufenden Serien, mit denen er schon in den frühen 1980er Jahren begann, als er sich auf die Suche nach einer Alternative zu zeitgenössischer Malerei und Skulptur machte, dienen simple Gegenstände als Metaphern. Obwohl sie in radikal andere ästhetische und politische Richtungen gehen, haben Sharifs und Joreiges Werke denselben Titel (und dasselbe Ausgangsmaterial): Objekte. Das ist genauso, wie beim Wort "Araber". "Die sozialen und politischen Bedeutungen von 'Araber' sind vielfältig und an verschiedenen Orten gegensätzlich… 'Araber' klingt in Frankreich nach Kriminellen, während es im Amazigh Maghreb mit arroganter Hegemonie in Zusammenhang gebracht wird oder im kurdischen Irak mit dem besiegten Unterdrücker," schreibt Rasha Salti. Vielfalt charakterisiert die Bedeutung von "Araber" ebenso sehr, wie sie die arabische Kunst definiert, woran uns die Kuratoren mit solch einer szenografischen Auswahl erinnern.
Dem disruptiven kuratoriale Ansatz folgend, setzt sich die Ausstellung in einer langen Reihe von Variationen über das Thema der Erinnerung fort, bezugnehmend auf Elkourys Archivfotografien - von historischer Erinnerung, wie in Simone Fattals Skulpturen, die auf die frühe syrische Geschichte verweisen, und in Hrair Sarkissians Werk Execution Square, in dem öffentliche Plätze in Syrien erscheinen, auf denen noch bis vor kurzem Kriminelle durch den Strang hingerichtet worden sind. Als Teenager war Sarkissian durch ein Versehen Zeuge solch einer traumatischen Szene, und so nahm er die Plätze leer und ruhig auf und versuchte damit, die ihn verfolgenden Bilder aus seinem Gedächtnis zu tilgen. Auf der Etage sind weitere kathartischen Werke zu sehen, die sich an die Bürger wenden, wie jene des syrischen Dokumentaristen-Kollektivs Abounaddara, der jordanischen Fotojournalistin Tanya Habjouqa, des iranischen Comic-Zeichners Rokni Haerizadeh und des irakischen Künstlers Jamal Penjewy. Letzterer schrieb: "Als ich in meinem Dorf aufwuchs, hatten wir keinen elektrischen Strom, deshalb habe ich als Kind all die alten Leute zu mir nach Hause geholt, damit sie Geschichten über das Leben und die schönen Dinge des Lebens erzählen. Das ist die Quelle, aus der ich all die schönen Bilder in meinem Kopf beziehe, und meine ganze Kunst kommt daher. Letzte Nacht träumte ich davon und von meiner Kindheit. Ich vermisse sie."
Da sie Kunst ist, bevor sie arabisch ist, entspringt arabische Kunst dem individuellen Ausdruck. Die dritte und die vierte Etage geben den Rahmen des Feldes für ästhetisches Experimentieren und Provokation ab, angewandt auf kommerzielle, dokumentarische oder konzeptuelle Praktiken. Die Werke hier reichen von den berühmten provokativen Studioporträts von Van Leo und Hashem el Madani aus den 1940er bis 1970er Jahren bis zu Yto Barradas abstrakter Herangehensweise an dokumentarische Formen und Ali Jabris Collagen. Jabris künstlerische Praxis ist in seinen Skizzenbüchern und Sammelalben verwurzelt, angefüllt mit Notizen und Träumereien, Eindrücken des täglichen Lebens, Auszügen aus dem, was er gelesen hatte, und Diskussionen über Geschichte, Archäologie und Architektur, in denen sich seine Begeisterung für T.E. Lawrence und Jean Genet ausdrückt. Ebenfalls ausgestellt sind Gemälde von Anna Boghiguian, in denen sie Wechselbeziehungen zwischen Bild und Ton nachgeht - in den späten 1960er Jahren komponierte sie ausgehend von den Geräuschen der Stadt Musikstücke und übersetzte sie in Malerei -, und von Marwan, der europäische Moderne und alte orientalische Weisheit zusammenbringt. Es sind die einzigen beiden Werkgruppen in dieser großen Sektion, die nicht auf Fotografie oder Video basieren - ein Anteil, der auch für die gesamte Ausstellung gilt, denn in den letzten 50 Jahren waren es die technologischen Disziplinen, die am meisten für die Meinungsbildung benutzt worden sind. Angeblich wahrheitsgetreuer, haben sie offensichtlich keineswegs das Ende des Orientalismus mit sich gebracht.
Laurence Cornet
Kuratorin und Kunstkritikerin, spezialisiert auf Fotografie und Video. Lebt in New York, USA.
45 Künstlerinnen, Künstler und Gruppen aus der arabischen Welt und der Diaspora.
Organisiert von der kuratorialen Abteilung des New Museum unter der Leitung von Massimiliano Gioni, mit Natalie Bell, Gary Carrion-Murayari, Helga Christoffersen und Margot Norton
Here and Elsewhere
16. Juli - 28. September 2014