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Sich verschiebende Grenzen, kulturelle Interaktion, veränderte Landschaften. Ausstellung der 7. Asien-Pazifik Triennale, Brisbane, Australien.
Von November Paynter | Jan 2013Die diesjährige Asien-Pazifik Triennale hat ihren Blickwinkel ausgeweitet, um eine signifikante Präsentation der Arbeiten von Künstlern aus Westasien einzubeziehen, einem Gebiet, das die Landmasse umfasst, die sich von der Provinz Xinjiang im Westen Chinas bis zum europäischen Ufer des Bosporus in Istanbul, Türkei, erstreckt. Diese Erweiterung ist angebracht, denn bei Westasien handel es sich um eine Region, die im Laufe der Geschichte als die Austauschpassage von Ost- und Zentralasien bis zu den Grenzen Europas funktionierte. Einige der frühesten Migrationen von Menschen bewegten sich von Afrika über den Mittleren Osten nach Asien, und die drei verwandten monotheistischen Religionen - Judentum, Christentum und Islam - wurden innerhalb dieses geographischen Raumes geboren und zuallererst verbreitet. Später ist der zunehmende Transfer von Handel und kulturellen Beziehungen entlang verschiedener Routen als die Seidenstraße bekannt geworden. Bezugnehmend auf diese starken historischen Verbindungen haben jüngere Ausstellungen wie der 11. Istanbul Biennale (2009) und die 1. Kiew Biennale (2012) damit begonnen, zeitgenössische Kunstpraktiken aus Zentralasien im Dialog mit denen aus dem Kaukasus und dem Nahen und Mittleren Osten zu untersuchen. Solch ein Dialog setzt sich jetzt im erweiterten regionalen Fokus der APT fort.
Obschon gegenwärtige politische und territoriale Spannungen in dieser Region die lang anhaltenden Auswirkungen religiöser Umbrüche und Perioden unter ottomanischer, kommunistischer oder kolonialer Herrschaft überschatten, führten diese historischen Epochen auch zum Bewusstsein eines gemeinsamen Erbes. Unterschiedliche Bevölkerungsgruppen werden durch Sprache geeint, wobei die Mehrzahl der in Zentralasien ansässigen eine der Turksprachen sprechen. Im Nahen und Mittleren Osten brachte neben dem Arabischen ein Zustrom von Turkvölkern auch Turkmenisch, Aseri und Türkisch mit sich. [1] Es ist ein Gebiet extremer Umweltunterschiede, wo der Fruchtbare Halbmond, der sich von der levantinischen Küste über den Irak und Iran erstreckt, an heiße trockene Wüsten grenzt. Dieser üppige Landstrich zog menschliche Siedlungen an, und die frühesten städtischen Zivilisationen der Welt entstanden in Mesopotamien. Durch Eroberungen, Kreuzzüge und imperiale Expansionen kamen später neue Völker und Ideen, und eine jede Episode schrieb die Geschichte dramatisch um.
Diese Jahrhunderte von Invasion, Migration und Handel führten zur Entwicklung komplexer und sich kontinuierlich entfaltender kultureller Praktiken. Zeitgenössische Künstler haben diesen Prozess fortgesetzt, sich von traditionellen Techniken und Medien gelöst sowie auch von angeeigneten westlichen Stilen und darstellender Ästhetik, um einzigartige Positionen und Ansätze anzubieten. In den letzten beiden Jahrzehnten sind in der Region verschiedene große zeitgenössische Kunstplattformen entstanden, wie die Biennalen von Istanbul und Sharjah und die Kunstmesse Art Dubai, durch die Künstler in größere internationale Netzwerke eingebunden wurden. Viele Kunstschaffende sind Weltbürger, leben sowohl in ihrem Heimatland wie auch im Ausland.
0 – Now: Traversing West Asia (0 - Jetzt: Westasien durchqueren) ist auf diese Region fokussiert und präsentiert Fotografie, Video, Skulptur und multimediale Installationen von sieben Künstlern. Diese verbindet ein gemeinsames Interesse an den historischen und gegenwärtigen Bewegungen von Menschen sowie an den Machtverschiebungen und Kompositionen von Landschaft in Westasien. Einbezogen sind Werke, in denen es um frühere Akte und fortlaufende Angebote zur Neudefinition nationaler Grenzen geht; um die im 11. Jahrhundert begonnenen militärischen Kreuzzüge, durch die das Christentum der muslimischen Welt aufgezwungen werden sollte; und um die Auswirkungen von Repression und ökonomischem Chaos, verursacht durch das Kommen und Gehen des Ottomanen Reiches und der sowjetischen Intervention und Herrschaft.
Slavs & Tatars "ist eine Fraktion von Polemik und Vertraulichkeit, gewidmet dem als Eurasien bekannten Gebiet". [2] In APT7 bildet ihr Werk PrayWay (2012) einen zentralen Dreh- und Angelpunkt der Interaktion in der Ausstellung. Dabei kombinieren sie die Formen des Rahlé (Ständer für heilige Bücher, einschließlich des Koran) und die in ganz Westasien anzutreffenden Flussbetten, an deren Uferböschungen Teppiche ausliegen, um die Besucher einzuladen, sich zu treffen und als eine Gemeinschaft mit dem Werk zu interagieren. Als Teil einer Serie von Arbeiten mit dem Titel The Faculty of Substitution zielt diese darauf ab zu "probieren, was es bedeutet, die ureigenen Gedanken, Erfahrungen, Glaubensvorstellungen und den Eindruck von etwas, jemand oder irgendwo anders auf einer Reise zur Selbstentdeckung als Eigenes anzunehmen." [3]
Die Erkundungen von Slavs & Tatars richten sich auf die gesamte Region Westasien, so wie das in einer minimalistischeren Form auch bei einigen der zeitbezogenen Lineale von Cevdet Erek der Fall ist. Von einem davon stammt der Titel 0 – Now. Während viele abstrakt sind, mit ihrem Bezug auf Zeit und einer für Interpretationen offenen Anordnung, spielen einige auf spezifische Momente an - wie eines der Lineale, das sich auf Ereks eigene Lebensspanne bezieht, oder ein anderes, das die Daten der Staatsstreiche markiert, die in der Türkei im zwanzigsten Jahrhundert stattgefunden haben. Alle separat gekennzeichneten Ereignisse stehen für Erek aber doch in Verbindung, und seine Lineale spielen mit Rhythmus und der Wiedergabe von Zeit, um solche Momente in kurzen, engen Linien zu kondensieren, die kontinuierlich gezeichnet und weitergeführt werden können.
Almagul Menlibayeva, Hrair Sarkissian und Yerbossyn Meldibekov fokussieren jeweils auf einen spezifischen Ort oder historischen Moment in Ländern, die einst zur UdSSR gehörten. Menlibayevas Fünfkanal-Videoinstallation drückt die Verwüstungen aus, die von den Atomwaffentests auf dem Testgelände in Semipalatinsk, Kasachstan, hinterlassen worden sind. Auf dem zentralen Projektionsschirm erzählen Menschen grauenhafte Erinnerungen an diese Periode und deren Auswirkungen bis heute. Auf den anderen vier Kanälen manipuliert Menlibayevas Film die blanke Landschaft durch choreographierte Interventionen, bei denen die Gesichter der Schauspieler durch Bilder von Nuklearwolken unkenntlich gemacht sind, womit die Missachtung der lokalen Bewohner durch die offiziellen Stellen evoziert wird. Sarkissians Fotografien zeugen von seiner Begegnung mit der Realität der Landschaft Armeniens zuerst nach der ottomanischen und später der sowjetischen Herrschaft. Schockiert durch die Konsequenzen dieser Periode auf die Menschen und die physische Landschaft sowie durch die ökonomische Situation des Staates Armenien, verhüllt Sarkissian die Extreme, auf die er gestoßen ist, indem er in tiefem Schnee fotografierte. Auch Meldibekov erkundet das "alte" und "neue" Zentralasien nach dem Zusammenbruch der UdSSR. Er formt Berge in Afghanistan aus zerbeulten Kochtöpfen und bezieht sich damit auf die fortwährende Umbenennung dieser beeindruckenden Orte mit dem Kommen und Gehen von Führern. Auch sein Werk Familienalbum (2011, eine Zusammenarbeit mit seinem Bruder Nurbossyn Oris) zeichnet die Erneuerung öffentlicher Skulpturen auf, da widersprüchliche Positionen - vom Leninismus über Stalinismus zur Unabhängigkeit - ein immer anderes Denkmal erfordern. Es scheint, dass weder ein natürliches noch ein von Menschen gefertigtes Monument übersehen wird, wenn die Macht in andere Hände wechselt und neue Deklarationen von Autorität verkündet werden.
Wael Shawkys Arbeit Telematch Crusades (2009) blickt auf eine viel frühere Periode der Geschichte zurück. Es ist ein Vorläufer seines größeren Videoprojekts Cabaret Crusades, einer Chronik der Kreuzzüge, die von 1095 bis 1291 dauerten. So wie in seinen davorliegenden Telematch-Werken arbeitet Shawky mit Kindern. Hier treten sie als eine Bande auf, die eine Burg belagert. [4] Während alle Jungen auf Eseln reiten, um die Burg zu umgehen, bleiben ihre Absichten unklar. Die letzte Szene ist gegen ein tiefblaues Meer aufgenommen. Als ein Junge von seinem Esel steigt, könnten seine Gedanken leicht darauf aus sein, loszurennen und in die Wellen zu springen, um sich von der Struktur des Spiels und der Last des historischen Erbes zu befreien. Wieder tritt die Landschaft in den Vordergrund und die Schlussfolgerung dieses Films - der auf die weitreichenden sozialen und politischen Effekte der Kreuzzüge anspielen könnte - löst sich in Sand und Meer auf.
Oraib Toukan untersucht in ihrer Arbeit The Equity is in the Circle (2007-09) das allgemein als Naher Osten bezeichnete Gebiet Westasiens. Wegen seiner geopolitischen Verwendung und Versuchen des Westens, sich einzumischen und die Zusammensetzung der Nationen der Region neu zu strukturieren, wird dieser Begriff von vielen für eurozentrisch gehalten. Toukan lenkt diese jüngere Geschichte in eine neue Richtung, indem sie eine Versteigerung von Nationalstaaten des Nahen Ostens unter hundertjährigen Erbpächtern vorschlägt. Das Schema wird deutlich gemacht durch solche Details, wie der "Preis" einer Nation zu bemessen sei, Videointerviews mit Auktionatoren und Marktberatern, einem Auktionskatalog und einer Marken-Werbekampagne. Einer ihrer Werbeslogans, "Besitze diesen Blick und alles darin", hallt durch die Ausstellung 0 – Now. Trotz des unterhaltsamen Ansatzes von Toukans Untersuchung werden die drohende Privatisierung von öffentlichem und nationalem Territorium sowie die Beziehungen von Individuen und Gemeinschaften zu ihrer Umgebung ständig durch jene neu definiert, die an der Macht sind.
Anmerkungen:
November Paynter
Assoziierte Direktorin für Programme und Forschung von SALT, Istanbul, Türkei.
Kuratorin: November Paynter
Künstler:
Cevdet Erek
Yerbossyn Meldibekov
Almagul Menlibayeva
Hrair Sarkissian
Wael Shawky
Slavs & Tatars
Oraib Toukan
0 – Now: Traversing West Asia
Die Ausstellung ist Teil der
7. Asien-Pazifik Triennale für
zeitgenössische Kunst (APT7)
8. Dezember 2012 - 14. April 2013