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Die Künstlerin aus Marokko ist bekannt für ihre Subversion häuslicher Materialien und die fast ausschließliche Verwendung von Weiß.
Von Daniella Geo | Jul 2013Gelegentlich halten Kritiker die Werke weiblicher Kunstschaffender, die in der Blütezeit des Feminismus entstanden sind, für feministisch, ohne den tatsächlich enthaltenen Diskurs, den Kontext der spezifischen Arbeit und das Œuvre der Künstlerin in Betracht zu ziehen. Es wird übersehen, dass ein grundlegendes Element feministischer Kunst darin besteht, dass die Künstlerinnen, die in diese Kategorie fallen, von sich aus eine solche Position bezogen haben. Sie erklärten ihre Autonomie und sahen die Unterscheidung zwischen Kunstwerken von Frauen und Männern in einem positiven Licht, indem sie die vorherrschende Kunst und den Platz von Frauen in der Kunstgeschichte hinterfragten. Doch obwohl sie über den Feminismus Bescheid wussten und von den sich entwickelnden Verhältnissen profitierten, haben etliche Frauen zu jener Zeit keine persönliche Position eingenommen, die sich von den vorherrschenden Auffassungen unterschieden hätte, und keine frauenspezifische Diskurse gepflegt. Für einige dieser Künstlerinnen waren andere Themen vorrangig, die sich oftmals auf den politischen Kontext bezogen, in dem sie lebten, da sich zahlreiche Länder in einem Ausnahmezustand befanden, z.B. von Diktaturen regiert wurden. Viele von ihnen beschäftigten sich auch mit allgemeinen Angelegenheiten und engagierten sich in der zeitgenössischen Kunstszene neben männlichen Künstlern, wobei sie sich von Geschlechterthemen distanzierten. Deshalb missachtet die vorschnelle Kategorisierung gewisser Werke als feministisch die autonome Entscheidung, in Zeiten größerer politischer Konflikte eine Stellung außerhalb jener speziellen Bewegung zu beziehen.
Heutzutage hat der Vorschlag des Differenzierens, um einzubeziehen, so wie zu Beginn der feministischen Bewegung, keine Wirkung oder positive Effekte mehr. Das gegenwärtige Schaffen einer Künstlerin wegen einer kritischen Sicht auf bestimmte Themen als feministisch zu klassifizieren bedeutet, deren ästhetisches Potenzial einzuschränken, so als wenn das Werk auf eine Subjektivität beschränkt sei, es vom Ganzen separiert wäre, als wenn es nur auf eine bestimmte Gruppe abzielen würde. Manchmal von der Künstlerin selbst nicht verkündet, ist die Idee des Feminismus weniger im Werk an sich enthalten, sondern hat vielmehr mit der Perspektive oder dem Kontext der Betrachter zu tun.
In der westlichen Welt - wo die muslimische Frau trotz der umfassenden Pluralität zum großen Opfer erkoren zu sein scheint, das es vor ihrer patriarchalischen und konservativen Gesellschaft zu retten gilt - ist nicht selten die Erwartung anzutreffen, dass weibliche Kunstschaffende aus muslimisch geprägten Ländern in ihren Werken eine feministische Position einnehmen würden. Desgleichen werden Arbeiten, die auf das Bild der Frau fokussiert sind oder in denen es um den Begriff des Femininen geht, letztendlich aus einer feministischen Perspektive auf eine andere Kultur rezipiert und aufgenommen - eine Lesart, in der die Künstlerin als Frau hervorgehoben wird. Doch einerseits weisen solche Künstlerinnen einen derartigen Fokus auf ihr Geschlecht zurück, da ihnen das als ein längst überwundenes Thema gilt. Andererseits sehen sie sich selbst als autonom und genauso in die Produktion und Geschichte der Kunst eingebunden, wie jeder andere Künstler, egal ob männlich oder weiblich. Selbst wenn ihre Werke neue Diskurse und eine offenere feministische Sicht der Welt beinhalten, streben sie im Allgemeinen danach, weiter gefasste, ästhetische und konzeptionelle Diskussionen zu entfachen. Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die künstlerische Tätigkeit von Safaa Erruas.
Das Feminine ist unverkennbar das Thema dieser Künstlerin, und die Titel ihrer Werke lassen bisweilen einen autobiographischen Hintergrund erkennen. Aber während sich die persönliche Dimension erschließt, sobald die Wahl des alltäglichen Materials - das es in (fast) jeder Gesellschaft gibt - getroffen ist, wird das Feminine nicht einfach nur als eine Geschlechterangelegenheit präsentiert, egal was man anfangs darüber denken mag.
Viel in Erruas Repertoire ist aus Elementen komponiert, die normalerweise mit Zartheit assoziiert und als dem weiblichen Universum zugehörig angesehen werden (Kleidung, Fäden, Porzellan, Kissen und Blumen). Der Gedanke der Reinheit - Inbegriff der Idealisierung des Femininen - wird evoziert durch die fast ausschließliche Benutzung von weiß, das jedoch nicht in makelloser Form präsentiert wird. Über, außen herum oder eingewoben ins Innere dieser weißen Materialien, die im Wortsinne und symbolisch als die Oberfläche des Femininen funktionieren, können wir metallische Elemente sehen, von denen viele spitz oder scharf sind (Nadeln, Rasierklingen, Messer, Draht). Eine solche materielle Dialektik generiert Unbehagen und nimmt dem Femininen die Möglichkeit, unschuldig zu bleiben, bringt es in Gefahr. Dieser Zusammenprall könnte als das Ergebnis des Aufeinandertreffens von Maskulinem und dem Femininen angesehen werden, wenn da nicht die zarte Eigenart der gewählten Metallobjekte wäre, die nahelegt, dass die Konfrontation von Formen, Texturen, Sensibilitäten und Möglichkeiten vielmehr das Feminine als mehrdeutig, konfliktiv, gewunden darstellt, in sich selbst durchsetzt von Herausforderungen. Die Gewalt - die als maskuline Aktion gilt - der Schnitte und Durchstiche in der weißen Oberfläche könnte sich auf die Komplexität des Femininen beziehen, dessen Intimität verinnerlicht und gleichzeitig zur umgebenden Welt hin offen ist. In Erruas minimalistischen Abstraktionen kann das Feminine jenseits des physischen, fleischlichen Körpers - manchmal in Titeln und Formen angedeutet - in dem gefunden werden, was zum Existenziellen gehört, im Philosophischen. Und es wird durch Fragen der Kunst selbst projiziert, wie der künstlerischen Geste als Aktion, der Beziehung zwischen Materialität und Ephemerem und zwischen dem Werk und dem Ausstellungsraum, durch ortsspezifische Wandbilder wie "Der Mond in mir" (2009) und "Ohne Titel" (2013), oder sogar durch das Verhältnis zwischen der Fläche und dem Dreidimensionalen des Bildes, durch solche Werke wie die Serie "Élatérium" (2010), durch das Hineinstecken, das an die Darstellung einer Vulva und auch an Lucio Fontanas concetto spaziale denken lässt.
Mit ihrer Subversion typisch häuslicher Materialien öffnet Erruas ihr Werk tatsächlich für feministische Interpretationen und wirft Fragen über das Verhältnis einer Frau zu ihrem Körper, ihrer Sexualität, Spiritualität und ihrem sozialen Platz auf - was erhellend sowohl in Marokko, das Herkunftsland der Künstlerin, wie auch in jeder anderen Gesellschaft sein kann. Aber wichtiger noch ist, dass Erruas Werk in seiner Abstraktion das ästhetische Potenzial hat, für verschiedene Interpretationen offen zu sein.
Daniella Geo
Independent curator, researcher and writer based in Antwerp, Belgium, and Rio de Janeiro, Brazil.