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Rezension des Ausstellungs- und Forschungsprojekts von SAVVY Contemporary und dem n.b.k., 23. Mai - 27. Juli 2014 in Berlin. Mit großer Nafas Fototour.
Von Ingo Arend | Jul 2014>> Fotorundgang durch die Ausstellung
"Schatten Kontur geben" – Das Berliner Projekt bemüht sich schon im Titel darum, eine identitäre Leerstelle zu füllen. Trotz einer Reihe von Ausstellungen zur afrikanischen Kunst in den letzten Jahren ist die ästhetische Produktion Afrikas keine feste Größe im kulturellen Bewusstsein Deutschlands. Doch wenn etwas in diesem Gemeinschaftsprojekt des Neuköllner Projektraums Savvy Contemporary und des Neuen Berliner Kunstvereins (n.b.k.) fehlt, dann jeder Versuch, diesem Mangel mit einem griffigen Afrikabild abzuhelfen. Weder wird hier der aufbegehrende, noch der leidende, noch der Kontinent des "Edlen Wilden" zelebriert.
Stattdessen zerfällt die Ausstellung in eine Vielzahl politischer Sichtweisen und avancierter Ästhetiken, die kaum Rückschluss auf eine Nationalität zulassen – von den subtilen Serigraphien der aus Simbabwe kommenden Virginia Chihota bis zum Familienarchiv von Badr el Hammami und Fadma Kaddouri aus Marokko. In The root of the flower we don’t know (2014) deutet Chihota mit madonnenhaften Frauengestalten Momente von Intimität und Trauer an. Mit der Installation Faddma Kaddouri’s family archives (2010) untersuchen El Hammami und Kaddouri die Rolle von Tonbandkassetten als Kommunikationsmedium afrikanischer Migrantenfamilien.
Die ambitionierte Schau ächzt etwas unter der Last des philosophischen Überbaus, den ihr Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, Gründer und Leiter von Savvy Contemporary, und seine Ko-Kuratorin, die Berliner Kunstwissenschaftlerin Elena Agudio, aufgebürdet haben. Die Ausstellungsmacher ziehen in ihrem kuratorialen Statement alle Register postkolonialer Theorie. Doch das enge Korsett bedeutungsvoller Abteilungstitel, in das sie es gießen, engt die unvoreingenommene Rezeption der Arbeiten stark ein.
Ein Werk wie Alexandre Singhs (Frankreich, USA) Assembly Instructions: The Pledge (Donatien Grau) (2012) hat mit den rhizomatisch verzweigten Lebensgeschichten, die Ndikung im Kapitel Unthinking the Chimera als Alternative gegen totalisierende Geschichtsnarrative von "Afrika" aufruft, nur die Form gemein. Der Künstler überführte eine Unterhaltung mit dem französischen Kunstkritiker Donatien Grau in eine Accrochage: Aus Zeitschriften kopierte und gerahmte Bilder aus Wissenschaft, Kino und Kunst dienen als visuelle Pendants des Dialogs.
Das Werk ließe sich als Beleg für Ndikungs These nehmen, der postkoloniale Alltag beschäftige die Künstler in Afrika heute stärker als die ewige Auseinandersetzung mit Geschichte und Kolonialismus - wenn nicht das Plakat Black Power (2008) von Hank Willis Thomas (USA) das Gegenteil demonstrieren würde. Thomas hat den Slogan der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre in juwelenhaft funkelnden Buchstaben auf die Goldzähne eines Afroamerikaners gesetzt, dessen Gesicht nicht zu sehen ist – plakative Chiffre einer oktroyierten Identität zwischen Warencharakter, Rassismus und Widerstand. Offenbar ist der Kampf dagegen noch nicht erledigt. Sonst wären diese Plakate nicht zur Mitnahme durch die Besucher ausgelegt.
Die Ausstellung ist voller Beispiele, wie stark dieses Trauma noch immer wirkt. In Fanon cou coupé (2011) hat Mathieu Kleyebe Abonnenc (Frankreich) Ausgaben der Bücher des afro-französischen Psychiaters, Philosophen und Revolutionärs Frantz Fanon in den Sprachen der Welt auf Bücherregalen postiert. Das Werk demonstriert dessen intellektuelle Reichweite. Sein Klassiker Die Verdammten dieser Erde wirkt aber auch wie ein antiquarisches Relikt.
Emma Wolukau-Wanambwa (Vereinigtes Königreich) problematisiert die klassische Aufarbeitung des Kolonialismus. In ihrer Installation Untitled (2014) geht es um die Bilder, die das British Colonial Office jahrelang von Gefängnisinsassen im englischen Protektorat Uganda aufnehmen ließ. In einer geheimen "Operation Legacy" wurden sie unmittelbar am Vorabend der Unabhängigkeitserklärung 1962 vernichtet. Wanambwa will auf den prekären "Beweischarakter" der Fotos der ehemaligen Machthaber hinaus, wenn sie sich entscheidet, nicht diese Fotos auszustellen, sondern solche, die das Leben in dem Land während der Kolonialzeit dokumentieren.
So wie die Referenzen und das Bewusstsein der Künstler zwischen Kolonialismus und Postkolonialismus pendeln, schwankt auch ihr Afrika-Bild zwischen Dystopie und Utopie. In dem Science-Fiction-Film Pumzi (2007) von Wanuri Kahiu (Kenia) wird die Wüste in Ostafrika zum unterirdischen Rückzugsgebiet der Menschen auf einem Planeten, auf dem alle Natur ausgelöscht ist. Im Video Kempinski (2007) von Neïl Beloufa (Frankreich/Algerien) sprechen Laienschauspieler am Stadtrand von Bamako, der Hauptstadt Malis, in fahlem Neonlicht über ihre Vorstellungen von der Zukunft. Einer erzählt von einem Leben mit Hunderten von Ochsen, ein anderer von einem Leben ohne Autos. Eine surreal entrückte Stadt in Afrika wird zur symbolischen Schnittstelle zwischen Naturmystik und ökologischer Utopie.
Nach dem "alternativen historischen Narrativ", das die Ausstellungsmacher beschwören, sucht man in der Schau vergebens. Der endlose rote Teppich, den Lerato Shadi (Südafrika) in einer spektakulären Eröffnungsperformance in Berlin in den Ausstellungsraum hinein häkelte, während sie stumm auf einem Stuhl saß, reklamiert diesen Anspruch eher generell, als dass er eine afrikanische Meistererzählung darbieten würde. Immerhin kann die Schau eine Idee politischer Selbstermächtigung einfangen, die nicht mehr in der erhobenen Faust aufgeht.
In seinem Video World Domination (2012) reflektiert Neïl Beloufa stattdessen die Ambivalenz der Macht. Laienschauspieler übernehmen darin die Rollen von Politikern und Militärs und müssen auf ein fiktives geopolitisches Problem reagieren. In einer der improvisierten Konferenzen wird erwogen, Europa von Afrika aus anzugreifen und auszulöschen, um die afrikanische Jugend vor dem Lockruf des luxuriösen europäischen Lebensstils zu bewahren. Das Symbolbild für den Anspruch der Zivilgesellschaft, sich selbst zu regieren, dient auch als Warnung vor der Aporie der Macht. Eine Alternative lässt sich aus der Arbeit von Bouchra Khalili (Marokko) lesen. In ihrer Videotrilogie The Speech Series (2012/13) lässt sie zur Arbeiterschicht gehörende Migrantinnen in Paris, Genua und New York zu Wort kommen. Gelegentlich posieren sie stumm. Selbstermächtigung beginnt hier als rhetorischer und performativer Akt.
Eine andere Alternative visualisiert Kiluanji Kia Henda (Angola). In seiner Fotoserie Redefining the Power ( 2009) hinterfragt er das historische Erbe seiner Heimat. Dazu hat er auf der Festung São Miguel seiner Heimatstadt Luanda eine Art Open-Air-Friedhof besucht, der als Sammelstelle der demontierten portugiesischen Denkmäler der Kolonialzeit dient. Er stellte Performer aus Subkulturen auf die verwaisten Sockel der Artefakte. Auf einer seiner Fotografien posiert ein Mann in einem weiten Kleid, das aus zerschnittenen Plastiksäcken geschneidert ist. Homo Novo heißt die Bilderserie (2009), deren Titel auf die Nationalhymne Angolas anspielt. Der neue Afrikaner übt sich in hybrider Cross-Gender-Identität.
Ob das neue, sowohl postkoloniale wie postheroische Zeitalter, das mit dem Bild halb ironisch beschworen wird, deswegen als "optimistisch" zu interpretieren ist, wie es die Kuratoren seiner Arbeit deuten, bleibt dahingestellt. Optimistisch zumindest stimmt es, dass Kiluanji Kia Henda im November 2012 für dieses Projekt mit dem Staatspreis für Bildende Kunst Angolas ausgezeichnet wurde.
>> zum Fotorundgang durch die Ausstellung
Giving Contours To Shadows ist ein Projekt von SAVVY Contemporary und dem Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.), Maxim Gorki Theater, Gemäldegalerie Berlin, Centre for Contemporary Art of East Africa (CCAEA, Nairobi, Kenya), Ker Thiossane (Dakar, Senegal), 5. Marrakesch Biennale Satellite (Marrakesch, Marokko), Video Art Network (VAN Lagos, Nigeria) und Parking Gallery/ VANSA (Johannesburg, Südafrika).
Ausstellung und Programm sind in fünf thematische Kapitel gegliedert:
Performing and Embodying histories, Wandering through histories, Unthinking the Chimera, Sequestrating History und Pre-writing histories.
Desweiteren widmet sich das Roundtable-Programm Diskussionen über die Ideologie des Raumes, über Performativität und Archivierung sowie über die Idee der Vor-Schreibung von Geschichte.
Ingo Arend
Studierte Politik, Geschichte und Publizistik. Arbeitet seit 1990 in Berlin als Kulturjournalist und Essayist für bildende Kunst, Literatur und Kulturpolitik.
Fototour ►
Giving Contours to Shadows
23. Mai - 27. Juli 2014