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Über Pläne und Hemmnisse einer Umwandlung der historischen Schlachthöfe von Casablanca in ein Kulturzentrum.
Von Florence Renault-Darsi | Mär 2013Im letzten Jahrzehnt sind in Marokko verschiedene Bereiche künstlerischen Schaffens entstanden, für die sich die Avantgarde heutzutage mit Forschung, ästhetischen Konzepten, Erneuerung von Formen, Offenheit und internationaler Vernetzungen engagiert. Aber die öffentlichen Instanzen beteiligen sich an diesem Prozess kaum, und deshalb sind die wichtigsten Protagonisten der kulturellen Produktion zugleich Akteure der Zivilgesellschaft, vereint in Assoziationen, die irgendwie darauf abzielen, ihre Aktionen und Aktivitäten in einem Kontext zu verwirklichen und auszuweiten, der fragil und wenig offen dafür ist. Hinzu kommt die fehlende Visibilität dieser Initiativen, was mit dem Mangel an für verschiedene Disziplinen geeigneten Räumen für den Schaffensprozess und die Präsentation von Kunst zu tun hat. Wenn man bedenkt, dass das Fehlen von etwas den Wunsch danach aufkommen lässt, so müsste das Begehren der Hauptmotor des Vorhabens sein, dem zeitgenössischen Schaffen in seinen vielen Erscheinungsformen gewidmete Räume zu entwickeln. Und da ein kultureller Raum ohne ein Projekt nicht wirklich existiert, kann ein Projekt nur in Beziehung zu dem Kontext - kulturell, sozial, politisch, urban, ökonomisch - umgesetzt werden, aus dem es hervorkommt. Von all diesen Bedingungen ist in Casablanca der politische Kontext gewiss der am schwersten zu bewältigende.
Die Idee für die Umwandlung des früheren Schlachthofs von Casablanca in ein kulturelles Projekt kam im Herbst des Jahres 2000 auf, kurz vor der Schließung der Abattoirs im darauffolgenden Jahr. Doch blieb es bei dem Stadium einer Projektion in die Zukunft, nicht wegen des fehlenden Wunsches, sondern vielmehr wegen des Fehlens von Zeit, von Durchführbarkeit und von Macht, sich damals wirklich mit einer solchen Umwandlung befassen zu können. Begünstigt durch die Gelegenheit, die sich durch die für Juni 2009 geplanten Kommunalwahlen bot, und auf Bitten des Stadtrats griff ein Kollektiv kultureller Akteure und verschiedener Assoziationen in Casablanca das "Schlachthof-Projekt" (Projet des abattoirs) wieder auf. Die erste Einjahresübereinkunft wurde zwischen der Stadt und Casamémoire unterzeichnet, einer der Assoziationen, die das Projekt leiteten. [1] Die erste Manifestation von Transculturelles, einer von der Association Casamémoire koordinierten multidisziplinären Veranstaltung, fand im April 2009 statt. Zu einer zweiten Edition ist es wegen des Fehlens finanzieller Mittel und jeglichen Engagements der Stadt nie gekommen.
In einem Umfeld, das so arm an Kultureinrichtungen ist wie Casablanca, wenn man deren geringe Zahl zu den fünf Millionen Einwohnern ins Verhältnis setzt, ist es besonders verlockend, die vielen Erfahrungen aufzugreifen, die es in Europa mit der Umwandlung von Lagerhäusern und Fabriken in Kulturräume gibt. Doch ist es ebenso notwendig danach zu fragen, inwieweit diese "Modelle" auf den marokkanischen Kontext im Allgemeinen und auf Casablanca im Besonderen übertragbar sind. Und wenn angesichts des Defizits an Räumlichkeiten für die Kultur oft Fabriken und andere leerstehende Gebäude als Belege eines solchen "Fehlens" zu finden sind, ist das Prinzip der Aneignung derartiger Räume nicht zwangsläufig. Die Beispiele oftmals illegal besetzter früherer Fabriken in gewissen europäischen Ländern heizen die Vorstellungskraft an, doch wäre dergleichen unter den marokkanischen Verhältnissen nicht möglich, wo eine Autorisierung, selbst eine informelle, in solchen Momenten unabdingbar ist. In Casablanca verschmähen Entwickler und öffentliche Autoritäten diese vielen verlassenen Orte bloß bis zu jenem Tag, an dem eine Assoziation ihren Wunsch äußert, daraus ein kulturelles Projekt zu machen. Und obgleich es stimmt, dass im Falle des früheren Schlachthofs kulturelle Aktivitäten auf Bitten der Stadt im Kontext der bevorstehenden Wahlen beginnen konnten, so bleibt eine Überleitung dessen zu einer Übereinkunft, die es einem Kulturprojekt erlauben würde, dort eine Reihe von Jahren unterzukommen, weiterhin ein Machtkampf, der noch lange nicht gewonnen ist.
Der Hermitage Park von Casablanca ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie kulturelle und künstlerische "Angelegenheiten" in Marokko behandelt werden. Nachdem die Assoziation La Source du Lion von den Autoritäten der Stadt gebeten worden war, über die Sanierung dieses verlassenen Landstücks nachzudenken, wurde sie von dem endgültigen Projekt heimtückisch ausgeschlossen, obwohl ihre Vorschläge im Jahr davor öffentlich bestätigt worden waren. [2] Der neue Plan war eine tabula rasa des Existierenden gegenüber dem integrativen Projekt, das die Künstler vorgeschlagen hatten, die eingeladen gewesen sind, über die Zukunft des Ortes nachzusinnen und dabei eng mit den Einheimischen und Besuchern des Parks zusammenzuarbeiten. Künstlerateliers in zwei kleinen leerstehenden Gebäuden, die La Source du Lion von der Stadt zur Verfügung gestellt bekam, sind nach siebenjähriger Nutzung zerstört worden, was die Kinder des Viertels ihrer wöchentlichen künstlerischen Aktivitäten beraubte. In einer Kulturpolitik, die Künstler und kulturelle Akteure nur in Betracht zieht, um die Stadt gelegentlich in einem günstigen Lichte erscheinen zu lassen, ist demzufolge für den Aufbau realer Projekte ein kämpferischer Ansatz erforderlich. Dabei stellt sich politische Instrumentalisierung als eine unvermeidbare Hürde heraus, die auch am schwierigsten zu überwinden und das Haupthemmnis für die Umsetzung des Wunsches ist. Doch ein kulturelles Projekt und selbst die Idee einer Kulturfabrik sind ein Ansatz, der den künstlerischen Bereich ebenso berührt wie soziale, urbane, politische und sogar ökonomische Bereiche. Würden die Autoritäten nicht allein dadurch gewinnen können, dass sie positiv antworten und solche Ansätze und Initiativen ermutigen?
In einem Umfeld wie dem des ehemaligen Schlachthauses sind die Lage des Ortes in der Stadt - in Hay Mohammadi, dem ältesten Arbeiterviertel von Marokkos Wirtschaftsmetropole - und die von seiner früheren Funktion herrührenden Aktivitäten in der Umgebung ebenso als Parameter der Umwandlung zu einem "Kulturbringer" zu berücksichtigen, wie das große Potenzial für die urbane, soziale, menschliche und ökonomische Entwicklung - und zwar über die Kultur hinaus. Solchen Fragen sollten sich die Verantwortlichen stellen, wenn es um Notwendigkeit dieses "alternativen" Kulturzentrums in einem politischen Projekt geht, das offen für neue Perspektiven und eine nachhaltige Entwicklung ist, eines, das sich hinsichtlich der Besetzung des Geländes an den Menschen und nicht an merkantilen Interesses orientiert. Die Einweihung einer nicht weit entfernten Straßenbahnlinie im Dezember 2012 und die Eröffnung des nahegelegenen Hay Mohammadi Sportkomplexes vor ein paar Wochen sollten begünstigende Faktoren sein, wenn es um die kulturelle Neubestimmung des Ortes in einem Kontext geht, in dem die Belange der Bürger Vorrang haben müssten. In Frankreich ist es üblich, Sport und Kultur mit der kommunalen Politik zu verknüpfen, sei es im Zusammenhang mit der Infrastruktur oder mit den Aktivitäten eines Viertels. Doch hier kann eine solche Entwicklung eine reale Gefahr für ein kulturelles Projekt bedeuten, weil sie zu Grundstücksspekulation führen könnte, die lukrativer als Kultur ist. Und das, obwohl die Gebäude der ehemaligen Schlachthäuser in den letzten zehn Jahren in die Liste der nationalen Denkmäler aufgenommen worden sind und obschon künstlerische Erfahrung, die mit traditionellen Formen kultureller Aktivitäten bricht, in einer Stadt wie Casablanca so viele Möglichkeiten für die Sozialisierung der Menschen und die "Rehabilitierung" bieten würde. [3]
Anmerkungen:
Florence Renault-Darsi
Kunsthistorikerin und Kuratorin. Künstlerische Leiterin von La Source du Lion in Casablanca, Marokko.
Die Fotos, die den Text von Florence Renault-Darsi begleiten, sind von Gerhard Haupt und Pat Binder im Oktober 2012 aufgenommen worden.
Abattoirs de Casablanca
Adresse:
Angle Rue Jaafar El Barmaki et Rue Oudayas
Hay Mohammadi
Casablanca
Marokko
Die alten Schlachthöfe von Casablanca wurden 1922 nach Entwürfen des französischen Architekten Georges-Ernest Desmarest im neo-maurischen Stil errichtet.
Die bebaute Gesamtfläche beträgt 2,2 Hektar. Nach der Eröffnung der neuen Schlachthöfe am Stadtrand von Casablanca sind die alten 2002 stillgelegt worden.
Seit 2003 gehören die Abattoirs de Casablanca zum Nationalen Kulturerbe Marokkos.