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Zur bevorstehenden Eröffnung eines Zentrums in Tunis für die Förderung und Verbreitung von Fotografie und Bildkultur.
Von ismaël | Sep 2013In den 1970er Jahren setzte in Tunesien ein Niedergang der journalistischen Tradition und des künstlerischen Moments der Fotografie ein, obschon es in der Zeit danach disparate Bemühungen einer Neubelebung gab. Dann kamen drei wichtige Faktoren, durch die sich die Sache etwas änderte: die Verbreitung digitaler Technologien und des Internet, die Expansion der Fotografie in Werbung und Marketing und schließlich die Revolution von 2010-2011. Drei Ereignisse unterschiedlicher Art - technologischer, ökonomischer, soziopolitischer -, und jedes trug auf eigene Weise in den letzten zehn Jahren zu einer außergewöhnlichen Entwicklung der Landschaft der Fotografie bei - zumindest in quantitativer Hinsicht: einer beträchtlichen Zahl an Fotografen, seien es Künstler, die in ihrer Praxis die Fotografie nutzen, Fotojournalisten oder Fachkundige, eine wachsende Zahl an Aufträgen und Arbeitsgelegenheiten in solchen Sektoren wie Werbung, Mode und Presse sowie mehr und mehr Ausstellungen, Präsentationen und Veranstaltungen.
Dieser Impuls kristallisiert sich in La Maison de l’Image (Das Haus der Bilder), einem verrückten Projekt von Wassim Ghozlani und seiner Partnerin und Mitarbeiterin Olfa Feki. Dieser Ort, dessen Eröffnung für den Herbst 2013 geplant ist, soll "der Förderung und Verbreitung von Fotografie und Bildkultur gewidmet sein. Er soll fotografisches Schaffen im Mittelmeerraum durch einen Prozess der Weiterbildung, Kommunikation und des künstlerischen und professionellen Austauschs hervorheben und unterstützen. Angesiedelt in Tunis, einer Stadt an den Schnittpunkten des Mittelmeergebiets, besteht seine Aufgabe darin, bei einem größtmöglichen Publikum das Bewusstsein für Fotografie und auf Bildern basierende Laufbahnen zu wecken, jungen Künstlern Werkzeuge zu geben, Profis zu trainieren und dabei eine kulturelle Dynamik auf internationaler Ebene zu schaffen, die aus der Stadt und der Region Nutzen zieht". [1] Der Ort wird in verschiedene Räume unterteilt sein: Ausstellungsraum, Atelier, Auditorium, Buchladen und Künstlerresidenz.
La Maison de l’Image geht aus einem institutionellen Kontext hervor, der durch die konzertierte Politik des Kulturministeriums einer methodischen Zerstörung des kulturellen und künstlerischen Sektors gekennzeichnet ist. Zusätzlich zu den Angriffen der reaktionärsten Randbereiche der Gesellschaft und der Polizei und des Justizapparats geht das Kulturministerium selbst gegen Künstler und Kulturarbeiter vor. Das Regime von Ben Ali etablierte sein hinterhältiges Abwürgen kreativen Schaffens und Denkens durch Zensur, Zusammenarbeit mit gewissen, dem Regime verbundene Personen und der Monopolisierung finanzieller Unterstützung, was zu verderblicher Selbstzensur führte. Die von Al-Nahda geführte Regierung praktiziert direkte Konfrontation, Machtmissbrauch und radikale Zerstörung, während es die schon vorhandene Korruption perpetuiert.
Hinzu kommt, dass die soziale, wirtschaftliche und politische Situation nicht günstig ist, was das Projekt erschwert und vor allem die Existenz von La Maison de l’Image’s noch dringlicher macht. Soweit es sich um die Intention eines Raumes handelt, der alle mit Fotografie verbundenen Aktivitäten virtuell einbezieht, ist diese Zielsetzung lobenswert. Aber vielleicht besteht die beste Strategie in einem Kontext wie Tunesien darin, schrittweise voranzukommen und innovative Mechanismen für das Reifen, die Entwicklung und die Schaffung innerhalb dieser Struktur zu finden. Allein schon die Existenz des Raumes wäre ein Sieg. Es ist auch notwendig, sich der Rolle der Freiheit bewusst zu sein, die damit verbunden sein kann. Künstlerische Freiheit, aber nicht nur diese: die Freiheit, neue Wege des Schaffens zu denken und zu praktizieren und Kunsträume an einem Ort und zu einer Zeit zu betreiben, mit denen man sich auseinandersetzen muss, in einem Hier und Jetzt, das es unbedingt zu überwinden gilt.
Was den tunesischen fotografischen Kontext betrifft, so ist dieser von solcher "nützlichen" Fotografie wie Journalismus und Werbung dominiert. Mit einigen wenigen Ausnahmen bestehen die neuen tunesischen Fotografen von heute nicht auf Fotografie als einem künstlerischen Ausdrucksmittel ihres Schaffens und ihrer Statements, sondern auf deren Benutzung als Mittel der Aneignung sozialer, politischer und medialer Diskurse, die Jahrzehnte lang konfisziert waren. Eine Fotografie zeigt nicht, sondern spricht und erzählt.
Der künstlerische Fotograf, so wie ihn Dominique Baqué definiert, hat wenig Platz in der Fotoszene Tunesiens, nicht einmal in Kunsträumen. Mag sein, das dies durch die Tradition bedingt ist. Gewiss als eine Reaktion auf das politische Bleigewicht, das nach der Revolution teilweise, jedoch nicht vollständig, in einer "freien Rede" explodierte, wurden die visuellen Künste in einer solchen Weise konvulsivisch aufgeladen, dass sie sich zu illustrativen Künsten umwandelten. Jene, die Fotografie als eine Kunst für sich erachten und nicht nur als ein Medium wie jedwedes andere, sind selten. Als Praxis einer Minorität wird die hauptsächliche Aufgabe von La Maison de l’Image darin bestehen, diese von allen didaktischen oder kommerziellen Vorgaben und demzufolge auch von aller propagandistischen Instrumentalisierung befreite Fotografie zu fördern.
Neben den erheblichen finanziellen Anforderungen, denen sich La Maison de l’Image in diesen Zeiten der Krise und des Rückzugs des öffentlichen und privaten Sektors Tunesiens gewiss gegenüber sehen wird, gibt es weitere zentrale Herausforderungen ästhetischer und künstlerischer Art. Der Raum für sich kann keine tiefgreifenden und lang anhaltenden Auswirkungen haben, es sei denn, man beteiligt sich am Entstehungsprozess neuer und singulären Formen und Ausdrucksweisen der Fotografie. Entscheidend für das "Haus der Bilder" ist nicht "Haus", sondern "Bild". Fotojournalismus, Fotoreportagen, Werbefotografie und Modefotografie finden ihren Ausdruck in verschiedenen Räumen und haben ihre eigene kommerzielle und ökonomische Logik. Aber das ist bei der künstlerischen Fotografie, die in Tunesien kaum existiert, nicht der Fall. Die historische Verantwortung von La Maison de l’Image besteht somit in einer Verknüpfung des Schaffens, der Verbreitung und der dauerhaften Etablierung neuer Formen der Fotografie und der Reflexion darüber.
ismaël
Video- und Experimentalfilmkünstler. Autor, Cyberaktivist und Blogger. Lebt in Tunis, Tunesien.
Initiatoren:
Wassim Ghozlani
Olfa Feki
La Maison de l'Image
Adresse:
40 Rue Tarak Ibn Zied
1086 Mutuelleville, Aryanah
Tunesien
Soll Ende 2013 eröffnet werden.