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Künstleraufenhalte und Festival für zeitgenössischen Tanz und visuelle Künste im öffentlichen Raum von Ouakam, Dakar, Senegal.
Von Lucrezia Cippitelli | Feb 2013Nach fünf Editionen auf dem afrikanischen Kontinent und einer virtuellen Ausgabe in Paris/Belleville (La belle virtuelle, Band Nr. 14 des Magazins Livraison) beging Scénographies Urbaines den 10. Jahrestag und veranstaltete mit Urban Scéno Ouakam/Dakar die sechste Edition.
Von Dezember 2012 bis Januar 2013 fanden in Ouakam am Rande der senegalesischen Hauptstadt ein Residenzprogramm und eine Reihe öffentlicher Veranstaltungen statt, die von zeitgenössischem Tanz bis zu visueller Kunst im öffentlichen Raum reichten. Urban Scéno Ouakam/Dakar war als ein Treffpunkt für Choreographen und Tänzer, Performer, visuelle Künstler und Autoren konzipiert, die daran interessiert sind, über die Position des Körpers in urbanen Räumen zu reflektieren.
Fünfundzwanzig Teilnehmer aus Afrika, Europa und den Amerikas, vornehmlich aus einer Süd-Süd-Perspektive ausgewählt, lebten eine Weile zusammen und erkundeten gemeinsam Ouakam, untergebracht von der lokalen zeitgenössischen Tanz-Assoziation 1er Temps. Die Tänzer von 1er Temps, die in Ouakam leben und arbeiten, und die Jugend der Nachbarschaft vermittelten zwischen den Gastkünstlern und dem traditionellen Dorf, deren Einwohner der ethnischen Gruppe der Lebou angehören.
Die Lebou sind Fischer und in der Mehrzahl Anhänger einer animistischen Religion, die Objekte im öffentlichen Raum (pflanzliche oder unbelebte) mit einem transzendentalen Leben assoziieren. Bäume, Mauerstücke, ein Abfallhaufen sind Wesenheiten, bewohnt von Geistern mit einer starken Beziehung zum Leben der Gemeinschaft und zu individuellen Verhaltensweisen oder Entschlüssen. Die Lebou bewahren alltägliche Lebenspraktiken, die Probleme in Übereinstimmung mit kommunitären Modellen und Entscheidungsfindungen lösen. Spezifische öffentliche Räume des alten Dorfes - einem Labyrinth aus sandigen Pfaden und Feldern - bilden die Schauplätze dieser kollektiven Debatten und Vermittlungen. Nach Jahrzehnten marginaler Existenz neben dem Gefüge des urbanen Dakar hat die Errichtung des Monument de la Renaissance africaine genau auf der Spitze eines der zwei heiligen Berge des Gebiets tiefe wirtschaftliche, urbane und soziale Veränderungen im Viertel ausgelöst. Das populistische Denkmal, entworfen vom früheren Präsidenten der Republik, Abdoulaye Wade, und hochgezogen von Nordkoreanischen Bauarbeitern, brachte nationalen und internationalen Tourismus in die Gegend, was den Bau einer Autobahn vom Stadtzentrum hierher bedeutete und zur urbanen Ausdehnung von Ouakam beitrug, das jetzt komplett von neuen Gebäuden und Baustellen umgeben ist.
Die zu Urban Scéno Ouakam/Dakar eingeladenen Künstler und Teilnehmer waren aufgefordert, mit diesem komplexen Kontext - von dem in Dakar lebenden Architekten und Aktivisten Jean Charles Tall in einer Präsentation für die Gäste genau umrissen - im engen Dialog mit dessen Bewohnern zu interagieren, um deren Vorschläge kohärent in die öffentliche Sphäre einzubeziehen. So fokussierte z.B. der aus Kamerun kommende Autor Lionel Manga seine Vorgehensweise darauf, die persönliche und kollektive Erfahrung in Ouakam durch Storytelling zu vermitteln, wobei er Fragen postkolonialer Identitäten, von Grenzen, von afrikanischer Urbanisierung aufnahm. Sammy Baloji konzentrierte seine fortlaufende Recherche auf die afrikanische Stadt, ihre Haut und ihre innere Struktur, wozu er Straßen und Gebäude kartographierte und eine Installation aus Bildern von Ouakam auf den Außenmauern des Einkaufszentrum schuf. In einer Videoperformance stellte Baloji einen Gang durch das alte Dorf Ouakam vor: Sequenzen von flânerie, zufällige Begegnungen mit Einwohnern, kurze Plaudereien vermitteln den Betrachtern eine lebendige Erfahrung des Viertels.
Die meisten Interventionen der Künstler basieren auf dem Recherchieren, Archivieren und Systematisieren von Elementen, die zur Identität von Ouakam gehören. Myriam Mihindou untersuchte das, was sie als "den blauen Ring" bezeichnet, einen blauen Widerschein um die Iris bestimmter Leute, was Fragen nach möglichen physischen Eigenarten westafrikanischer Identität aufwirft. In einer Porträtserie, installiert im öffentlichen Raum als Werbetafeln und Videoprojektionen, untersuchte Elise Fitte-Duval Frauen und deren zentrale Rolle in der afrikanischen Gesellschaft. Single entities von Ingrid Mwangi Robert Hutter wurde als ein Video präsentiert, das performative Erfahrungen im öffentlichen Raum dokumentiert. Mit speziell für die Performances entworfenen Outfits bewegen sich Tänzer in bestimmten Gegenden von Ouakam. Sie haben den ganzen Körper verhüllt und lassen eine Verschmelzung der Person mit der Umgebung entstehen. Jean Chistophe Lanquetin ging der Gentrifizierung von Ouakam nach, indem er die Baobab Bäume und deren Zerstörung kartographierte: A propos d’espace commun wirft Fragen über Modernität und westliche Entwicklungsmodelle auf. Zen Marie unterhielt während der ganzen Zeit des Aufenthalts Mr. Pousse Pousse, einen Verkaufskarren (das senegalesische pousse pousse bedeutet wörtlich "drücken, drücken"), und benutzte diesen als ein multifunktionales Mittel, um Kooperationen zu generieren. "Situations" materialisierte sich um Mr. Pousse Pousse herum beim Aufbau des Karrens und während der Festivaltage, wo er als Parasit/Unterstützer anderer Performances agierte.
Auch Androa Mindre Kolo & Mega Mingiedi fokussierten sich auf die Herbeiführung von Situationen, wobei sie ihre Körper als Werkzeug benutzten, um Verhaltensweisen nichtsahnender Zuschauer hervorzurufen. Mit Malewa bauten und aktivierten sie ein Restaurant an der belebtesten Kreuzung von Ouakam, um kongolesische Identität in die Gegend zu bringen (Malewa ist eine Art kongolesischer Tanz). In der Nähe installierte Naadira Patel ihr Magic, einen beleuchteten Werbeschriftzug, der mit dem nahegelegenen Vergnügungspark Magicland spielt und die radikale "Modernisierung" von Ouakam hinterfragt. Yohann Quëland De Saint Pern verbreitete seine Ergebnisse in Ouakam in einer Reihe von low-profile Interventionen: einen Ton an einem Autowrack (zuvor als Polizeiauto "verkleidet") installieren, in Wolof (der am meisten verbreiteten lokalen Sprache) annoncieren, dass ein weißer Künstler eine reiche Ehefrau sucht.
Das Festival, mit dem die Künstlerresidenz abschloss, fand auf den Straßen, Plätzen, Höfen von Ouakam statt. Eine dafür von Bitcaves gestaltete und produzierte Zeitung veröffentlichte Anzeigen von Einwohnern Ouakams zusammen mit den Interventionen der Künstler. Tägliche Einbeziehungen, Beiträge und Unterstützungen lokaler Tänzer und junger Leute, die für dieAssociation 1er Temps arbeiteten, machten nicht nur den Aufbau eines jeden individuellen Projekts möglich (von beteiligten Tänzern, Performern und visuellen Künstlern), sondern auch die Inszenierung aller Performances und Veranstaltungen beim Abschlussevent.
Missing of the women / horizontality_place von Boyzie Cekwana "eine Ode gegen unerbittlichen männlichen Modernismus" auf einem Platz des neuen Ouakam, bezog die lokale Tanzgruppe SAFF NEUP ein. Tanebër von Fatou Cissé, eine Tanzparade auf der Hauptstraße des Viertels, animierte die an solche "Karneval"-praktiken nicht gewöhnten Zuschauer zum Mitmachen. Andreya Ouamba nutzte für Choreaographic improvisation den Innenbereich eines Einkaufszentrums. Vrais ou faux von Florent Mahoukou zusammen mit der traditionellen Tanzgruppe Faux lions (falsche Löwen) inszenierte ein populäres Ereignis, den Kampf falscher Löwen, an einem Ort, an dem Hunderte Bewohner des Viertels zusammenkamen.
Die Komplexität des urbanen und sozialen Kontexts von Ouakam löste in der Gruppe von Urban Scéno eine fortdauernde Diskussion über Entwicklungsmodelle aus, die aus westlicher Perspektive aufgedrückt oder erwartet werden. Die nächste Stufe dieser fortlaufenden Untersuchung wird die Herausgabe einer Publikation sein, die den Begriff des Urbanismus aus einer globalen südlichen Sicht erforscht und gleichzeitig die Angebote visueller Künstlern umrahmt. 2013 und 2014 folgt eine Reihe internationaler Präsentationen von Projekten der beteiligten Künstler, Performer, Choreographen, Autoren und Tänzer.
Urban Scéno Ouakam / Dakar Teilnehmer:
Visuelle Künste: Sammy Baloji (Dem. Rep. Kongo), Bitcave, Nina Stottrup Larsen (Dänemark) & Femke Herregraven (Niederlande), Mansour Ciss (Senegal), Jonathan Debrouwer (Frankreich), Elise Fitte Duval (Senegal), Yohan Queland de St Pern (La Reunion), Zen Marie (Südafrika), Mega Mingiedi (Dem. Rep. Kongo), Naadira Patel (Südafrika), Unathi Sigenu (Südafrika), Eric Van Hove (Belgien), Omar Viktor (Senegal), François Duconseille & Jc Lanquetin (ScU2, Frankreich), Androa Mindre Kolo (Dem. Rep. Kongo), Ingrid Mwangi Robert Hutter (Kenia-Deutschland), Myriam Mihindou (Gabun).
Tanz / Choreographie: Boyzie Cekwana (Südafrika), Papy Ebotani (Dem. Rep. Kongo), Hardo Ka (Senegal), Florent Mahoukou (Kongo Brazzaville), Nelisiwe Xaba (Südafrika), Andréya Ouamba, Fatou Cissé & die Tänzer von Cie 1er Temps (Senegal), Tänzer von P.A.R.T.S (Brüssel, Belgien). Performance und Vorträge: Coco Fusco (Kuba-USA), Lionel Manga (Kamerun), Lucrezia Cippitelli (Italien).
Tänzer / Vermittler aus Ouakam: Bertrand Saky Tchebe, Cheikh Ahmadou Bamba Diagne, Ibrahima Diop, Alioune Badara Diop, Boubacar Mane, Codou Gueye, Gnagna Gueye, Seynabou Guèye Seck, Seybyia Gomis, Fatou Samb, Abdoulaye Kane.
Ein Projekt in Partnerschaft mit: Institut Français (Dakar, Paris, Johannesburg, Brazzaville, Douala), Goethe-Institut (Johannesburg, Dakar), und Pôle Sud (Strasbourg).
Mit Unterstützung von: Spark & Africa Center, Stadt Dakar, Stadt Ouakam, OIF, Reunion Region, Maillon theater (Strasbourg), Stadt Strasburg, Wallonie-Bruxelles International, Fonds de dotation Agnès b., mobiCINE (Dakar), CIDOP (Dakar).
Lucrezia Cippitelli
Kunstkritikerin und Kuratorin. Arbeitet vor allem mit Medien- und Konzeptkünstlern und mit prozessorientierter Kunst im öffentlichen Raum.
Beteiligte Künstler, Tänzer, Partner:
Siehe die Liste unter dem Text
Urban Scéno Ouakam / Dakar
Künstleraufenhalte und Festival für zeitgenössischen Tanz und visuelle Künste im öffentlichen Raum von Ouakam, Dakar, Senegal.
Künstleraufenthalte:
17. Dezember 2012 - 13. Januar 2013
Festival:
9. - 12. Januar 2013
Konzeption:
Association 1er Temps (Andréya Ouamba)
(ScU)2 (François Duconseille & Jean-Christophe Lanquetin)
Assoziierte Kuratorinnen u. Kurator:
Lucrezia Cippitelli, Nathalie Gonthier, Dominique Malaquais, Eric van Hove