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Der erste Pavillon Kuwaits auf der Biennale Venedig 2013, Werke von Sami Mohammad, Tarek Al-Ghoussein. Kuratoriale Überlegungen.
Von Ala Younis | Aug 20131988 beauftragte die private kuwaitische Zeitung Al-Rai Al-Aam den Bildhauer Sami Mohammad, eine Bronzestatue des früheren Emirs Sheikh Sabah Al-Salem Al-Sabah (regierte 1965-1977) zu schaffen. Mohammad stellte den Herrscher lächelnd mit einer zum Gruß erhobenen Hand dar.
Eine Kopie der Hand dieser Statue aus Glasfaser ist prominent in National Works platziert, der Ausstellung in dem Pavillon, mit dem sich Kuwait erstmals auf der Biennale Venedig präsentiert. Neben dieser Hand steht eine Büste von Sheikh Abdullah Al-Salem Al-Sabah (1950-1965), die frühe Testarbeit eines Details einer anderen Statue von Mohammad im Auftrag derselben Zeitung 1971. Diese Arbeitsmodelle zusammen mit anderen Fotografien und Drucken aus dem Atelier des Künstlers in Al-Rigga bieten dem Publikum Teileinblicke in ein zusammengesetztes Ganzes und vermitteln einen Eindruck von der Reise des Künstlers zu einer Gießerei in Basingstoke in England, bei der er lediglich die Maquette eines Gesichts mit sich führte, von der aus er den fertigen Körper herstellte.
Die Ausstellung soll ebenjenes Konzept der "Nationalen Werke" ansprechen. Im begleitenden Ausstellungsführer sind in einer Zeittabelle Details der beiden Statuen ausgewählten Entwicklungsstufen der Kunstszene in Kuwait sowie wichtigen Meilensteinen des Modernisierungsprojekts Kuwaits und internationalen Beziehungen gegenübergestellt.
Der 1943 in Kuwait geborene Sami Mohammad ist am Arabischen Golf für eine Kunst bekannt, in der es um leidende Menschen und die Emanzipation aus sozialen Zwängen geht. Aus Angst, eine konservative Gesellschaft zu verärgern, wurde keine der beiden Statuen, die sich wesentlich von seinem sonstigen Schaffen unterscheiden, jemals außerhalb des Hauptquartiers der Zeitung in Kuwait gezeigt. Das blieb selbst dann noch so, nachdem der Status der Statuen einen Bedeutungsgewinn erfuhr. Während der irakischen Invasion konnten Soldaten sie nicht umwerfen und schossen stattdessen auf sie, so dass bis heute sichtbare Narben blieben. Außerdem hatte der Künstler vor den Truppen fliehen müssen, die nach ihm ausgeschickt worden waren, damit er eine Statue von Saddam Hussein anfertigt. Nach dem dritten Golfkrieg fand eine Büste Saddams in dem privaten Museum Kuwait House for National Works ihren Platz.
Die Statue von Sheikh Abdullah Al-Salem stellt den Emir thronend dar, einen Fuß nach vorn gesetzt, während sein linker Arm auf einem dicken Buch ruht, das die Verfassung repräsentiert. An der Seite des Throns, unterhalb der Verfassung, sind Reliefs eines Baumeisters, Arbeiters, Büroangestellten und einer Studentin zu sehen, während auf der anderen Seite die Justitia in weiblicher Gestalt erscheint, und auf der Rückseite ist ein Matrose zu sehen. Deren Ausführung erinnert an Mohammad frühe Werke. Mohammad selbst war ein Freiwilliger des kuwaitischen Volkswiderstands, der sich gegen die Bedrohung erhob, dass Kuwait als Teil eines Groß-Irak annektiert werden könnte. Das war 1961, in dem Jahr, als Mohammad ein hauptberuflicher Künstler im Freien Atelier (Al-Marsam Al-Hurr) in Kuwait wurde. Es war auch das Jahr, in dem Kuwait seine Unabhängigkeit vom Britischen Mandat erlangte, einen Fonds für arabische wirtschaftliche und soziale Entwicklung mit einem Kapital von 50 Millionen Kuwait-Dinar auflegte, ein Mitglied der Arabischen Liga wurde und sich eine diplomatische Delegation (u.a. mit dem Herausgeber von Al-Rai Al-Aam) auf eine Tour durch die arabische Welt begab, um sich der Unabhängigkeit und des internationalen Status des Staates Kuwait zu versichern. Als all das stattfand, ist Kuwait zum Nährboden eines Neuaufbaus, der Kreativität und des politischen Erwachens geworden.
Der zweite Teil der Ausstellung umfasst eine Auswahl von Leuchtkasten-Fotos von Tarek Al-Ghoussein, geboren 1962 in Kuwait als Sohn eines Diplomaten, der zu einer anderen Delegation gehörte, die mit der Aushandlung der Mitgliedschaft Kuwaits in der UNO beauftragt war, diese Mission aber erst 1963 zu Ende bringen konnte, weil die ersten Anträge durch das Veto der Sowjetunion blockiert wurden. Die Bilder sind Teil der K Files, eines größeren Projekts, in dem der Künstler Material sammelt und archiviert, das er in seiner Familiengeschichte, Gebrauchtwarenläden und im Internet findet. Die Fotografien zeigen den Künstler an diversen Orten in Kuwait stehend und als eine Erkundung derselben agierend, und was an diesen Orten entstanden ist, macht die "Nationalen Werke" aus: oszillierend zwischen den Zwillingspolen des Individuums und der Nation. Der in diese Landschaften platzierte Künstler wird gegen sie gemessen und gegen den Prozess, durch den die moderne Nation aufgebaut ist: eine Beziehung, in der Macht und Vermittlung zwischen Produzent und Produkt alternieren. Diese Beziehungen zwischen Person und Ort bringen uns zurück zu den am Thron von Sheikh Abdullah Al-Salem dargestellten Figuren. Zum Beispiel positioniert sich Al-Ghoussein auf dem Spielplatz der Abdullah Al-Salem Schule, die als Startrampe für Schüler vieler verschiedener Nationalitäten diente, die später Institutionen in Kuwait und im Ausland leiten sollten. Dann steht er wiederum in der Qasr Al-Salam, einem architektonischen Wunder, das dem Empfang von Staatsgästen diente, bevor es im Krieg zerstört und daraufhin verlassen wurde, und auch in der Börse von Kuwait, wo Investment und Handel Kuwaits fabelhaften Wohlstand aufrechterhalten.
Kuwait hat lange die Unterstützung durch zeitgenössische Pioniere anderer Länder gesucht, um seine Modernisierung zu beschleunigen. Kuwaits Nationalversammlung, ein weißes Gebäude, das über dem Arabischen Golf aufragt, ist ein weiterer Ort, den der Künstler wählte. 1969 wurde der Architekt des Opernhauses von Sydney, Jorn Utzon, eingeladen, seinen Entwurf für ein solches Gebäude einzureichen. Der Staat hatte allerdings vorgeschrieben, dass die Errichtung der Nationalversammlung ein rein lokales Projekt sein sollte. Utzons elegante Lösung bestand darin, ein Gebäude aus einer Anzahl identischer Betonmodule zu konzipieren, die woanders gegossen und an den Ort transportiert werden konnten. Der Ausstellungsführer enthält Fotos vom Architekten und Arbeitern auf der Baustelle. Es sind Bilder, die das von den monolithischen Fertigteilen der Bauarbeiten umgebene Individuum krass darstellen: ein Mann vor dem Hintergrund von Entwicklungsprojekten, finanziert mit Millionen von Dollars, die durch die Ölpipelines des Landes fließen. In einem anderen Bild ist der Künstler auf Umm Al-Ghaz zu sehen, einer aufgeschütteten Inseln, geschaffen in den frühen Jahren der Unabhängigkeit Kuwaits, um Ölbohrungen zu erleichtern. Im Hintergrund sieht man die Kuwait Towers. Es ist das Individuum in Beziehung zu Ort / Projekt / Staate / Nation und umgekehrt. Vielleicht erlangen alle Werke, die im Kontext des Modernisierungsprojekts von Kuwait zustande kamen, einen "nationalen" Charakter, privat und öffentlich zugleich: von der Gründung einer Bank, Schule oder Baufirma bis zu künstlerischen und Bildungsbestrebungen.
Das Kuratieren des Projekts war weitreichend. Dabei wurden Namen und Werke untersucht, vorgeschlagen von Personen und Institutionen, die um ihre Unterstützung gebeten worden waren, und es wurden die Motive hinter diesen Vorschlägen überprüft sowie mit möglichen alternativen Werken verbundene Bedenken und Interessen, während man es immer auch mit den unvermeidbaren Erwartungen in Bezug auf einen kuwaitischen Pavillon zu tun hatte. Trotz des engen Zeitrahmens für die Auswahl der Exponate, Titel und Künstler und trotz der Tatsache, dass die Ausstellung bei einem großen Teil ihres Inhalts gezwungen war, auf schon existierende Exponate zurückzugreifen, wurde dennoch entschieden, Werke in Auftrag zu geben. Die Ausstellung ist im Palazzo Michiel untergebracht, einem alten Palast, errichtet im Auftrag einer der zwölf Gründerfamilien Venedigs. Lokale Denkmalschutzbestimmungen, die Veränderungen der Innengestaltung oder das Übermalen der Wände verbieten, hatten großen Einfluss auf die Ausstellungsgestaltung. Die Form, in der das Endprodukt schließlich erscheint, resultiert in erheblichem Maße aus dem Geist des Experimentierens. Man sollte keinesfalls reduktionistisch sein, wenn es um die Diskussion der Ausstellung des Pavillons geht, und diese nicht ausgehend von vorgefassten Vermutungen interpretieren, auf der Basis der berühmteren Werken der Künstler, ihres Wohnorts oder der Interpretationen, die traditionell mit ihren Arbeiten assoziiert gewesen sind. Die Ausstellung des kuwaitischen Pavillons ist von derselben Herangehensweise an das Modernisierungsprojekt getragen, die auch das Geschäft des Ausgleichens der langen Abwesenheit des Landes von der Biennale Venedig bestimmt: künstlerische und modernistische Erzählweisen durch Bedenken gegenüber Relativismus, Patronage, Innovation, Staatsbürgertum und Status historisch zu filtern.
Ala Younis
Freie Künstlerin und Kuratorin, geb. 1974 in Kuwait. Lebt in Amman, Jordanien.
Kommissar:
National Council for Culture, Arts, and Letters, Kuwait
Künstler:
Sami Mohammad
Tarek Al-Ghoussein
Kuratorin: Ala Younis
National Works
Pavillon von Kuwait
55. Internationale Kunstausstellung
La Biennale di Venezia
1. Juni - 24. November 2013
Ort:
Palazzo Michiel
4391/A Strada Nova
Canarregio, Venedig