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Wenn Spontaneität und Experiment zur Form werden. Über die einzige nationale Hochschule für Kunst in Marokko.
Von Bérénice Saliou | Dez 2013"Mit dem Nationalen Institut der Schönen Künste von Tétouan ist es ein wenig so, als wenn wir mit uns selbst um die Wette laufen würden und als erste ankommen!" ruft Abdelkhrim Ouazzani lachend aus. Nach zwanzig Jahren an der Spitze der einzigen nationalen Kunstinstitution auf Hochschulniveau in Marokko (bekannt als INBA) kündigte der Mann, der sich selbst mehr als Künstler statt als Direktor sieht, offiziell seine Pensionierung für den 7. Februar 2014 an, seinen sechzigsten Geburtstag.
Mohamed Chebaa, Saad Ben Seffaj, Ahmed Ben Yessef, Said Messari, Faouzi Laatiris, Hassan Echair, Ilias Selfati,Younès Rahmoun, Safaa Erruas, Batoul S'himi, Amine El Gotaibi, Mohamed El Mahdaoui, Mohamed Arejdal... - die Liste der jungen und nicht mehr ganz so jungen Absolventen des INBA, die inzwischen bekannt geworden sind, ist lang. Die 1945 während des spanischen Protektorats von dem Maler Mariano Bertuchi geschaffene Schule der Schönen Künste von Tétouan war ursprünglich als Zeitvertreib für die Ehefrauen der spanischen Militärs gedacht. 1957, kurz nach Erlangung der vollständigen Unabhängigkeit, weihte König Mohammed V. das gegenwärtige Gebäude ein und ernannte Mohamed Sarghini zum Direktor. Dessen Name hallt in der Erinnerung der Einwohner von Tétouan nach. Als erster Direktor der Schule der Schönen Künste baute Sarghini die Reputation des INBA auf, indem er dessen Lehrmethoden nach dem spanischen Modell ausrichtete, mit marokkanischen Lehrern, die vor allem technische Kurse gaben.
Diese Situation dauerte an, bis Abdelkhrim Ouazzani nach einem Weiterbildungskurs im Yankel Studio in Paris an die Schule der Schönen Künste von Tétouan zurückkehrte. Er sagte: "Als ich aus Paris zurückkam, wollte ich alles verändern. Ich wollte die Kurse für Anatomie und Perspektive stoppen. Ich revoltierte gegen das konventionelle System. Ich wollte diese Beziehung Direktor-Student nicht länger haben. Mit Sarghini schufen wir den Kurs visuelles Schreiben. Es war ein Kurs zur Analyse von Kunstwerken auf der Basis von Improvisation. Morgens wusste niemand, was passieren würde. Es war ein Workshop, ein Laboratorium. Wir entdeckten nach und nach Dinge, wie auf einer leeren Leinwand. Es war frisch, wir hatten Spaß. Es gab Fröhlichkeit."
Diese Atmosphäre der ein wenig unstrukturierten Flexibilität herrscht heutzutage weiterhin im INBA, in dem es drei Abteilungen gibt: Visuelle Künste, Grafikdesign und Comics / Animationsfilme. Die Kurse, die manchmal zu nicht festgelegten Zeiten ausgerichtet werden, finden in diesen Ateliers statt: Skulptur, Raum und Volumen, Malerei, Zeichnung, Grafische Künste, Radierung, 3D-Animation und im neu geschaffenen Keramikstudio. Die 120 Studenten - pro Jahr werden 30 neue angenommen - sind handverlesen. Nach den Auswahlkriterien gefragt, entgegnete Hassan Echair, Künstler und Professor für Grafikdesign: "Das Kriterium für die Auswahl von INBA Studenten ist, dass keine Kriterien vorhanden sind, weil es in Marokko keine klare Kulturpolitik gibt. Wir wissen nicht so recht, was die Abteilung von uns erwartet, deswegen wählen wir Studenten vor allem nach ihrer Sensibilität aus. Mir ist die Motivation sehr wichtig: ein Verlangen. Es interessiert mich nicht, was die Bewerber wissen, sondern was sie lernen wollen. Als Lehrer forme ich Charaktere, die in der Lage sind, an den künstlerischen Schaffensprozess aus einer persönlichen Sicht heranzugehen."
Es ist tatsächlich ein Anliegen, was das INBA dazu bringt, an der Sache dranzubleiben. Trotz eines geräumigen Gebäudes, eines schönen Gartens, etwa vierzig Computern und eines WLANs ist die Schule schmerzlich unterfinanziert. Unterbezahlte Lehr- und Arbeitskräfte, ein Budget, das es nicht erlaubt, professionelle Gastdozenten einzuladen, ein offenkundiger Mangel an Materialien, eine fast leere Bibliothek und Studenten, die mit ihren persönlichen Computern und Geräten arbeiten … man scheint noch weit von internationalen Standards der Kunstausbildung entfernt zu sein. Hassan Echair erklärte: "Wir haben nicht das Budget, die Dinge durchzuziehen. Studenten finanzieren sich selbst, und das ist sehr schwierig. Und dann ist es ja so, dass Marokko mit seinen über 36 Millionen Einwohnern, einer großen kulturellen Vielfalt, 6 regionalen Sprachen und einem unglaublich reichhaltigen Potenzial der Kunst und des Kunsthandwerks nur eine einzige nationale Hochschule für Schöne Künste hat. Es müsste weitere geben, die uns in die Lage versetzen, uns stärker unserer eigenen Kultur zu widmen, sei es die arabische oder die berberische oder dieses Fenster, das wir zu Europa geöffnet haben." Abdelkhrim Ouazzani brachte es ganz direkt zum Ausdruck: "Das Problem besteht darin, dass das INBA die einzige nationale Kunstschule in Marokko ist. Es ist wirklich eine Schande, dass der von der Schule von Casablanca vergebene Abschluss nicht anerkannt wird und dass die hiesige Stadtverwaltung überhaupt nichts für diese Schule tut!"
Trotz der unbestreitbaren betrieblichen Schwierigkeiten unterhält das INBA einige interessante Partnerschaften mit dem privaten Sektor und international. Die Abteilung für Comics konnte Dank eines Kooperationsabkommens mit der Region Wallonien-Brüssel aufgebaut werden. Seit acht Jahren hat die Schule jährlich zwei Künstler aus Toledo (Spanien) zu einem fünfmonatigen Aufenthalt zu Gast. Mit solch wichtigen Unternehmensgruppen wie Jacob Delafon und Renault hat das INBA Vereinbarungen über Stipendien für Studenten. Das Rezept scheint zu funktionieren, und die Schule trägt jedes Jahr zur Ausbildung künftiger Künstler in diesem ihr eigenen Geist der Unabhängigkeit bei.
Nachdem er mehrere Jahre lang Assistent des Künstlers Seamus Farrell war und einige Monate in der Cité Internationale des Arts in Paris verbrachte, bereitet der Künstler Mohssin Harraki gerade eine Ausstellung gemeinsam mit Joseph Kosuth in der Galerie Imane Fares in Paris vor. Er sagte: "Ich habe sieben Jahre am INBA verbracht, vier davon in dem Bemühen, dort überhaupt erst angenommen zu werden! Im ersten Jahr benutzte ich Farbe. Dann, im dritten Jahr, stellte ich Dank solcher Lehrer wie Faouzi Laatiris und Younès Rahmoun fest, dass Malerei nichts für mich ist. Im vierten Jahr ging ich für ein sechsmonatiges Praktikum an die Schule der Schönen Künste Toulon in Frankreich. Ich kam für die mündlichen Prüfungen zurück nach Tétouan. An jenem Tag waren da nicht so viele Leute, Faouzi, ein paar Studenten… das INBA sind nämlich vor allem Wände, ein Ort, an dem viele Leute aus ganz Marokko zusammenkommen. Es ist eine Wärme und eine positive Energie. Natürlich zirkulieren einige Informationen, aber ausschlaggebend ist der Austausch miteinander und ein Grad an Freiheit, der anderswo nicht zu finden ist. Das INBA hat Epochen durchgemacht, aber für mich war es sehr wichtig, dass ich dort als Student gewesen bin."
Ein offener und einladender Ort, weit weg von Rabat und seiner Bürokratie, wo die Leute von weither kommen, um Erfahrungen zu machen, sich zu treffen und sich frei fühlen, das zu schaffen, was sie selbst für angebracht halten. Ein geliebter Ort, an den Lehrer und Interessengruppen nicht des Geldes wegen kommen, und wo Studenten nicht immer wissen, wonach sie eigentlich suchen. Einige schlagen eine gänzlich andere Laufbahn ein, andere gehen in den öffentlichen Dienst, wiederum andere werden Künstler… Mit dem Weggang des derzeitigen Direktors im Februar beginnt ein neues Kapitel. Und wenn wir dem INBA vielleicht etwas mehr an Struktur und gewiss auch größere finanzielle Mittel wünschen, so wünschen wir ihm ganz besonders, dass es seine Spontaneität behalten möge, seinen Geist des Teilens und seinen speziellen Hauch von Freiheit.
Bérénice Saliou
Freischaffende französische Kuratorin. Lebt in Marseille. Als Mitbegründerin und künstlerische Leiterin von Trankat Street in Tétouan hat sie viel mit Marokko zu tun.