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Über die schwarzen Installationen der iranischen Künstlerin (1955-1996), in denen Spuren ihrer Vergangenheit zum privaten Archiv wurden. Ihr letztes Projekt im Luxuswagen eines Personenzugs.
Von Michel Dewilde | Sep 2014Die Installation Ohne Titel der Künstlerin Chohreh Feyzdjou (1955 Teheran - 1996 Paris) war in diesem Jahr ein Höhepunkt der Ausstellung Unedited History. Iran 1960-2014 im Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, kuratiert von Catherine David. Es ist wunderbar gewesen, Feyzdjous Werk in einer umfassenden iranischen Gruppenausstellung zu sehen. Obwohl ihre Arbeiten in großen internationalen Präsentationen gezeigt wurden, darunter der von Okwui Enwezor geleiteten Documenta 11, sind sie nur selten in Ausstellungen iranischer Kunst aufgenommen worden.
Ich traf Chohreh Feyzdjou 1994 in Paris, als ich das Projekt Zij-Sporen vorbereitete. [1] Sie verließ Iran in den 1970er Jahren und lebte vor allem in Paris. Dort hatte sie 1992 in der Galerie Patricia Dorfmann ihre erste größere Einzelausstellung und war 1994 in der Gruppenausstellung Invitations im Jeu de Paume vertreten, die ich damals besuchte. Bis zu ihrem frühen Tod 1996 nahm sie an verschiedenen, vornehmlich europäischen Ausstellungen teil.
Am besten bekannt sind Chohreh Feyzdjous große schwarze Installationen. Die Arbeit Ohne Titel (1987-1994), gezeigt im Paris Museum, verkörpert Feyzdjous Entwicklung in jener Periode. Die Besucher versinken in einer geschwärzten Umgebung, in einer von vielen disparaten Objekten angefüllten Landschaft. Das Ambiente erinnert an einen verlassenen Laden, dominiert von rustikalen Regalen mit eingewickelten und übermalten Leinwänden. An vielen Stellen sichtbar ist das Markenzeichen "Product of Chohreh Feyzdjou", dass sie auf die Objekte klebte. Deshalb gilt ihr Werk als ironischer Kommentar zur Konsumgesellschaft und dem Prozess der Reifikation, als Hinterfragung der Auffassungen von Authentizität, etc. Feyzdjous Kunst steht des weiteren zur Welt der orientalischen Basare und der dortigen Art der Warenauslagen in Beziehung. Letztendlich ist ihr Schaffen mit den Figuren des Exils verbunden, dem Flüchtling und dem Nomaden. Doch widersprach sie solchen anfänglichen Lesarten. Ich erinnere mich an ihre Reaktionen in ihrem Pariser Atelier auf die Ausstellung Heart of Darkness (1994), die sie für das Kröller-Müller Museum vorbereitete. Sie wandte sich dagegen, mit dem Exil identifiziert zu werden. Sie wollte als ein Individuum gesehen werden, nicht als Vertreterin einer Nation, Kultur oder Religion. Feyzdjous Einwände waren ein Beispiel für die zunehmenden post-identitäts Standpunkte nicht-westlicher Künstler, die es ablehnten, auf Symbole ethnischer, kultureller oder geographischer Differenz reduziert zu werden.
Ein anderer Aspekt, der mir 1994 neben der überall vorhandenen Schwärze auffiel, ist das Übermaß des Körperlichen in ihrem Schaffen, eine Körperlichkeit, die sie in heftiger Weise modifizierte. Dieses Element kombinierte sie mit einem obsessiven Verlangen nach Klassifizierung und Registrierung. Chohreh Feyzdjou beschriftete und nummerierte jeden Teil ihrer Installationen. Diese Installationen fügte sie aus älteren Werken und Objekten zusammen, die sie deformierte und übermalte. Sie akkumulierte diese Spuren ihrer Vergangenheit und transformierte sie zu Bausteinen neuer Präsentationen. Fesselnd war ihr Nachdruck auf Erinnerung und der Lesbarkeit ihres Werkes. Die schwarzen Installationen funktionierten als private Archive, die sowohl Feyzdjou als auch den Besucher einbezogen. Von grundlegender Bedeutung ist dabei gewesen, wie sie die Lesarten dieser Überbleibsel der Vergangenheit durch die Betrachter neu ausrichtete. Weil sie ihre älteren Kunstwerke oder Objekte verbarg oder schwärzte, können die Betrachter sie nur von außen sehen. Deshalb werden sie als Oberflächen oder als eine Gruppe von Dingen gesehen, die nur schwer voneinander zu unterscheiden sind und ihr originales Erscheinungsbild und die ursprüngliche Bedeutung verlieren. Feyzdjou schuf ein verzerrtes Archiv, dass wir zwar betreten, aber schwerlich lesen können: Abwesenheit ist hier das Schlüsselkonzept.
Durch die Konservierung und Klassifizierung ihrer Vergangenheit kann Chohreh Feyzdjou als eine Vorläuferin neuerer Tendenzen des Archivierens in der Kunst gesehen werden. Hier möchte ich eine biografische Anmerkung hinzufügen: ich sehe Feyzdjous Faszination für das alte Ägypten im Zusammenhang mit ihrer tödlichen Krankheit. Sie wusste, dass sie jeden Moment sterben könnte; das sagte sie mir, als wir uns in Paris trafen. Aus dieser Perspektive betrachtet, erlangen ihre Installationen eine andere Dimension: sie werden zu Begräbnisstätten. Umgab sich Chohreh mit Dingen aus ihrer Vergangenheit, um sich wie ein sterbender Pharao auf die letzte Reise vorzubereiten?
Zij-Sporen
1993 entwickelte ich zusammen mit ein paar Künstlerinnen und Künstlern das Konzept für die ortsspezifische Ausstellung Zij-Sporen, die in fahrenden Zügen und auf Bahnhöfen stattfand. [1] Ausgehend von solchen Schriften wie Rosi Braidottis Nomadic Subjects dachte ich, es könnte interessant sein, nomadische und nicht fixierte subjektive Positionen in einem Kontext zu untersuchen, der Formen der physischen und mentalen Bewegung verkörpert. Die transitorische Natur des Zuges und des Reisens schien dafür eine herausfordernde Umgebung zu sein. Meine kuratoriale Praxis war auf eine Analyse der Beziehungen zwischen dem Ausstellungskonzept und seiner formalen und räumlichen Übertragung auf das Niveau des Ortsgebundenen und der Präsentation von Kunstwerken orientiert. Dank der Unterstützung durch die Gynaika Stiftung (Antwerpen) konnte die Ausstellung im April 1996 realisiert werden. Jeder der ausgewählten Teilnehmer wählte eine bestimmte Art von Waggon oder Station und schuf dafür ein neues ortsspezifisches Werk. Alle zwei Tage zog die Ausstellung in eine andere Stadt in Belgien, Frankreich und Holland weiter. Dieses ständige Reisen stärkte einen der Grundsätze des Projekts: die transitorische, zufällige und unvorhersehbare Natur von Bewegung und Reisen, also Aspekten, die Chohreh Feyzdjou über alles interessierten.
Sie wählte den prächtigen Passagierwagen (Modell K1A), den der Architekten Henry van de Velde in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen für die Belgische Eisenbahn entworfen hatte. Feyzdjou erwähnte die Rolle, die Züge bei der Deportation von Juden während des Holocaust spielten und bezog sich insbesondere auf die Berge abgeschnittener Haare. In vergangenen Rezensionen wurde ihr Passagierwaggon irrtümlicherweise als für die "Deportation belgischer Juden nach Auschwitz" genutzt beschrieben. Möglicherweise verwechselten die Rezensenten Feyzdjous Wagen mit einem anderen Kunstwerk von Zij-Sporen verwechselt: dem von der englischen Künstlerin Helen Chadwick gewählten Frachtwaggon, einem Modell, das tatsächlich massenhaft für die Deportation eingesetzt wurde. Andererseits war Chohreh Feyzdjou von der Tatsache fasziniert, dass der von ihr ausgesuchte 1. Klasse-Passagierwaggon vor allem von hohen Honoratioren gebucht wurde. Diese exklusive politische Welt der 1930er Jahre, in der Amtsträger in einem privilegierten Ambiente reisten, unbeeindruckt von oder ignorant gegenüber den ersten Deportationen, wollte sie mit ihrem schwarzen Werk infiltrieren. Den aufwendig gefertigten Wagen, ausgestattet mit seltenen Hölzern und exquisiten Stoffen, füllte sie bis auf Augenhöhe mit Tonnen von schwarzem Haar. Auf die Außenseite des Wagens klebte sie ihre " Product of…" Etiketten, so wie sie das mit den älteren Kunstwerken getan hatte. Am Eingang des Wagens stapelte sie mit schwarzem Haar gefüllte Kisten auf. Täglich mussten die Schaffner sie entladen, auf die Plattform stellen und einige wahllos öffnen.
Der Besuch ihres Wagens und das Entladen der Kisten verkörperte den Akt der Erinnerung, der in ihrem Schaffen so wichtig ist. Feyzdjou bestand darauf, dass die Besucher dieses Werk nur von außen betrachten dürfen, es nur durch die Fenster und die Innentüren des Waggons anschauen können. Unglücklicherweise starb sie, bevor die Ausstellung fertig war. [2] Ich glaube, solche Werke wie die Installationen von Zij-Sporen stellten eine neue Phase in ihrem Schaffen dar. Sie schien damit über ihre früheren Arbeiten hinauszugehen, indem sie Ortsspezifisches mit einer Neigung zum Performativen vermischte.
Die Betonung der Performance ist noch offenkundiger, wenn wir sie zu der Installation der Sarkophag-Skulptur auf Chohreh Feyzdjous Grab in Paris in Beziehung setzen, die von dem iranischen Künstler Barbad Golshiri geschaffen und im Mai 2014 aufgestellt wurde. Als Teil der Ausstellung Unedited History. Iran 1960-2014 gestaltete Golshiri Concession éphémère, einen Sarkophag aus Wachs auf Feyzdjous bis dahin noch ungeschmückter Grabstätte. In dem Sarg befindet sich etwas von dem schwarzen Haar, das nach dem Abbau der Installation in der Ausstellung Zij-Sporen im Mai 1996 aufgehoben worden war. Damit gab Golshiri ein Fragment von Feyzdjous berühmtem schwarzen Haar, ihrer verlorenen Erinnerung, dem Grab des Pharao zurück.
Anmerkungen:
Michel Dewilde
Belgischer Kunsthistoriker und Kurator. Er kuratierte Ausstellungen für die MSK & SMAK Museen (Gent), Gynaika (Antwerpen), CC Brügge und arbeitet freischaffend. Derzeit ist er einer der Kuratoren der Triennale Zeitgenössischer Kunst und Architektur in Brügge, Belgien.