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Seine Videoinstallation \"Resistance\" auf der Biennale Venedig 2013 über die dem Körper auferlegten und an ihm praktizierten Interventionen.
Von Emre Baykal | Aug 2013In seiner Videoserie mit dem Titel Resistance, [Widerstand] beschäftigt sich Ali Kazma mit den Interventionen und Strategien, die den Körper aus seinen eigenen Zwängen befreien und die ihn einschränken, um ihn zu kontrollieren. Als eine umfangreiche Studie der für den menschlichen Körper entwickelten zeitgenössischen Diskurse, Techniken und Lenkungstaktiken ist Resistance ein Versuch, die dem Körper heutzutage auferlegten und an ihm praktizierten Interventionen zu enträtseln. Die Serie verspricht, in ihrem zeitlichen Verlauf zu expandieren, um sich daraufhin in den unendlichen Wissenbereich zu wagen, der den Körper zum Gegenstand hat - sowohl als ein reales wie auch ein eingeschränktes Bild und als ein Feld unendlicher Möglichkeiten. Sie vermittelt auch wichtige Hinweise auf die Richtung, in die sich Kazmas künstlerische Produktion wahrscheinlich entwickelt. (…)
Resistance entspringt der Serie Obstructions und erkundet, auf welche Weise der Körper heute durch wissenschaftliche, kulturelle und soziale Instrumente geformt und wie er als ein Ort der Darbietung wiederholt reproduziert ist. Mit anderen Worten, Resistance vermittelt die produktive Aktivität des Körpers als eine kreative Wirkung direkt auf den Körper selbst: der Produzent und das Produzierte, der Former und das Geformte sind hier in der Materialität des Körpers vereint.
Während des fast einjährigen Filmens besuchte Ali Kazma verschiedene Orte, um die Prozesse aufzunehmen, die den Körper konstruieren und kontrollieren. Er erkundete den Kampf um die Entschlüsselung der sozialen, kulturellen, physischen und genetischen Codes des menschlichen Körpers, um ihn perfekt wiederzugeben, sowie auch die Prozesse, durch die der Körper zu einem Übermittler neuer Symbole und Bedeutungen wird oder transformiert ist.
Diese unter dem Titel Resistance zusammengebrachten Videos komplementieren einander innerhalb der Komposition einer einzigen Installation und erkunden die Konstruktion des materiellen Körpers auf drei verschiedenen Ebenen. So als ob wir uns den Körper als eine "austauschbare Schale" und zugleich als "die physische Inszenierung und den Garanten seiner selbst" [1] vorstellen würden, blickt Ali Kazmas Kamera nicht nur auf diese widerstandsfähige Hülle und die darauf stattfindenden Interventionen, sondern dringt auch zu dem vor, was unter der Oberfläche liegt, zum Gewebe, das den Körper zusammenhält und doch auch seine Auflösung bewirkt, mit anderen Worten, zum Feld des Fleisches als dem ultimativen materiellen Stadium des Körpers. Eine dritte Ebene resultiert dann aus den institutionellen / räumlichen Schalen, die den Körper umhüllen und formen, ihn disziplinieren, ihn ständig inspizieren und ihn zum Gegenstand von Kontrolle und Überwachung machen.
In Resistance erforscht Ali Kazma die Interventionen des Körpers nicht nur durch die Gegenstände und Personen vor seiner Kamera, sondern auch anhand der Räume, in denen dessen Rekonstruktion stattfindet. Er sucht das Gegenstück zu der Metapher, die den Körper in der Architektur und Raumorganisation als einen Sarg, Käfig oder Gefängnis des Verstandes und des Geistes seit den Alten Griechen räumlich aufgefasst hat. Obwohl er in diesen Werken fast nie den Körper selbst zeigt, ist seine Kamera auf die Orte gerichtet, die von Kontrolle, Disziplinierung und Restriktion des Körpers zeugen.
Statt von einem reduktionistischen Ansatz auszugehen, der die Mysterien des Körpers herausfordert und versucht, ihn nahezu als anatomisches Objekt zu verstehen, versucht Resistance, die komplexen Bedeutungen und Rätseln zu entschlüsseln, die vom Körper als einem physischen und konzeptuellen Raum aus einem weiten Netzwerk an Beziehungen heraus prodziert werden. In dieser Multikanal-Videoinstallation, die auf der Biennale Venedig ihre Premiere hat, erforscht Ali Kazma die Netzwerke, die den Körper auf sozialer, kultureller und wissenschaftlicher Ebene formen. Die Beziehung zwischen "ein Körper sein" und "einen Körper haben" [2] und die Spannung, die aus den unendlichen Möglichkeiten und Begrenzungen des Körpers als einem Feld von Information, Kontrolle und Darstellung entspringen, werden als eine Reihe unterschiedlicher Definitionen und Wahrnehmungen erkundet, wie materieller Körper, sozialer Körper, unter Beobachtung stehender Körper, disziplinierter Körper, arbeitender Körper und der sexuelle Körper.
Ali Kazmahat dieses umfassende Projekt in verschiedenen Teilen der Welt gefilmt, an diversen Schauplätzen und mit unterschiedlichen Darstellern: ein Filmset in Paris, ein Gefängnis in Sakarya, eine Schule und ein Operationssaal in einem Krankenhaus in Istanbul, eine Kryonikeinrichtung in den USA, eine Universität in Berlin, wo experimentelle Forschung über Roboterproduktion betrieben wird, ein medizinisches Forschungslaboratorium in Lausanne und ein Tätowierungsstudio in London, um nur einige zu nennen. (…)
Resistance, erstmals präsentiert auf der 55. Biennale Venedig als eine Multikanal-Installation in einer den Betrachter umgebenden räumlichen Anordnung, fügt zu der von Ali Kazma mit der Welt geführten Interaktion einen weiteren Körper hinzu.
Anmerkungen:
Emre Baykal
Kurator, Ausstellungsdirektor, ARTER - Raum für Kunst, Istanbul, Türkei.
Nationaler Pavillon der Türkei
55. Internationale Kunstausstellung
La Biennale di Venezia
Resistance
Ali Kazma
1. Juni - 24. November, 2013
Artiglieri, Arsenale, Venedig
Kommissar:
Istanbul Foundation for Culture and Arts
Kurator: Emre Baykal