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Die Messe im Kontext des internationalen Marktes für türkische Kunst, des Konkurrenzkampfes auf diesem Gebiet und der Kunstszene in Istanbul.
Von Ingo Arend | Okt 2014"Der Markt ist gekommen", antwortete Kurator Vasif Kortun vor drei Jahren sarkastisch auf die Frage nach einem Strukturwandel der Kunstszene der Türkei. Mit dem Erfolg der türkischen Gegenwartskunst in internationalen Großausstellungen und Biennalen erwachte das ökonomische Interesse an solch einem Markenartikel. Neuer Reichtum und das Interesse aus Europa und dem Nahen Osten hatten die Entstehung zahlreicher Galerien und Auktionen zur Folge. So eröffnete das Londoner Auktionshaus Sotheby’s 2009 eine Niederlassung am Bosporus und richtete eine spezielle Sparte "Contemporary Turkish Art" ein. Schon 2011 brachte die dritte Auktion türkischer Kunst in London 2,3 Millionen Pfund ein. Zwei Jahre zuvor hatte ein Werk des etablierten Künstlers Burhan Dogançay mit dem Rekordpreis von 1,5 Millionen US-Dollar eine magische Grenze überschritten. Seit dem letzten Jahr ordnet sich der türkische Kunstmarkt nun auch institutionell neu.
Wie das I-Tüpfelchen auf dieser Woge der Kapitalisierung eines kritischen Biotops wirkt das jüngste Kunstmarkt-Projekt am Bosporus: die Artinternational (AI). Initiiert wurde sie 2013 von Sandy Angus, dem Chairman des Londoner Ausstellungsunternehmens Montgomery, der 2008 die Art Hongkong gegründet hatte und nunmehr in Istanbul große Marktpotentiale sah. Als er seine neueste Messe implementieren wollte, sah er sich plötzlich einer Front von Gegnern gegenüber. Um die ungewollte Nähe zu einer kommerziellen Messe zu verhindern, zwang ihn die zeitgleich mit dem ursprünglich geplanten Termin eröffnete Istanbul Biennale, seine Veranstaltung auf den September zu verschieben.
Die alteingesessene Kunstmesse Contemporary Istanbul (CI) des Tourismus-Unternehmers Ali Güreli, die alljährlich Mitte November stattfindet, verklagte die plötzliche Konkurrenz erfolgreich auf Namensänderung – das Wort Istanbul musste aus dem Namen getilgt werden. Und zu guter Letzt setzte der damalige Ministerpräsident Erdogan, dessen AK-Partei häufig in dem Kongresszentrum tagt, zwei Tage vor der Eröffnung den Abbau störender Kulissen durch. Über Nacht fanden die Galeristen leere Hallen vor.
Aus der Not des ursprünglich nur als Ausweichquartier gedachten Haliç Kongre Merkezi, einem Tagungszentrum im Westen Istanbuls, hat die AI inzwischen eine Tugend gemacht. Zwar sind die Messehallen eine halbstündige Taxifahrt vom Stadtzentrum Beyoğlu entfernt, doch die großzügigen, lichtdurchfluteten Räume haben Anklang unter Ausstellern und Besuchern gefunden. Wer sich Ende September zur zweiten Ausgabe der Messe im Stadtteil Sütlüce, direkt gegenüber dem historischen Friedhof im religiös geprägten Stadtteil Eyüp, einfand, erlebte eine Bilderbuch-Vernissage im strahlenden Spätsommer. Und konnte einen Abend lang vergessen, dass im Südosten der Türkei, an der Grenze zu Syrien, ein immer bedrohlicherer Konflikt zum offenen Krieg zu werden droht.
Waren in der ersten Ausgabe der AI 2013 noch 62 Galerien aus 20 Ländern vertreten, konnte sich die Messe in diesem Jahr mit 77 Galerien aus 24 Ländern etwas steigern. 50 Prozent der Galerien vom Vorjahr nahmen erneut teil. Zählte die AI 2013 kaum 4.000 Besucher, kamen 2014 nach eigenen Angaben rund 20.000 Gäste: Zahlen, die für die steigende Akzeptanz der Messe sprechen, deren Erfolgsaussichten Beobachter im letzten Jahr noch skeptisch beurteilt hatten.
Nach der zweiten Ausgabe dürfte diese Skepsis endgültig verflogen sein. Nicht nur, weil internationale Schwergewichte wie die Galerien Lisson (London), Forsblom (Helsinki), Krinzinger (Wien), Lehman Maupin (New York) oder Lelong (Paris, New York) erneut an der AI teilnahmen. Auch einige der wichtigsten Istanbuler Galerien stellten aus: Nev, Non, Pilot, Rampa, Rodeo, x-ist, Zilberman. In der Sektion "Alternatives" konnten sich ein weiteres Mal nichtkommerzielle Kunstinitiativen aus der Türkei präsentieren. Und in "Videos on Stage" präsentierte die Kuratorin Başak Senova auch in dieser Edition ein hochkarätiges Screening-Programm. "By the Waterside" bot einen achtteiligen Skulpturengarten von Benjamin Appel bis Jaume Plensa. Mit dem türkischen Optik-Konzern Dünyagöz konnte erstmals ein Sponsor für die Messe gewonnen werden. Dessen Chef, Professor Ioannis Pallikaris, überreichte dem türkischen Künstler Banu Cennetoğlu den neu gestifteten "Dünyagöz Art Prize" in Höhe von 5.000 Euro.
Auch das ästhetische Spektrum der 2. AI überzeugte fast ausnahmslos. Die Spanne der Positionen reichte von dem britischen Künstler Damien Hirst, dessen großformatige Pop-Tableaus Beautiful Intergalactic Fantasmagoria in a Rainbow Big Bang Explosion, Let's Have More Intercourse Charity Painting bei Andipa (London) für 400.000 Euro zu haben waren, bis zu dem kapitalismuskritischen Projekt Your Country doesn’t exist des Berlin-Rotterdamer Künstlerpaares Libia Castro und Ólafur Ólafsson, das die kleine Galerie waterside contemporary (London) für 3.900 britische Pfund anbot. Internationale Topseller wie Marina Abramović (50.000 Euro, Krinzinger, Wien) waren ebenso schnell verkauft wie klassische Werke: Die alteingesessene New Yorker Galerie Robert Miller verkaufte eine – erotisch unverfängliche – Fotoarbeit von Robert Mapplethorpe (75.000 Dollar) und bot auch kleinformatige Arbeiten von dessen Ex-Lebensgefährtin Patti Smith an (3.000 Euro).
Die Galerien waren, so hörte man in Gesprächen, zwar diskret gehalten, nicht allzu freizügige oder kostspielige Ware zur Schau zu stellen. Unbestrittener eyecatcher der Messe war dennoch reichlich gewagte One-Man-Show des homosexuellen türkischen Künstlers Taner Ceylan am Stand der New Yorker Galerie Kasmin – eine türkische Galerie hat der erfolgreiche Teilnehmer zahlreicher Biennalen bezeichnenderweise bislang nicht gefunden. Alle Werke, darunter die Darstellung einer Fellatio im Stil altertümlicher Landschaftsmalerei (Moontale, 2014) oder die Bronze-Skulptur eines küssenden Männerpaares mit Hirsch (Moonskin, 2014) wurden verkauft: (55.000 bis 150.000 Euro). Keine Frage: Die Kumulation hochwertiger und origineller Arbeiten auf der AI bietet internationalen Sammlern –zusammen mit der reizvollen Lage - die attraktivere Kulisse.
Auch wenn sich die Behauptung der Messe, die erneut teilnehmenden Galerien hätten ihre Umsätze um 25 Prozent gesteigert, nicht beweisen lassen dürfte: "widespread acclaim" – die positive Schlussbilanz ihrer dreitägigen Verkaufsschau war nicht nur ein stilvoller Euphemismus. Im zweiten Jahr hat sich die Artinternational unübersehbar als die gehaltvollere der beiden Kunstmessen der Stadt etabliert. Selbst wenn man das Ambiente in dem neo-ottomanisch angehauchten Kongresszentrum mit seinen spiegelnden Marmorböden als geschichtslos, steril und neureich empfinden mag, gegen die Internationalität und ästhetische Qualität der hier präsentierten Galerien fällt die traditionelle CI klar ab, obschon sie sich in den letzten Jahren ein Design zugelegt hat, das an die Art Basel erinnern soll.
Von der angestrebten Drehscheibe des Kunstmarkts und sogar einem "Hub" für den mittel- oder nahöstlichen Raum ist allerdings auch die AI noch weit entfernt. 50 Prozent der teilnehmenden Galerien kamen aus Europa. Insofern ist es nur folgerichtig, dass sich die Messe im nächsten Jahr mehr um Aussteller aus Russland und Indien bemühen will, wie AI-Messedirektorin Dyala Nusseibeh im Gespräch verlauten ließ.
Bei der CI verstärken sich derweil die Friktionen. Die Unzufriedenheit mit dem autokratischen Führungsstil von Messechef Güreli nimmt zu. Hatte Sandy Angus bereits Stephane Ackermann, Ex-Galerist aus Luxemburg und vormals der erste künstlerische Direktor der CI, für seine Artinternational abwerben können - wo er jetzt in gleicher Funktion tätig ist -, strich nun auch Ali Akay die Segel. Mit dem Kurator des Kunstprogramms der türkischen Akbank und Soziologieprofessor an der Mimar Sinan-Universität in Istanbul hat das Advisory Board der Konkurrenzmesse CI einen namhaften türkischen Intellektuellen verloren.
Allerdings sieht es nicht danach aus, als wenn die CI-Messe implodieren würde. Mit dem Themenschwerpunkt "China" in der Sektion "New Horizons" und der zweiten Ausgabe des "Plugin" Forums für digitale Kunst und Design will sie mehr Zeitgenossenschaft demonstrieren und zu den großen Messen der Welt aufschließen. In den vergangenen zwölf Monaten hat Güreli auch neue Gesichter für das Advisory Board präsentiert, so z.B. Susanne von Hagen von der Gesellschaft der Freunde des Palais de Tokyo oder Art Consultant Marcia Levine aus New York. Außerdem hat sich die CI auf zahlreichen internationalen Messen präsentiert. Die Liste der Galerien, die an der nächsten CI (13.-16.11.2014) teilnehmen werden, deutet allerdings eher auf eine Zweiteilung des Marktes hin: die AI als internationale Leitmesse und die CI als ein regionales Supplement.
Das Wettrennen der Kunstmessen am Bosporus spiegelt die politischen (Großmacht-) Ambitionen der Türkei unter Präsident Erdogan und seiner AKP wider. Die zunehmende Attraktivität des Kunst-Messeplatzes Istanbul steht freilich in umgekehrter Relation zur intellektuellen Stimmung im türkischen Kunstbetrieb. Viele Künstler oder Mitarbeiter von Kulturinstitutionen erwägen, das Land zu verlassen. Die Mischung aus forcierter Islamisierung und dem immer repressiveren Auftreten der Staatsorgane macht vielen kreativ Tätigen, Kulturmanagern und Intellektuellen Angst. In den nächsten Monaten dürfte sich zeigen, ob sie den sarkastischen Ratschlag befolgen werden, den der bulgarische Künstler Stefan Nikolaev mit seiner Installation aus Neonbuchstaben am Stand der Plovdiver Galerie Sariev anbot: If Things Are Not As You Wish, Wish Them As They Are (5.000 Euro) - oder ob sie dem Kunstbetrieb am Bosporus tatsächlich den Rücken kehren.
Ingo Arend
Studierte Politik, Geschichte und Publizistik. Arbeitet seit 1990 in Berlin als Kulturjournalist und Essayist für bildende Kunst, Literatur und Kulturpolitik.
2. Artinternational
26. - 28. September 2014
Haliç Kongre Merkezi
Sütlüce Mah. Karaağaç Cad. No.19
34445 Beyoğlu, İstanbul
Veranstalter: