Für eine optimale Ansicht unserer Website drehen Sie Ihr Tablet bitte horizontal.
Rezension der Ausstellung in Manarat Al Saadiyat, Abu Dhabi. Werke von sechs bekannten Künstlern der Emirate, 30. Okt. 2013 - 18. Jan. 2014.
Von Kevin Jones | Dez 2013Jeder Künstler hat "nicht realisierte" Projekte. Diese heimlichen Werke, die zu sperrig, zu sehr im Werden begriffen oder schlichtweg zu teuer sind, um fertiggestellt zu werden, machen im gegenwärtigen künstlerischen Diskurs eine Quelle des Staunens aus. Zum Beispiel der eigenwillige Interviewer Hans-Ulrich Obrist fragt Künstler in seinen zahllosen Gesprächen stets nach deren nicht verwirklichten Werken. Es ist seine einzige immer wiederkehrende Frage. Die dritte Edition von Emirati Expressions mit dem Untertitel Realised macht sich diese Begeisterung für das Unvollendete genial zu Nutze: sechs Hauptvertreter der konzeptuellen Kunst der Vereinigten Arabischen Emirate gruben Projekte aus, die entweder auf Eis lagen oder nur in ihren Köpfen existierten und darauf warteten, verwirklicht zu werden.
Die speziell in Auftrag gegebenen Werke kommen von einem Kern emiratischer Künstler, die allesamt Bannerträger der konzeptuellen Kunst des Landes sind: Layla Juma, Abdullah Al Saadi, Mohammad Al Mazrouei, Mohammed Kazem, Ebtisam AbdulAziz und Mohammed Ahmed Ibrahim. Erstaunlicherweise ist diese eng begrenzte, überaus selektive Schau (alle Teilnehmer präsentieren nur jeweils ein Projekt) extrem großzügig. Jeder der aufeinander folgenden Ausstellungsräume beherbergt zum Nachdenken anregende Zeugnisse der Vielgestaltigkeit der gegenwärtigen Arbeitsweise dieser Künstler und spielt dabei auf deren gemeinsame Geschichten an: es geht sowohl um die jetzige Individualität als auch um die Bande der Vergangenheit.
Auf einer anderen Ebene verweist die Grundprämisse der Schau "nicht realisierter Traum wird zu fertiggestelltem Kunstwerk" auf die Rolle des Kurators, indem sie die Bedeutung jener Seite des Kuratierens über eine bloße Künstlerauswahl und Festlegung eines Themas hinaus in den Vordergrund rückt. Die Kuratorin Reem Fadda ist für Emirati Expressions: Realised ein wenig zur Ausgräberin geworden. So stieß sie zum Beispiel im Zuge ihrer Vorbereitung des VAE Pavillons auf der 55. Biennale Venedig 2013 während eines Atelierbesuchs bei Mohammed Kazem auf ein unvollendetes Werk, das zur Installation Walking on Water des Künstlers in Venedig wurde. "Ich sah ein wunderschönes Modell aus dem Jahr 2005, das nur darauf wartete, verwirklicht zu werden," schwärmte sie. Das gefeierte Werk Walking on Water, ein Höhepunkt in Kazems fortlaufender Serie Directions, ist in dieser Ausstellung für das Publikum in Abu Dhabi wieder aufgebaut worden.
Mohammad Al Mazroueis nicht realisiertes Projekt ist von anderer Art. Der Maler und Dichter war einige Zeit lang nicht in der Szene der visuellen Kunst vertreten gewesen. Sein ersehntes Wiedererscheinen in Emirati Expressions: Realised (und sein Wiederaufgreifen der Malerei), was Faddas Hartnäckigkeit zuzuschreiben ist, bedeutet eine Art Heimkehr. Der Raum von Al Mazrouei in der Ausstellung strotzt vor expressionistischer Üppigkeit: seine mit schweren Pinselhieben ausgeführten Gemälde, die mit christlicher Ikonographie spielen, sind naiv und ungestüm zugleich, instinktiv und doch erstaunlich selbstsicher.
Blue Freedom (2013, Blaue Freiheit) von Ebtisam AbdulAziz ist eine willkommene Rückkehr der Künstlerin zu ihrem Performanceschaffen. Innerhalb einer Plexiglaskugel stehend, platziert gleich nebenan vor dem Pavillon der VAE für die Expo Schanghai 2012, der sich jetzt auf Saadiyat Island befindet, bestrich sie deren Innenwände sorgfältig mit einer Schicht blauer Farbe à la Yves Klein und malte sich damit im Wortsinne selbst in einer Blase. Wie in vielen Arbeiten von AbdulAziz ist dieser anscheinend simple Akt überaus komplex, wirft Fragen nach Freiheit, Handlungsfähigkeit und Mitwirkungsmöglichkeit auf und unterstreicht ihre eigene Nutzung (und Missbrauch?) des Körpers. Eine Serie von C-Prints als Dokumentation des Ablaufs der Performance um die bemalte Kugel herum mag vielleicht das einzige Element sein, in dem die Obsession der Künstlerin für Mathematik und Geometrie zu spüren ist. Ein Zweikanalvideo überträgt die Malperformance in der Kugel aus zwei verschiedenen Blickwinkeln: einmal von innen nach außen und zum Anderen von außen nach innen. Dass Blue Freedom bislang nicht realisiert werden konnte, hat vor allem mit dem abschreckenden roten Band zu tun, dass daran hindert, vor solchen Wahrzeichen wie dem Pavillon zu performen und zu filmen. "Mein größter Traum ist es, diese Performance vor jedem Wahrzeichen der VAE zu wiederholen," erklärte AbdulAziz.
Die ursprünglich als Gebäudetechnikerin ausgebildete Layla Juma hat die durch zweidimensionale Geometrie inspirierten Zeichnungen, für die sie vor allem bekannt ist, ins Dreidimensionale übertragen. Twins (2013, Zwillinge) ist ein scheinbar modulares Paar von Drahtskulpturen, das den gleichen Geist der Fragmentierung aufgreift wie ihre grafischen Zeichnungen, hier in einer quasi architektonischen Form umgesetzt. Unheimlich wie Escher (die Drahtrahmen wirken, als könnten sie sich selbst ad infinitum replizieren), erscheint das Werk irgendwie unvollständig, sowohl auf Jumas frühe "unvollendeten" Gemälde zurückgreifend als auch schlau auf den Begriff der "Nicht-Realisierbarkeit" im Kern der Schau verweisend.
Abdullah Al Saadi hat die einfache und doch mannigfaltige Süßkartoffel so tiefgreifgreifend kodiert, dass die Knollenwurzel in seinen Händen zu einer Sprache mit eigener Grammatik und Syntax erhoben wird. Von seiner Teilnahme an der 54. Biennale Venedig im Pavillon der VAE, wo das Projekt Naked Sweet Potato (Nackte Süßkartoffeln) präsentiert war, hat er die bescheidene Kartoffel für Emirati Expressions: Realised zu luxuriösen Objekten der Goldschmiedekunst entwickelt.
Sunset (2013, Sonnenuntergang) von Mohammed Ahmed Ibrahim ist das großformatige Foto eines Berges in Khor Fakkan mit einem Loch darin, damit die Sonne hindurch scheinen kann. Die Arbeit erinnert die Betrachter daran, wie eine spezielle Strömung avantgardistischer Praxis in solch einer entlegenen Gegend der Vereinigten Arabischen Emirate schon fast drei Jahrzehnte zuvor erblühte.
Angesichts der lautstarken kommerziellen Kunstwelt in Dubai und der am Horizont aufziehenden Museen auf Saadiyat Island wird das eigentliche Fundament, auf dem die Kunst der VAE aufbaut, allzu oft übersehen. "Die Kunstszene der VAE ist nicht erst in Entwicklung begriffen," insistiert Reem Fadda. "Es sind die Institutionen, die sich entwickeln, um das aufzunehmen, was bereits eine sehr reichhaltige Szene ist." Indem Emirati Expressions: Realised die Vitalität und Vielfalt der Kunst der Emirate getreu wiedergibt, macht sie auch klar, dass diese keineswegs neu ist. Ebenso wenig ist es wahrscheinlich, dass sie an Schwung verliert.
Kevin Jones
Freischaffender Kunstpublizist. Geboren in New York, aufgewachsen in Paris, lebt derzeit in Dubai.
Kuratorin: Reem Fadda
Künstler/innen:
Ebtisam AbdulAziz
Mohammed Ahmed Ibrahim
Layla Juma
Mohammed Kazem
Mohammad Al Mazrouei
Abdullah Al Saadi
Emirati Expressions: Realised
30. Oktober 2013 - 18. Januar 2014